# taz.de -- Science-Fiction als Stimmungsbarometer: Außerirdische greifen an
       
       > An Alien-Filmen kann man gut sehen, wie die USA sich gerade fühlen. Jetzt
       > gibt es wieder einige Science Fiction-Streifen, in denen die Erde von
       > Außerirdischen bedroht wird.
       
 (IMG) Bild: Außerirdische attackieren das World Trade Center in New York. Szene aus dem Science-Fiction-Film "Independence Day".
       
       Die eigene Gesellschaft geht unter - im Kino wird das zum Spektakel. Mit
       seinen strikt gezogenen Grenzen zwischen dem Innen und Außen einer
       Gesellschaft und deren spektakulären wie spekulativen Katastrophenszenarien
       ist dabei gerade der urbane Alieninvasionsfilm ein Seismograf für die
       Befindlichkeit einer Nation. Derzeit kommen wieder einige solcher Filme, in
       dem Außerirdische die Erde angreifen, in die Kinos - aufschlussreich sind
       sie vor allem für die Veränderungen im Selbstbild der USA.
       
       Spätestens seit Orson Welles Hörspieladaption (1938) von H. G. Wells frühem
       Science-Fiction-Roman "Krieg der Welten" ist der urban-apokalyptische Stoff
       der Alieninvasion fester Bestandteil des US-amerikanischen Mythenpools.
       
       Bereits wenige Jahre später zeigten sich erste Risse im Selbstbild der USA.
       Sie konnte sich nicht mehr als auf eigenem Boden unangreifbar verstehen.
       Pearl Harbor, mehr noch der erfolgreiche Start des sowjetischen Satelliten
       Sputnik (1957), der seine Bahnen über amerikanischem Gebiet zog, bedingten
       ein Klima der Paranoia, das sich auch im Kino niederschlug.
       
       Im ganz von amerikanischem Entrepreneurship geprägten "Destination Moon"
       (1951) war das Weltall noch ein schwarzes, buchstäblich leeres Sinnbild für
       die final frontier als Herausforderung für den Pioniergeist. Spätestens ab
       dem Sputnikschock wird es eindeutig als Hort überraschend taktierender
       Invasoren identifiziert, die den Status quo nachdrücklich in Frage stellen.
       
       Das wird zum zentralen, ins allegorische gewendeten nationalen Narrativ.
       Zwar gab es Alieninvasionsfilme schon zuvor - 1953 produzierte George Pal
       "Kampf der Welten" -, doch waren ihre Angstlustpotenziale von nun an ein
       gutes Stück näher an die Lebensrealität und Befindlichkeit ihres heimischen
       Publikums gerückt.
       
       Mit den Anschlägen vom 11. September mussten sich die USA ihre
       Verwundbarkeit auf eigenem Terrain schlussendlich eingestehen. Die zuvor im
       Kino lustvoll fiktional ausgespielte Prämisse - "USA under Attack" -, war
       nun ein faktisches Ereignis, dessen medialer Überschuss beinahe synchron
       mit Bildern aus dem Blockbusterkino gegengelesen wurde.
       
       Die einstürzenden Zwillingstürme des World Trade Centers, die panisch
       fliehenden Massen, die sich über Manhattan legenden Staubwolken rückten den
       "Krieg der Welten" unbestreitbar ins Hier und Jetzt.
       
       ## Emmerichs Spektakel
       
       Dem war im Kino eine Phase der Sorglosigkeit und Unverbindlichkeit
       vorausgegangen. Roland Emmerichs "Independence Day" und Tim Burtons "Mars
       Attacks", beide aus dem Jahr 1996, sind trick- und pyrotechnische
       Meisterleistungen, die sich als solche dem Publikum unentwegt exponieren -
       und damit zugleich ein theatrales Distanzverhältnis schaffen.
       
       Beiden Filmen eigen ist ein ästhetischer Modus, der sich mit dem Begriff
       der "Feldherrenhügelperspektive" beschreiben lässt. Hochrangige Militärs,
       oberste Politiker und Wissenschaftler sind hier unentwegt mit "Data
       Retrieving" an Radargeräten, Computern und Kommunikationskanälen - ein zum
       Feldherrenhügel äquivalenter Medienverbund zur heutigen souveränen
       Informationsbeschaffung also - befasst.
       
       Doch auch ganz konkret folgt Emmerichs Spektakel den ästhetischen Vorgaben
       einer panoramatischen Umschau. Seine Kamera filmt funktionale Halbnahen und
       Totalen, aber kaum Close-ups oder Details - wenn das Empire State Building
       oder das Weiße Haus zerstört werden, sucht die Kamera stets die den
       distanzierten Beobachter immer schon mitdenkende Zentralperspektive.
       
       Mitte der Neunziger war die Gewissheit gereift, dass die Geschichte an
       ihrem Ende angelangt sei. Die Blockstellung des Kalten Krieges war
       überwunden, eine politisch ebenbürtige Konfrontation kaum in Sicht, der
       Status quo schien zementiert.
       
       ## Popkultureller Zitatereigen
       
       "Independence Day", noch mehr aber Tim Burtons "Mars Attacks" zelebrierten
       die Alieninvasion als frei flottierende Zeichenstreusel. Das patriotische
       Pathos von "Independence Day" ist genauso entkernt wie das dissidente bis
       genozitäre seiner Bilder einer Menschheitskatastrophe. Die Alieninvasion:
       bloß mehr popkultureller Zitatereigen.
       
       In "Krieg der Welten" setzt Steven Spielberg 2005 einen eindeutigen
       Schlussstrich unter die unverbindlich gewordene Form des
       Alieninvasionsfilms. In einer zentralen Szene zu Beginn bestaunen die New
       Yorker entzückt ein sich am Himmel darbietendes, bizarres Wetterschauspiel,
       das wenig später als Vorbote der Invasion kenntlich wird.
       
       Noch kurz bevor die vermeintlich harmlose Attraktion sich als
       lebensgefährlich entpuppt, beruhigt der Hafenarbeiter Ray (Tom Cruise)
       seine Tochter mit den Worten: "Das ist wie der 4. Juli." Nur Sekunden
       später wird er Lügen gestraft: beinahe ein Seitenhieb in Richtung Emmerich.
       Das sich im spektakulären Liebreiz erschöpfende Spezialeffektekino endet
       exakt an dieser Stelle.
       
       Schlagartig wechselt der Film nun den ästhetischen Modus. Die Kamera wird
       mobiler, geht ins desorientierende Detail. Vor allem aber sucht sie immer
       wieder die Möglichkeit des Übergriffs auf sein Publikum. Die
       Schaukastenwelt von "Independence Day" ist einer bildästhetischen Logik des
       Projektils gewichen. Spielbergs Kino geht seine Zuschauer buchstäblich an
       und erschüttert immer wieder dessen situative und emotionale Souveränität.
       
       ## Aus Ameisensicht
       
       Erzählt wird die melancholisch-bedrückende Exodusgeschichte strikt aus
       Ameisenperspektive. Expertenarmadas, Militärdiskussionen, politische
       Grundsatzreden fehlen völlig. Konsequenter in die subjektive Perspektive
       und damit in die Einbindung des Publikums gegangen ist nur noch
       "Cloverfield" (2008). Dieser vorgeblich nur aus vorgefundenem Bildmaterial
       bestehende Film schildert die Zerstörung New Yorks durch ein unvermittelt
       auftauchendes, godzillaartiges Monster und enthält einem dabei jede
       Klarheit schaffende, befreiende, zweite Perspektive durch Umschnitt
       erbarmungslos vor. Der Allverfügbarkeit von Daten und Information in der
       Anordnung von "Independence Day" steht hier die blanke Unübersichtlichkeit
       einer Katastrophe im Vollzug entgegen.
       
       Filme wie "Krieg der Welten" oder "Cloverfield" sind vor allem auch in
       ihrer formellen Gestaltung Symptome einer tiefen Erschütterung. Der Blick
       in den aktuellen Alieninvasionsfilm legt allerdings die Vermutung nahe,
       dass diese Erschütterung in eine Phase der Restauration, wenn nicht der
       Verleugnung oder Verdrängung getreten ist.
       
       Zum zehnten Jahrestag der Anschläge auf New York im kommenden Monat häufen
       sich die Bilder einer Invasion der Aliens aufs Neue. Und abermals treten
       sie ihrem Publikum unter gewandeltem Vorzeichen entgegen.
       
       "Super 8" (bereits im Kino) nähert sich wieder dem E.T.-Kino der frühen
       80er an. "Cowboys & Aliens" (ab 25. 8.) zelebriert indessen die
       Restauration einer verletzten Gesellschaft. Dass dies vor der Kulisse eines
       Western, des uramerikanischen Genres schlechthin und bis heute ein
       Gründungsmythos der USA, stattfindet, ist wohl kein Zufall.
       
       ## Gemeinsamer Schulterschluss
       
       Ein von inneren Spannungen gekennzeichneter sozialer Mikrokosmos wird hier
       von einer Alieninvasion nicht vollends zerrieben, sondern im Gegenteil über
       alle Differenzen hinweg bestärkt. Die Abwehr der Invasion gelingt im
       gemeinsamen Schulterschluss - gerade auch mit den Ureinwohnern.
       
       Die Nation geht auch nach innen erstarkt hervor: ein Bild, das im
       sonderbaren Scherenverhältnis zur momentanen Situation der USA steht und
       darüber hinaus die Frage stellt, ob der Alieninvasionsfilm nicht derzeit
       sein allegorisches Potenzial einbüßt. In "Planet der Affen: Prevolutions"
       etwa sind es jedenfalls keine Überwältigungen von außen mehr, die auf eine
       Krise hinweisen, sondern Bilder von Straßenkämpfen und revolutionärer
       Auflehnung. Kurz nach dem weltweiten Kinostart fanden die Londoner Riots
       statt.
       
       20 Aug 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Thomas Groh
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Mars
       
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