# taz.de -- Kampf gegen die Kriminalität in Russland: Putins Kritikern droht Zwangsjacke
       
       > Ein neues Gesetz zur Verbrechensprävention sieht eine Zwangseinweisung
       > potenzieller Täter in die Psychiatrie vor. Von Bürgerrechtlern kommt
       > Kritik.
       
 (IMG) Bild: Sinnbild für sowjetische Praktiken: die Zwangsjacke.
       
       MOSKAU taz | Russland bereitet ein Gesetz zur Verbrechensprävention vor.
       Laut Innenministerium sei die gesetzliche Handhabe nicht ausreichend, um
       potenziellen Straffälligen schon im Vorfeld das Handwerk zu legen. Das
       Ministerium verweist auch auf die nach wie vor hohe Verbrechensrate.
       
       Das Projekt ist Teil der "Nationalen Sicherheitsstrategie 2020". Die Arbeit
       an dem Gesetz (über das System der Verbrechensverhütung in der Russischen
       Föderation) wird seit Ende 2010 mit Nachdruck betrieben. Im Dezember hatten
       Massenproteste von Fußballfans und rechtsradikalen Gruppen den Kreml kalt
       in helle Aufregung versetzt. Nach dem Mord eines Kaukasiers an einem
       russischen Fan war es in Moskau zu pogromartigen Ausschreitungen gekommen.
       
       Der Entwurf sieht "Zwangsmaßnahmen medizinischer Art" für potenzielle
       Straftäter vor und will Individuen mit abweichendem Verhalten in
       psychiatrische Anstalten einweisen. Bevor Derartiges zur Anwendung kommt,
       empfiehlt der Maßnahmenkatalog unterdessen noch ein "prophylaktisches
       Gespräch". Als Verdachtsmomente sollen bereits Hinweise von Nachbarn und
       Presseberichte ausreichen.
       
       Die öffentliche Reaktion auf den Entwurf ist gespalten. Michail Winogradow
       vom Zentrum für psychologische Hilfe in Extremsituationen unterstützt die
       Initiative, da Psychiatern die Hände gebunden waren: "Solange ein psychisch
       Labiler mit einer Axt rumläuft und nur droht, hat nach gültiger Rechtslage
       kein Psychiater eine Handhabe, sich ihm zu nähern." Außerdem würde zum
       ersten Mal gesetzlich psychisch Kranken in Russland ausreichende Hilfe
       zugesichert.
       
       ## Rückkehr zu sowjetischen Praktiken
       
       Bürgerrechtler sehen in dem Vorstoß einen Versuch, zu sowjetischen
       Praktiken zurückzukehren: "Die quasiadministrativen Methoden der
       Überwachung und unfreiwilligen Einweisung in psychiatrische Anstalten
       werden eine lange Liste unguter Dinge nach sich ziehen", fürchtet der
       Menschenrechtsanwalt Juri Lutschinski. Präventive Maßnahmen seien weltweit
       üblich. Das geplante Gesetz eröffne aber neue Möglichkeiten für Willkür, da
       die russische Polizei zivilen Standards nicht genüge, gibt Boris Pustinzew
       von der NGO "Bürgerkontrolle" zu bedenken. Würde die Polizei ihren
       Pflichten ernsthaft nachkommen, wäre Vorbeugung auch im jetzigen
       Gesetzesrahmen möglich.
       
       Die Vermutung, dass sich das Gesetz vor allem gegen politisch
       Andersdenkende richten könnte, teilt auch die Grande Dame der russischen
       Bürgerrechtsbewegung, Ludmila Alexejewna. Sollte unter Gesetzesverletzung
       wieder abweichendes Denken verstanden werden, "dann handelt es sich um eine
       psychiatrische Strafmaßnahme wie in der Sowjetunion", sagte sie der
       Nesawissimaja Gaseta.
       
       Die Psychiatrie hat auch im neuen Russland keinen guten Ruf. Dies liegt
       nicht nur an den alarmierenden Zuständen in Krankenhäusern, die elementare
       Persönlichkeitsrechte der Patienten missachten. Vor allem die unveränderten
       Behandlungsmethoden mit veralteten Medikamenten seien "tragisch", meint
       Juri Sawenko, Vorsitzender der Unabhängigen Psychiatrischen Assoziation.
       Experten weisen auch darauf hin, dass der verfassungsrechtliche
       Persönlichkeitsschutz, die grundlegende Annahme körperlicher und geistiger
       Unversehrtheit, wenn vom Gericht nicht anders bewiesen, in dem Entwurf
       verletzt wird.
       
       ## Psychiatrie als Schutz des Staates
       
       In der Sowjetunion tat sich die Psychiatrie als Handlangerin des Systems
       hervor. Dissidenten wurden zu Tausenden in Anstalten weggeschlossen.
       Psychiater schrieben auch mentale Krankheitsbilder um. So wurde Paranoia
       als eine Obsession für "den Kampf für Wahrheit und Gerechtigkeit" oder
       "Verblendung durch Reform" definiert, meinte der ehemalige Dissident
       Wladimir Bukowski, der zwölf Jahre in Arbeitslagern und Anstalten
       verbrachte. Die Aufgabe der Psychiatrie war Schutz des Staates, nicht
       Behandlung psychisch Kranker.
       
       Auch jetzt missbraucht man psychiatrische Gutachten, um Eigentum und
       Wohnungen vor allem älterer Bürger zu erschleichen. Aber auch
       Oppositionelle werden noch in Sicherheitsgewahrsam genommen. 2007 wurde die
       Journalistin Taisia Arap monatelang in einer Klinik festgehalten. Sie hatte
       über Missbrauch in psychiatrischen Kliniken berichtet.
       
       5 Sep 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Klaus-Helge Donath
 (DIR) Klaus-Helge Donath
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
       
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