# taz.de -- Rennen mit Prothesen: Wettlauf der Systeme
       
       > Oscar Pistorius darf an der WM der nichtbehinderten Leichtathleten
       > teilnehmen - obwohl er auf Karbonfüßen läuft. Die Frage ist: Hat er
       > dadurch Vorteile?
       
 (IMG) Bild: Oscar Pistorius will die Vorläufe überstehen und eine persönliche Bestzeit laufen.
       
       BERLIN taz | Oscar Pistorius hat noch 18 Tage Zeit, um sich auf seinen
       großen Auftritt vorzubereiten. Er nimmt an der Leichtathletik-WM im
       südkoreanischen Daegu teil. Seine Strecke ist die Stadionrunde, 400 Meter.
       Dass er in Daegu starten darf, ist der Lohn für seine Hartnäckigkeit.
       
       Pistorius, 24, hat keine Unterschenkel. Sie wurden ihm als Baby amputiert,
       da war er gerade mal elf Monate alt. Pistorius litt an einem Gendefekt, die
       Unterschenkel hatten keine Wadenbeine, die Füße waren verkrüppelt. Seit der
       OP benutzt Pistorius Beinprothesen. Weil er es gar nicht anders kennt, als
       sich mit solchen Dingern fortzubewegen, zählt er sich selbst zu den
       "Nichtbehinderten". Da ist es nur konsequent, wenn der Südafrikaner jetzt
       gemeinsam mit nichtbehinderten Athleten um Medaillen sprintet. So was hat
       es bei einer Leichtathletik-WM noch nie gegeben.
       
       Richtig ernst wird es für ihn am 28. August. Dann stehen die Vorläufe über
       400 Meter an. Alle Welt wird auf den Mann mit den Karbonfedern schauen, man
       wird heiß darüber diskutieren, ob da alles mit rechten Dingen zugeht und ob
       der Läufer mit seiner "Cheetah Flex-Foot"-Prothese der isländischen Firma
       Össur nicht einen Vorteil habe. Man wird sich fragen, ob es nur um den
       Sport und Integration geht oder auch um ein zirzensisches Spektakel.
       
       "The fastest man on no legs" (Eigenwerbung) sagte nach seiner Nominierung
       durch den Leichtathletikverband seines Landes am Montag: "Davon habe ich
       immer geträumt. Ich will mein Bestes für mein Land geben im Kampf gegen die
       Elite des Planeten." Er will die Vorläufe überstehen und eine persönliche
       Bestzeit laufen. Die steht bei sage und schreibe 45,07 Sekunden, gelaufen
       am 19. Juli auf einem Sportfest in Lignano. Um zu illustrieren, wie gut
       diese Zeit ist, muss man nur einen Blick auf die Weltbestenliste werfen.
       Pistorius liegt da auf Platz 18, weit vor dem schnellsten Deutschen auf
       dieser Strecke, Thomas Schneider, der mit 45,56 Sekunden geführt wird. Auf
       Platz 50.
       
       ## Er rief das internationale Sportgericht an
       
       Pistorius sucht die große Bühne. Er wäre gern bei den Olympischen Spielen
       in Peking dabei gewesen. Rekorde bei den Paralympics hatte er genug
       gebrochen, nun wollte er sich mit den Weltbesten messen. Damals vor drei
       Jahren machte ihm der [1][Weltverband IAAF einen Strich durch die
       Rechnung].
       
       Die Funktionäre beriefen sich auf die IAAF-Regel 144 (e). Da steht, dass
       Athleten auf technische Hilfsmittel verzichten müssen, falls die ihnen
       einen Vorteil über Konkurrenten verschaffen. Durch ein Gutachten von
       Gerd-Peter Brüggemann, dem Leiter des Instituts für Biomechanik und
       Orthopädie an der Sporthochschule Köln, sah sich die IAAF in ihrem Urteil
       bestätigt. Weil Pistorius aber meinte, die Karbonfeder verschaffe ihm
       keinen Bonus, rief er das internationale Sportgericht Cas in Lausanne an -
       und bekam Recht.
       
       Das Urteil mag eindeutig sein, aber die Sache selbst bleibt verzwickt.
       Biomechaniker Brüggemann hat - einmal abgesehen von der
       Instrumentalisierung seiner Expertise durch die IAAF - zweifelsfrei
       festgestellt, dass Pistorius zwar auf den ersten 100 Metern schlechter
       startet als ein normaler Läufer, aber dann 200 Meter draufpackt, die es in
       sich haben. Brüggemann sagte unlängst in einem Radio-Interview: "Er hat
       Vorteile über mindestens 300 Meter der Strecke, und die überwiegen die
       Nachteile, die er auf den ersten 100 Metern hat."
       
       Bei einem Normalsterblichen würde das Sprunggelenk 40 bis 50 Prozent der
       Energie absorbieren, doch Pistorius' Karbonfuß gebe fast 100 Prozent
       zurück. Brüggemann ficht das Urteil des Cas rhetorisch an: "Wenn wir dem
       gesunden Athleten technische Hilfsmittel verbieten, dann können wir meines
       Erachtens nicht akzeptieren, dass hier mit technischen Hilfsmitteln und
       damit mit einer anderen Form von Fortbewegung ein vergleichender Wettbewerb
       stattfindet."
       
       Das ist deutlich. Allerdings kamen sieben amerikanische Wissenschaftler,
       die in Pistorius' Auftrag für das Verfahren vor dem Cas ein Gutachten
       erstellt haben, zu einem anderen Urteil: Der Sprinter habe keinen
       physiologischen Vorteil wegen seines leichteren Schrittes. Während
       Brüggemann eruierte, dass Pistorius weniger Sauerstoff als gleich schnelle
       gesunde Läufer brauche, kamen die Wissenschaftler in Houston zu einem
       anderen Ergebnis: Er brauche gleich viel Sauerstoff.
       
       Sollen die Gelehrten sich doch streiten, solange Oscar Pistorius nicht über
       Nacht zum Medaillenkandidaten heranreift, darf sich die IAAF eine Medaille
       für die Integration eines behinderten Sportlers an die Brust heften, und
       die Öffentlichkeit darf sich auf den Kampf der Fortbewegungssysteme freuen.
       
       10 Aug 2011
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Amputierter-Sprinter-darf-nicht-starten/!10989/
       
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 (DIR) Markus Völker
       
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 (DIR) Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
       
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