# taz.de -- Geschichte des deutschen Behindertensports: Von Nazis gegründet
       
       > Pünktlich zum 60-jährigen Verbandsjubiläum geht der Deutsche
       > Behindertensportverband seiner Geschichte auf den Grund. Und findet: eine
       > Nazi-Vergangenheit.
       
 (IMG) Bild: Hatten lange einen schweren Stand im ADV: Sportler mit "zivilen Behinderungen".
       
       BERLIN taz | Geschichtliche Aufarbeitung liegt voll im Trend. Ob Deutsche
       Bank, BMW oder der Deutsche Fußball Bund (DFB), irgendwann ist jeder dran.
       "Wir haben uns aufgearbeitet", das klingt gut, es bereinigt und macht
       Schluss mit der elenden Geheimniskrämerei im Sinne von "Da war doch was".
       Seiner Geschichte auf den Grund gegangen ist jetzt auch der Deutsche
       Behindertensportverband (DBS), der in dieser Woche in Berlin sein
       60-jähriges Verbandsjubiläum beging.
       
       Die Festtage gingen erst Donnerstagabend mit einer Feier zu Ende, zu der
       sich der Bundespräsident Christian Wulff und andere Größen aus Politik,
       Wirtschaft und Gesellschaft gern sehen ließen. Weit weniger
       gesellschaftliche Beachtung indes fand am Montag in Berlin die
       Buchpräsentation "Vom Versehrtenturnen zum Deutschen
       Behindertensportverband".
       
       Es ist die erste bundesweite kritisch-historische Studie zur Geschichte des
       Sports für Menschen mit Behinderung. Eine bemerkenswerte Auftragsarbeit,
       die der Sporthistoriker Dr. Bernd Wedemeyer-Kolwe vom Niedersächsischen
       Institut für Sportgeschichte für den DBS ablieferte und jetzt pünktlich zum
       Verbandsjubiläum präsentierte. Sie weist nach, wie eng die
       Entstehungsgeschichte des DBS mit Männern verknüpft war, die eine tragende
       Rolle im Nationalsozialismus spielten.
       
       Es geht konkret um die "Arbeitsgemeinschaft Deutscher Versehrtensport"
       (ADV), die sich am 4. Juli 1951 in der Bundesrepublik gründete. Dieses
       Datum ist offiziell der Ursprung des Deutschen Behindertensportverbands,
       der diesen Namen nach langen verbandsinternen Auseinandersetzungen erst im
       Jahr 1975 annahm.
       
       ## "Haufen Ewiggestriger"
       
       Bis weit in die Siebziger Jahre hinein und nicht unbegründet eilte dem
       namentlichen Vorläufer des Deutschen Behindertensportverbands "der Nimbus
       eines Haufen Ewiggestriger" voraus, wie es der Autor der Studie,
       Wedemeyer-Kolwe, erklärt. In Niedersachsen zum Beispiel wurden rund 20
       Prozent aller Versehrtensportvereine von Personen gegründet, die eine
       nachweislich hohe "NS-Belastung" aufwiesen. "Die personellen Kontinuitäten
       in dieser Höhe sind eindeutig, und es gibt keinen Grund, diese Verhältnisse
       nicht auch auf andere Bundesländer zu übertragen", so Wedemeyer-Kolwe.
       
       Der Historiker hat 250 Versehrtensportler allein in Niedersachsen
       biografisch untersucht. Zwanzig von ihnen gehörten der Waffen-SS, den
       KZ-Wachtruppen oder dem Reichssicherheitshauptamt und dem Rasse- und
       Siedlungshauptamt an, die für die "Umsiedlung", Ausplünderung und Ermordung
       der Juden verantwortlich war. Ein späteres Landesvorstandsmitglied war als
       SS-Angehöriger der Warschauer Gestapo für das jüdische Ghetto zuständig.
       
       In den Versehrtensportvereinen in ganz Deutschland sammelten sich
       auffallend viele NS-Schergen, SS-Sturmmänner, die an Massenmorden beteiligt
       waren. Nicht selten wurden für diese Männer von "Vereinskameraden" aber
       auch seitens der Verbände Spendensonderkonten eingerichtet, um die Familie
       der Angeklagten zu unterstützen sowie ihre Verteidiger zu bezahlen.
       
       ## Schmerzhafte, aber wichtige Aufklärung
       
       NS-Belastete mischten bis in die höchste Führungsebene, also bis in den
       ADV-Bundesvorstand mit. Sie dominierten bis in die Siebziger Jahre hinein
       zahlreiche Vereine und Verbände und damit zumindest partiell die
       Verbandspolitik des Deutschen Behindertensports insgesamt. "Die Studie ist
       sicher starker Tobak und das im Jubiläumsjahr. Aber es war Zeit, endlich
       auch diesen Teil der Geschichte des Deutschen Behindertensports lückenlos
       und für alle transparent aufzuarbeiten. Auch wenn es nicht jedem im Verband
       gefallen hat", erklärt der DBS-Präsident Julius Beucher gegenüber der taz.
       
       Es waren vor allem kriegsgeschädigte Soldaten hohen Ranges, die bereits zu
       Wehrmachtszeiten Sport betrieben und den Versehrtensport der Nachkriegszeit
       prägten. Waffenträger, für die der Dienst in der Wehrmacht ein Ehrendienst
       war. Sportärzte und Sportlehrer, die in der SS aktiv waren und in den
       SS-Heilanstalten, vor allem in der SS-Heilstätte Hohenlychen, ihre
       Fortbildung zum Versehrtensportler absolviert hatten.
       
       Diese sportlichen Kriegsversehrten verstanden sich auch nach der Niederlage
       des NS-Regimes weiterhin in der Rolle, die ihnen das NS-Regime zuvor
       zugewiesen hatte: "Edelversehrte", eine Art Elite, die im Kampf für das
       Vaterland Arme oder Beine verloren hatte.
       
       ## Ressentiments gegen Zivilbehinderungen
       
       Sie hegten, immer noch befangen in der NS-Ideologie, offen Ressentiments
       gegenüber Menschen mit anderen, sogenannten Zivilbehinderungen, die sie als
       "asoziale Elemente" ansahen. Schon aus diesem Grunde fühlten sich
       Zivilbehinderte in den Versehrtensportvereinen in Westdeutschland reichlich
       deplatziert. Unkenntnis, Verharmlosung und sogar bewusste Vertuschung der
       NS-Biografien zeichnete über lange Zeit die Politik des
       Behindertensportverbands aus.
       
       Dass dann langsam aber stetig "die revanchistischen Kräfte aus den Ämtern
       der Vereine und Verbände im Deutschen Behindertensport verschwanden, dürfte
       eher einem normalen Generationswechsel als einer bewussten Umgestaltung
       geschuldet sein", heißt es in der Studie wenig schmeichelhaft. Immerhin ist
       auch das nun öffentlich.
       
       10 Sep 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Torsten Haselbauer
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Behindertensportler des Jahres: Ein Opfer für ein anderes Leben
       
       Trotz seines Karriereendes im Frühjahr wird Gerd Schönfelder wieder zum
       Sportler des Jahres gewählt. Es ist eine Würdigung für eine imposante
       Gesamtbilanz.
       
 (DIR) NS-Geschichte: Ein Denkmal für die Judenretter
       
       Arno Lustiger hat mit "Rettungswiderstand" die erste große Untersuchung
       über die Helfer verfolgter Juden in Europa während der Nazi-Herrschaft
       vorgelegt.
       
 (DIR) Rennen mit Prothesen: Wettlauf der Systeme
       
       Oscar Pistorius darf an der WM der nichtbehinderten Leichtathleten
       teilnehmen - obwohl er auf Karbonfüßen läuft. Die Frage ist: Hat er dadurch
       Vorteile?