# taz.de -- Film "Lollipop Monster": Vom Verlust der Unschuld
       
       > Ziska Riemanns Filmdebüt feiert das Begehrlich-Wunderschöne des
       > weiblichen Erwachsenwerdens. Ein Film, der rasant ist und böse und irre
       > komisch.
       
 (IMG) Bild: Gegensätze ziehen sich an: Die brave Ari mit Counterpart Oona.
       
       Wenn sich Gerhard Seyfrieds einzige Schülerin Ziska Riemann zusammentut mit
       "Weil ich ein Mädchen bin"-Fetischdiva Luci van Org und diese beiden dann
       gemeinsam ein Drehbuch schreiben, das Riemann hinterher verfilmt und mit
       der Musik der fiktiven Band "Tier" unterlegt - im Sound der Neuen Deutschen
       Härte und der Stimme von Neubauten-Hacke -, dann kommt etwas heraus, was
       einfach nur "Lollipop Monster" heißen kann.
       
       "Lollipop Monster" ist ein Film, in dem eine quietschbunte Mädchenwelt in
       einem dionysischen Strudel voll abgrundtiefer Schwärze und blutroter Erotik
       aufgeschäumt wird. Ein Film, der mutwillig und lustvoll drüber ist. Der aus
       dem Fundus schöner Jugendsubkulturen schöpft und dessen Szenen und
       Einstellungen getragen sind von einem sicheren, an Comicpanels geschulten
       Gefühl für kraftvollen, Bildaufbau. Der rasant ist und böse und irre
       komisch. Liebevoll in jedem Ausstattungsdetail.
       
       "Lollipop Monster" ist ein postmoderner Hexensabbat, ein wunderbarer, ein
       praller Film. Prall wie eine frühreife Kirsche. Prall wie üppig entwickelte
       Teenagerbrüste. "Fett" findet Ari die ihren. "Total schön" findet Aris
       Busen aber ihre Freundin Oona, die mit Kohlestift bei Kerzenschein
       Zeichnungen davon anfertigt.
       
       ## Gegensatzpaar Ari und Oona
       
       Ari und Oona, das sind die beiden Pole in diesem Film, der auf ein poppig
       überzeichnetes Finale à la "Heavenly Creatures" zusteuert. Ari, 15, blonde
       Zöpfe, Schmollmund, knatschbunte Schals, ultrakurze Röckchen und
       Strumpfbänder an den Kniestrümpfen hat Pferdemädchenfreundinnen und kommt
       aus einer fröhlichen Familie mit Wochenendhäuschen und gewalttätigem
       Muttersöhnchenbruder.
       
       Ari ist die paradigmatische Lolita. Oona dagegen ihr dunkler Counterpart:
       Styletechnisch von Rive-Gauche-, Goth- und Emo-Kultur geprägt, lebt sie mit
       ihrer Künstlerfamilie in einer Schwarz-Weiß-Welt. In diese passt der
       Selbstmord des erfolglosen Vaters genauso gut wie Oonas unheimliche
       Fantasyzeichnungen, ihre mit der Rasierklinge geritzten Arme und
       kajaldekorierten Augen.
       
       Über ihre Düsterrock-Lieblingsband finden die Mädchen zueinander. Ihr so
       klassisch über Popmusik hergestelltes Bonding hilft ihnen in ihrer
       jeweiligen Pubertätsphase. Ari lernt von Oona, ihre fröhlich-bunte Welt
       schwarz zu grundieren, im sexy Belutschen von phallisch geformtem Obst eine
       wirkmächtige Entsprechung zu ihrer Erdbeerhaarspange zu entdecken und schon
       bald ein frisch entjungferter Neu-Vamp zu sein. Oona findet über Ari zu
       weniger autoaggressiven Formen - kreischend Mülltonnen umtreten zum
       Beispiel - der Verarbeitung ihre Trauer um den Vater.
       
       Bis Onkel Lukas der so toll hysterisch-ergebenen Coming-of-Age-Freundschaft
       in die Quere kommt. Aber die Mädchenfreundschaft wiegt schwerer als das
       Vögeln im Cabriolet. Am Ende tränkt Blut die süßen Plüschmonster auf dem
       Sofa, und zwei Mädchen laufen Arm in Arm unter blühenden Kirschbäumen einem
       weißen Kaninchen hinterher.
       
       ## Saftige Immanenz
       
       "Lollipop Monster" ist ein überaus souveräner Film. Wunderbar lässt die
       Ausleuchtung die Farben strahlen. Die Montage hat einen musikalischen
       Rhythmus. Die Ausstattung ist in jedem Detail gleichermaßen liebevoll wie
       semiotisch fundiert. Die beiden jugendlichen Darstellerinnen Jella Haase
       und Sarah Horváth, stehlen Nicolette Krebitz als Oonas Mutter und Thomas
       Wodianka als Lukas die Show. Besonders an Haases irre gut gespieltem
       pubertärem Irisieren zwischen naiver Unschuld und instinktsicher
       berechnetem Körpereinsatz kann man sich gar nicht sattsehen.
       
       Das Faszinierende, Grauenvolle, Gewalttätige, Zerrissene, Begehrliche,
       Schrankenlose, Autonome und Wunderschöne des weiblichen Erwachsenwerdens
       ist schon lange nicht mehr so erfahrungsgesättigt, amüsant und ansehnlich
       in Filmbilder gepackt worden wie hier. Besonders toll ist, dass die
       Filmemacherin ihre Protagonistinnen nicht aus analytischer Distanz in den
       Blick nimmt, sondern sie in der saftigen Immanenz ihres lust- und
       frustgesteuerten Handelns belässt.
       
       Heraus kommt ein Augenschmaus, der 13-jährige Visual-Kei-Fans und
       Überlebende der acidgesättigten Flower-Power-Zeiten genauso ansprechen wird
       wie mittelalte Slutwalkerinnen. Sogar die Deutsche Film- und
       Medienbewertung meint: Prädikat besonders wertvoll. Ein erstaunlich
       treffsicheres Urteil über den Verlust der Unschuld.
       
       25 Aug 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kirsten Riesselmann
       
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