# taz.de -- Freies Wissen im Netz: Geld entzweit Wikipedianer
       
       > Der Verein Wikimedia Deutschland will in Projekte investieren, die freies
       > Wissen fördern. Doch die Verteilung von Mitteln bringt Streit mit sich:
       > Zwei Vorstände sind zurückgetreten.
       
 (IMG) Bild: Das Geld sitzt locker, aber die Stimmung bei Wikimedia Deutschland ist es nicht.
       
       "Ohne Offenheit und gegenseitige Information ist für mich die Basis der
       Zusammenarbeit verloren", schreibt Alice Wiegand, bisher Zweite Vorsitzende
       des [1][//a:Vereins Wikimedia Deutschland] Anfang der Woche in einer Mail
       an die Vereinsmitglieder. "Uns allen wird nur noch mit Missgunst,
       Vorurteilen (und auch Vorverurteilungen) und Unterstellungen begegnet, und
       das mit jedem Mal, mit dem wir uns äußern." Wiegands Konsequenz: Sie zieht
       sich aus der Vorstandsarbeit zurück. Kurze Zeit darauf tritt auch Achim
       Raschka, Beisitzer im Wikimedia-Vorstand zurück: "Ich bin raus - so einen
       Scheiß muss ich mir nicht länger antun."
       
       Wie ist es soweit gekommen? In seiner letzten Vereinsversammlung hatte
       Wikimedia Deutschland die Einrichtung eines
       [2][Community-Projektbudget:Community-Projektbudgets] beschlossen. Der
       Verein ist eine Art Förderverein für Wikipedia und seine Schwesterprojekte.
       Dank der zahlreichen privaten Spenden geht es ihm gut: allein im
       Jahresabschluss hat er über 1,1 Millionen Euro an Einnahmen verzeichnet.
       Trotz des Ausbaus der Geschäftsstelle in Berlin blieben mehr als 340.000
       Euro übrig. Einen Teil dieses Geldes wollte die Vereinsversammlung in
       Projekte investieren, die direkt aus der Community an den Verein
       herangetragen werden.
       
       Verein und Projekt sind formal getrennt. Die Server der Wikipedia stehen in
       den USA, werden von der in San Francisco ansässigen [3][Wikimedia
       Foundation] betrieben. Der deutsche Verein bezahlt einige Server in
       Amsterdam und führt die jährliche Spendenkampagne durch, die den
       werbefreien Betrieb der Online-Enzyklopädie ermöglicht. Die Hälfte des
       Geldes wird in die USA weitergereicht, die andere Hälfte bleibt in
       Deutschland. Davon bezahlt der Verein seine Büros in Berlin, organisiert
       Konferenzen, Schulungen und betreibt Lobbying für freies Wissen.
       
       ## 
       
       Doch Verein und Wikipedia haben sich in den vergangenen Jahren auch real
       auseinandergelebt. Wurde die Wikipedia in den Anfangsjahren von einer
       relativ kleinen und eingeschworenen Gemeinschaft geschrieben und verwaltet,
       hat sich der Betrieb der freien Enzyklopädie in ein Millionen-Unternehmen
       verwandelt. Mit den Spendengeldern strebt die Wikimedia Foundation
       inzwischen die internationale Expansion an, will Büros in Indien, Brasilien
       und im Nahen Osten oder Afrika eröffnen, um der Kern-Mission der Stiftung
       näher zu kommen: Wissen dorthin zu bringen, wo die Menschen es am Nötigsten
       haben. Denn bisher ist die Wikipedia vor allem in den Industrieländern des
       Nordens erfolgreich. Gleichzeitig bemühen sich die US-Stiftung und ihre
       internationalen Ableger um gesellschaftliche Akzeptanz der Wikipedia, die
       mehr sein soll als eine Community von Menschen, die gerne Enzyklopädien
       schreiben.
       
       Doch mit der täglichen Arbeit auf der Wikipedia selbst haben diese
       Aktivitäten wenig zu tun: Wer Artikel schreibt, kümmert sich meist wenig um
       Projektanträge. Gleichzeitig halten sich Vereins-Mitarbeiter bei der Arbeit
       an der Wikipedia zurück, um nicht in den Verdacht zu geraten, unbotmäßig
       Einfluss auf die Community nehmen zu wollen.
       
       Die Spaltung zeigte sich, als der deutsche Verein im vergangen Jahr einen
       Ideenwettbewerb ausschrieb: Es meldeten sich vor allem externe
       Organisationen, um ihre Projekte für freies Wissen fördern zu lassen, unter
       den Wikipedianern fand das Geld nur relativ wenige Interessenten.
       
       Bei der Entscheidung über das Community-Budget hatte Wikimedia versucht,
       die Community stärker einzubinden. Ein eigener ehrenamtlicher
       Budgetausschuss wurde eingerichtet, Wikipedianer wählten eigene Vertreter
       in den Ausschuss, die über die schließlich 36 Vorschläge entscheiden
       sollten.
       
       ## 
       
       Doch Anfang Juli kommt es zum Eklat. Da der Projektausschuss auf Anfragen
       des Vereinsvorstands nicht antwortet, verschafft der Vereinsvorsitzende
       Sebastian Moleski sich und anderen Vorstandsmitgliedern Zugang zum internen
       Beratungs-Wiki des Budget-Ausschusses. Dessen Mitglieder sind empört: Sie
       vermuten eine unzulässige Einflussnahme.
       
       Nur langsam lassen sich die Gemüter beruhigen: In eilig angesetzten
       Telefonkonferenzen entschuldigt sich Moleski schließlich für seine Aktion.
       Die Arbeit des Projektbudgets geht weiter. Doch die Atmosphäre ist
       vergiftet. Einige besonders lautstarke Kritiker vermuten immer noch faules
       Spiel, beide Seiten beschuldigen sich gezielter Indiskretionen. Wörter
       werden auf die Goldwaage gelegt und in seitenlangen Diskussionen zerrissen.
       Ein [4][Shitstorm] entwickelt sich, der in der relativ kleinen Gemeinschaft
       der Wikipedianer beträchtlichen Schaden anrichtet.
       
       Für die Geschäftsstelle des Vereins ist der Konflikt erst einmal erledigt.
       "Die Einführung eines Community-Projektbudgets ist ein für alle Beteiligten
       neues Projekt, was in kürzester Zeit realisiert wurde", erklärt
       Wikimedia-Sprecherin Catrin Schoneville. "Wir verstehen die Entwicklung als
       einen Prozess 'learning by doing', und Konflikte und Diskussionen dienen
       auch hier dazu, das Projekt zu verbessern und weiterzuentwickeln."
       
       Eine Erfolgsmeldung kann der Verein vorweisen: Ein
       [5][Wiki_Loves_Monuments_Mittelhessen:erstes Projekt] wurde bereits
       bewilligt. Im September werden Wikipedianer sich in Mittelhessen
       einrichten, dort reihenweise Denkmäler fotografieren und die Fotos
       anschließend in die Wikipedia hochzuladen. Weitere fünf Projekte sollen in
       den kommenden Tagen vorgestellt werden. Egal wie sich die Streit um Gelder,
       Posten und Vertrauen entwickelt: Die Arbeit an der Wikipedia geht weiter.
       
       22 Jul 2011
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://onlinetaz.hal.taz.de/http
 (DIR) [2] http://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia
 (DIR) [3] http://www.wikimedia.org/
 (DIR) [4] /Jugendmedienschutz-Staatsvertrag/!62180/
 (DIR) [5] http://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Torsten Kleinz
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Umstrittene Jugendschutzfilter: Wikipedia probt die Demokratie
       
       Mit einer Abstimmung unter Wikipedia-Autoren will die Wikimedia Foundation
       Unterstützung für einen Filter gegen "kontroverse Inhalte" finden.
       
 (DIR) Internet und Wissen: Vergessen ist nützlicher
       
       Kulturpessimisten haben gewarnt: Das Internet macht das Gehirn faul und zu
       viel abrufbares Wissen lässt uns Menschen nicht mehr entscheiden. Doch die
       These ist falsch.
       
 (DIR) Zwist um Wikipedia: Die anonymen Wächter
       
       Mit der Arbeitsstelle "Wiki-Watch" wollten Medienrechtler für mehr
       Transparenz bei Wikipedia sorgen. Doch Wikipedianer verdächtigen die
       Verantwortlichen, ein falsches Spiel zu treiben.