# taz.de -- Umstrittene Jugendschutzfilter: Wikipedia probt die Demokratie
       
       > Mit einer Abstimmung unter Wikipedia-Autoren will die Wikimedia
       > Foundation Unterstützung für einen Filter gegen "kontroverse Inhalte"
       > finden.
       
 (IMG) Bild: Stieß mit seiner Hauruck-Methode nicht auf Gegenliebe: Wikimedia-Gründer Jimmy Wales.
       
       "Nach einer Woche sind schon über 20.000 Stimmen eingegangen", berichtet
       Philippe Beaudette, der das Referendum organisiert. Ein ungewöhnlicher
       Erfolg: Bei den letzten Wahlen für einen Platz im Stiftungsrat, der die
       oberste Entscheidungsgewalt über Wikipedia hat, beteiligten sich gerade mal
       3.500 Wikipedianer. Doch mit der aktuellen Abstimmung scheint ein Nerv der
       Wikipedianer getroffen worden zu sein. Es geht um einen Filter, der auf
       Wunsch der Nutzer kontroverse Inhalte ausblenden kann. Für Wikipedianer,
       die sich gerade dem freien Wissen verschrieben haben, ist das ein mehr als
       schwieriges Thema.
       
       "Bilder, die Sexualität und Gewalt zeigen, sind notwendige Bestandteile der
       Wikimedia-Projekte, um ihre Aufgabe zu erfüllen, offen, frei und
       erzieherisch wertvoll zu sein", heißt es in der [1][Begründung zum
       Referendum]. "Allerdings haben diese Bilder – von Genitalien und
       Sexualpraktiken auf der einen Seite, von Massengräbern und verstümmelten
       Körpern auf der anderen Seite – einen verstörenden Effekt auf einige
       Betrachter, besonders wenn es Kinder sind oder wenn ein Leser unvermutet
       auf diese Motive stößt".
       
       Deshalb hat sich der Stiftungsrat für das "Prinzip der geringsten
       Überraschung" entschieden. Anders ausgedrückt: Mit Wikipedia-Inhalten soll
       niemand vor den Kopf gestoßen werden. Jedenfalls nicht zu hart.
       
       In den Anfangsjahren der Wikipedia kam es noch vor, dass pubertäre
       Spaßmacher mal eben auf die Startseite oder in bestimmten Artikeln ein
       Dutzend Penis-Bilder veröffentlichten. Dieses Problem haben die
       freiwilligen Wikipedia-Autoren mittlerweile weitgehend unter Kontrolle.
       Jetzt geht es um die inhaltliche Ausrichtung des Projekts.
       
       Wikimedia will nicht nur eine Spielwiese für [2][überwiegend männliche
       Akademiker aus reichen Industrieländern] sein, sondern nach Asien, Afrika
       und in arabische Länder expandieren. Hier passt die aufklärerische bis
       rechthaberische Attitüde, die zum Beispiel im vergangengen Jahr dafür
       sorgte, dass der Artikel "Vulva" schon mal auf der Startseite der
       deutschsprachigen Wikipedia prangt, nicht recht ins Konzept.
       
       Vor einem Jahr sorgte das Thema bereits für einen handfesten Streit. Der
       ehemalige Wikipedia-Co-Gründer Larry Sanger hatte Wikipedia beschuldigt,
       Kinderpornografie zu verbreiten. Daraufhin ging Wikimedia-Gründer Jimmy
       Wales mit einigen Anhängern durch den Bilderbestand der Wikipedia und
       löschte hunderte Bilder, die er als pornografisch empfand. Diese
       Hauruck-Auktion ohne vorherige ausführliche Diskussion jedoch erboste die
       freiwilligen Wikipedia-Mitarbeiter. Jimmy Wales musste einige formelle
       Privilegien abgeben.
       
       Wikimedia-Geschäftsführerin Sue Gardner übernahm und ließ erst einmal eine
       ausführliche Studie zu "kontroversen Inhalten" erstellen. Doch nur wenige
       Wikipedianer beteiligten sich an dem Diskussionsprozess. Auf der jährlichen
       Wikimania-Konferenz, die vor kurzem in Haifa Station machte, stand das
       Thema nicht einmal auf der Agenda. Stattdessen beschloss der Stiftungsrat,
       dass ein nutzerautonomer Filter eingeführt werden solle.
       
       In dem jetzt stattfindenden Referendum geht es also nicht mehr um die
       Frage, ob der Filter kommt. Die Wikipedianer sollen nur Input geben, welche
       Aspekte beim Design des Filters beachtet werden sollen. So steht die Frage
       im Raum, ob der Filter "kulturell neutral" gestaltet werden solle. So
       könnte der Filter auf Nutzerwunsch nicht nur sexuelle und gewalthaltige
       Motive verbergen, sondern auch Bilder, die von Anhängern bestimmter
       Religionen oder Nationalitäten nicht geduldet werden.
       
       Die Wikimedia Foundation hat zwar die volle Kontrolle über die Server und
       die Software der Wikipedia. Doch damit der Filter funktioniert, ist die
       Stiftung auf das Heer der freiwilligen Wikipedia-Autoren angewiesen. Der
       Filter kann nur Bilder ausblenden, wenn sie in bestimmte Kategorien
       einsortiert werden. Und diese Aufgabe können nur die Tausenden von
       Freiwilligen erfüllen, die sich um die Wikipedia-Inhalte kümmern.
       
       Doch in der Community regt sich Widerstand. So rufen einige Wikipedianer
       dazu auf, den Beschluss der Wikimedia Foundation rückgängig zu machen. "Die
       Wikipedia wurde nicht gegründet, um Informationen zu verbergen, sondern um
       sie zugänglich zu machen", heißt es in der
       [3][Meinungsbilder/Einf%C3%BChrung_pers%C3%B6nlicher_Bildfilter:Begründung]
       .
       
       "Artikel über Künstler, Kunstwerke und medizinische Themen könnten
       absichtlich oder ohne Absicht des Lesers wesentliche Teile ihrer
       Informationen verlieren. Das Ziel, ein Thema neutral und in seiner
       Gesamtheit darzustellen, wäre dadurch gefährdet." Immerhin 68 Nutzer der
       deutschsprachigen Wikipedia haben dies unterschrieben. Wer am längeren
       Hebel sitzt, wird sich erst in den kommenden Monaten zeigen.
       
       28 Aug 2011
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://meta.wikimedia.org/wiki/Image_filter_referendum
 (DIR) [2] /!68027/
 (DIR) [3] http://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Torsten Kleinz
       
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