# taz.de -- Konflikt im Kosovo: Engel und Teufel
       
       > Der albanisch-serbische Konflikt durchdringt die Kultur im Kosovo. Bemüht
       > man sich als Theaterleiter um den Dialog zwischen den Feinden, ist man
       > ganz schnell seinen Job los.
       
 (IMG) Bild: Der serbische Nationalismus zeigt sich ganz ungebrochen - der albanisch-kosovarische steht ihm aber in nichts nach.
       
       Die Kosovo-Albaner sind überzeugt, dass, sobald die Dinge im Kosovo heillos
       kompliziert werden, am Horizont amerikanische Schutzengel erscheinen. Und
       wie es in jeder Geschichte von Engeln zwangsläufig auch Teufel gibt, zeigen
       sich auch im Kosovo in Krisenfällen, wie dem gegenwärtigen, die Teufel: die
       Russen. So eine schwärmerische Weltanschauung haben auch die Serben, aber
       mit einem erkennbaren Unterschied: für sie sind die Amerikaner Teufel und
       die Engel Russen.
       
       Kosovo, dieses Land der zweiköpfigen albanischen und serbischen Mythen und
       Geschichten, lebt weiterhin mit extrem primitiven Konzepten des Typs Engel
       - Teufel, Patriot - Verräter, mit uns - gegen uns.
       
       Nach den zwei Tagen der Spannungen im Norden von Mitrovica zwischen
       kosovarischen Polizeikräften und bewaffneten serbischen Gruppen besetzte
       die amerikanische KFOR zwei problematische Grenzstationen. Die
       Kosovo-Albaner kommentierten begeistert: "Die Amerikaner haben die
       Grenzstationen besetzt", was bedeutete: "Wir haben sie besetzt." Und die
       Zeitungen schrieben in der Zwischenzeit, dass im serbischen Mob, der die
       Straßen blockierte, auch russische Söldner gesehen wurden. Von dieser
       amerikanischen und russischen Präsenz wird faktisch jede albanische Saga
       über den serbisch-albanischen Konflikt der letzten Jahre gekennzeichnet.
       
       Die Nachrichten aus Mitrovica in diesen Tagen ähnelten den antiken
       Überlieferungen über Boten, die vor Erschöpfung keuchend ankamen und vom
       "Fall" oder von der "Besetzung" der Städte kündeten. "Wir haben die
       Grenzstation 1 besetzt", "die Grenzstation 1 ist gefallen", "die
       Grenzstation 31 ist gefallen", "zwei Grenzstationen sind gefallen", "wir
       haben zwei Grenzstationen besetzt"! Konstantinopel ist gefallen. Wir haben
       Rom besetzt. Berlin ist gefallen. Troja ist gefallen. Wir haben Paris
       besetzt?
       
       ## "Diese Scheißaffen"
       
       Ein serbischer Freund, ein Schriftsteller, schrieb mir: "Diese Scheißaffen.
       Wir arbeiten so viel wir können, um Brücken der Kommunikation zu bauen und
       diese reißen alles mit einer Leichtigkeit ein, wie der Wind am Abend die
       Sandburg einreißt, die von Kindern tagsüber am Strand errichtet wurde!"
       
       In diesem Augenblick erschweren Spannungen wie die jüngsten zusätzlich den
       unlängst aufgenommenen serbisch-albanischen Dialog, und sie erschweren auch
       die spärliche interkulturelle serbisch-albanische Zusammenarbeit. Die
       letzten Ereignisse im Norden des Kosovo gaben dem patriotischen
       kriegshetzerischen Diskurs Auftrieb, der der Vergangenheit anzugehören
       schien. Die Menschen meldeten sich freiwillig "zur Verteidigung des
       Vaterlandes", sie drohten mit der "Destabilisierung" anderer Regionen, sie
       legten Feuer, schimpften, brüllten. Die Gespenster des Krieges waren wieder
       da. Wenn ich noch bis vor kurzem geglaubt hatte, dass der Krieg der
       Vergangenheit angehört und dass die Menschen der ständigen Spannungen und
       Unruhen zwischen den Ethnien müde und überdrüssig sind, sage ich jetzt:
       Nein, rings um uns ist Krieg. Er ähnelt im Kosovo einem listigen wilden
       Tier, das sich scheinbar schlafend ruhig verhält, aber sobald eine Beute in
       seine Nähe kommt, springt es auf und verschlingt sie.
       
       Während wir beunruhigt die dramatischen Ereignisse verfolgten, die aus dem
       Nordteil Mitrovicas kamen, schien etwas anderes, nur ein kleines Ereignis,
       zweitrangig, unwichtig zu sein? Im Schatten dieser großen Ereignisse
       beendete der kosovarische Kulturminister geräuschlos eine kurz davor
       begonnene Kampagne, um Direktoren und Vorstände kultureller Institutionen
       zu eliminieren. Hitze. Ausschreitungen.
       
       In diesen Tagen wurde auf meine Stelle als Künstlerischer Leiter des
       Nationaltheaters von Kosovo (auf der ich drei Jahre gearbeitet habe) ein
       Mensch gesetzt, der noch vor einigen Tagen im Büro des Ministerpräsidenten
       von Kosovo tätig war. Es wurden alle Methoden und Mittel angewandt, um eine
       Person aus dem Büro des Ministerpräsidenten ins Theater zu bringen. Die
       legitime Leitung wurde abgesetzt, die neue Leitung manipuliert, und es
       wurde alles dafür getan, um ans Ziel zu kommen. Das Gleiche geschah mit der
       Galerie der Künste von Kosovo und mit anderen Kulturinstitutionen.
       
       Die Politik hat sich immer in das kosovarische Theater eingemischt, aber
       die jetzige Kampagne scheint eine ernsthafte Bedrohung für dieses Theater
       zu sein, das sich von der Bürokratie und Korruption, von ästhetischen
       Relikten und von einem Berg anderer Probleme der Vergangenheit noch kaum
       erholt hat.
       
       ## "Ausverkäufer der Interessen unseres Landes"
       
       Meiner Entlassung vom Posten des künstlerischen Leiters des
       Nationaltheaters von Kosovo ging seit einigen Jahren mein Engagement in der
       interkulturellen regionalen Zusammenarbeit voraus. Der letzte Fall, der
       "eine irrtümliche Einladung" genannt wurde, erklärt vielleicht überzeugend
       meine Position. Als das Kosovarische Nationaltheater vor rund 5 Monaten
       eingeladen wurde, eine Aufführung im Theater Atelier 212 in Belgrad zu
       zeigen, gehörte ich zu den wenigen, die sich diesen Besuch gewünscht haben.
       Meine Entschlossenheit zog eine erbitterte Kampagne nach sich, die mich und
       die wenigen anderen Befürworter dieses Besuches als "Jugonostalgiker" und
       "Ausverkäufer der Interessen unseres Landes" darstellte. Gegen diesen
       Besuch war auch der frisch ernannte Kulturminister, der mit seiner
       radikalen proislamischen Haltung vielen Menschen im Kosovo einen Schreck
       einjagte, wie es auch mit der von ihm angeordneten Entfernung von Bildern
       von Mutter Teresa und des ehemaligen Präsidenten Ibrahim Rugova aus den
       Büros des Kulturministeriums der Fall war.
       
       Die Debatte über die Entsendung einer kosovarischen Aufführung nach Belgrad
       wurde von vielen Argumenten und Gegenargumenten begleitet. Es wurde eine
       dicke Trennlinie zwischen Verrätern und Patrioten gezogen. "Warum sollte
       man alte Feindschaften vergessen", fragten jene, die gegen den Besuch
       waren. "Warum sollte man das im Krieg vergossene Blut vergessen?" Hinter
       unserer Idee, einfach mal eine Theateraufführung in Belgrad zu zeigen,
       wurden Komplotte und konspirative Theorien vermutet. Auf Anordnung des
       Kulturministers wurde das Gastspiel in Belgrad verboten. Für mich war es
       eine vertane historische Chance. Wegen einiger primitiver patriotischer
       Esel im Kosovo, die nicht weiter als ihre Nasenspitze sehen wollten,
       vergaben wir die Gelegenheit, auch den vielen Nationalisten in Serbien eine
       Lektion zu erteilen, die genauso wütend reagiert hatten, als der Besuch des
       kosovarischen Theaters in Belgrad angekündigt wurde.
       
       Leider war und ist das Theater überall auf dem Gebiet des ehemaligen
       Jugoslawiens ein Polygon, in dem die Politik ihre Macht demonstriert,
       sobald sie es nötig hat. Das hiesige Theater ist noch nicht frei von
       politischen Einflüssen und von den Gespenstern der Vergangenheit, die das
       Theater als ein Mittel für das Wachsen und die Stärkung des Nationalismus
       betrachten. Die Nationalisten schufen überall im ehemaligen Jugoslawien
       Ende der 80er und während der 90er Jahre Theater, in denen ihre
       "nationalen" Dramen gespielt wurden, die die "ruhmreiche Vergangenheit"
       glorifizierten, Dramen, die jene Nationalhelden verherrlichten, die "gegen
       ihre feindlichen Nachbarn" kämpften, und Dramen, die zur Rache, zur
       Negierung des Anderen, zur Negierung "der Kultur des Anderen" und so weiter
       aufriefen. Auf diese Weise leistete das Theater einen Beitrag zu dem
       Schlachthaus, das sich in Bosnien, in Kroatien und später auch im Kosovo
       ereignete. Anstatt sich dem Nationalismus zu widersetzen, hat ihn das
       Theater unterstützt.
       
       An den Tagen, als in Mitrovica das "Grenzspiel" ausgetragen wurde, musste
       ich nach Belgrad ins Theater "Bitef" fahren, wo ein Drama von mir geprobt
       wurde, das ich zusammen mit einer serbischen Dramatikerin geschrieben
       hatte. Der bosnische Regisseur Dino Mustafi arbeitet mit 6 Schauspielern,
       drei Serben und drei Albanern. Das Echo der Ereignisse von Mitrovica war
       auch in Belgrad deutlich zu vernehmen. Sensible Fragen, die wir im Drama
       behandelt haben (Krieg, Schuld, Vergebung, Rache usw.), wurden jetzt
       komplizierter. Schon jetzt fühle ich, dass die Aufführung in Serbien als
       "antiserbisch" und im Kosovo als "antialbanisch" bewertet werden wird. Die
       alte serbische JAT-Maschine, mit der wir von Belgrad nach Skopje flogen,
       wurde von Wind und Regen hin und her geschüttelt. Während des kurzen Fluges
       sagte einer der mitfliegenden Schauspieler scherzhaft: "Wenn diese Maschine
       abstürzt, sterben wir als Verräter. Ich hoffe, dass wir auch diesmal am
       Leben bleiben, damit wir Zeit haben, noch eine patriotische Tat zu
       vollbringen und als Helden zu sterben."
       
       Der von einem serbischen Scharfschützen in Mitrovica ermordete albanische
       Polizist wird bereits in einem Lied besungen. Von der Präsidentin zum "Held
       des Kosovo" erklärt, ist er die Hauptfigur des Liedes von einer
       kosovarischen Rapgruppe. Eine derart urbane Porträtierung eines Helden von
       heute ist die Fortführung einer alten epischen balkanischen Tradition, um
       im Lied den Helden zu erhöhen, der den Feind bekämpft und das Vaterland
       verteidigt. Das Lied für den kosovarischen Polizisten hat rassistische
       Untertöne, aber in einem Land wie Kosovo macht das in der Alarmsituation
       für "das Vaterland in Gefahr" auf kaum jemanden Eindruck.
       
       ## Die Helden von morgen
       
       Und während der Kampf zwischen Engeln und Teufeln weitergeht, scheint die
       Mehrheit im Kosovo einen heldenhaften Tod sterben zu wollen. Heldenhaft
       nach dem balkanischen Modell. Uns, den wenigen "Verrätern", bleibt
       währenddessen nichts anderes übrig, als nicht aufzugeben, obwohl ich Angst
       habe, dass Kosovo und Serbien Länder ohne Hoffnung werden. Naturgemäß
       müssen wir uns vor Turbulenzen beim Fliegen fürchten, aber nicht vor der
       Tatsache, dass wir als Verräter sterben könnten. Die "Verräter" von heute
       werden die Helden von morgen sein.
       
       Der Autor ist Dramatiker, ehemaliger künstlerischer Leiter des
       Nationaltheaters von Kosovo. Auf Deutsch wurde sein Drama "Krieg in Zeiten
       der Liebe" in der Anthologie "Theater Theater Aktuelle Stücke 21" im S.
       Fischer Verlag veröffentlicht. 
       
       Aus dem Albanischen übersetzt von Zuzana Finger
       
       7 Aug 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jeton Neziraj
       
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