# taz.de -- Atomunfall im Nuklearzentrum Marcoule: Ganz nah an der Rhône
       
       > Nach dem Unfall beschwichtigt das Atomenergiekommissariat, es sei
       > "keinerlei Radioaktivität" nach außen entwichen. Polizei und
       > Atomkraftgegner sind skeptischer.
       
 (IMG) Bild: Ein Spezialist überprüft vor der Atomanlage den Grad der radioaktiven Strahlung.
       
       PARIS taz | Dieses eine Mal konnten die französischen Behörden nicht wie
       sonst einen Vorfall in einer der so zahlreichen Atomanlagen mit der
       üblichen Formulierung "für Menschen, Umwelt und Natur unschädlich"
       verharmlosen. Der tragische Grund dessen ist die unmittelbare Opferbilanz:
       [1][Einen Toten und mindestens einen Schwerverletzten hat es am Montag
       gegeben bei der Explosion in der mit der Entsorgung radioaktiver Abfälle
       beschäftigten Fabrik Centraco].
       
       Diese Anlage gehört der Firma Socodei, einer Tochterfirma des französischen
       Energiekonzerns und AKW-Betreibers Electricité de France (EDF). Sie steht
       auf dem Gelände des Nuklearzentrums Marcoule im unteren Rhonetal in der
       Nähe der Städte Orange und Avignon, mitten in einem für den Tourismus und
       den Weinbau attraktiven Gegend.
       
       Obschon das staatliche Atomenergiekommissariat CEA sofort mitteilte, es sei
       "fürs Erste" keinerlei Radioaktivität nach außen entwichen, warnten Polizei
       und Feuerwehr davor, dass es zu Strahlenschäden kommen könnte. Sie
       richteten aus diesem Grund auch eine "Sicherheitszone" um die Anlage herum
       ein, damit Anwohner oder Unbefugte auf Distanz bleiben.
       
       Angesichts der widersprüchlichen Informationen teilte die französische
       Atomschutzbehörde ASN auf dem Regionalsender France 3 mit, es bestehe "die
       Möglichkeit sehr schwacher radioaktiver Austritte, aber ohne radioaktive
       Belastung der Luft". Das war eine wichtige Präzisierung, weil zum
       fraglichen Zeitpunkt der Wind in Richtung der nur 30 Kilometer südlich
       gelegenen Stadt Avignon wehte.
       
       Die Centraco war von der ASN nach Inspektionen mehrfach gemahnt worden, die
       Sicherheitsbestimmungen ernster zu nehmen. Bei einem Routinetest im
       vergangenen Mai wurde eine Funktionsstörung festgestellt, die "einen
       Ausfall des Brandalarms in der Verbrennungseinheit nach sich zog".
       
       ## Personal erst spät alarmiert
       
       Warum es in diesem Verbrennungsofen, in dem hauptsächlich schwach
       verstrahlte Handschuhe, Schutzanzüge von Beschäftigten in anderen Anlagen
       und weitere aus verschiedensten Materialien bestehende Abfälle entsorgt
       werden, zu dieser Explosion kommen konnte, war dennoch vorerst nicht
       bekannt. Betroffen war offenbar ein Ofen, in dem vor allem metallische
       Rückstände eingeschmolzen werden.
       
       Eine Person, die sich in der Nähe des Schmelzofens befand, wurde auf der
       Stelle getötet, eine andere mit schwersten Verbrennungen ins Krankenhaus
       von Montpellier eingeliefert; drei weitere Beschäftigte erlitten leichtere
       Verletzungen. Nach Angaben der Rettungskräfte wurde das Gebäude selbst
       nicht schwer beschädigt. Obwohl sich die Explosion um 11.45 Uhr ereignet
       habe, sei das Personal in den übrigen Anlagen erst gegen 13 Uhr alarmiert
       und in einem Schutzraum in Sicherheit gebracht worden, meldete das
       Onlineportal von 20 minutes unter Berufung auf telefonische Berichte von
       Betroffenen.
       
       Die grüne Präsidentschaftskandidatin Eva Joly forderte eine sofortige und
       transparente Aufklärung des Vorfalls sowie Informationen: "Sechs Monate
       nach der Katastrophe von Fukushima veranschaulicht dieses Unglück, wie
       inakzeptabel das Risiko ist, das die Atomkraft für das menschliche Leben
       darstellt. Die Energiealternativen existieren, die Stunde des Ausstiegs aus
       der Nuklearenergie hat geschlagen", sagte sie in einer Stellungnahme.
       
       Sicher ist, dass der spektakuläre Unfall von Marcoule, auch wenn er auf die
       Industrieanlage begrenzt blieb, den Argwohn selbst in einer "Nuklearnation"
       wie Frankreich schürt. Seit Fukushima wünschen mehr als 60 Prozent den
       sofortigen oder langfristigen Ausstieg und die Umstellung der Versorgung
       auf andere und wenn möglich erneuerbare Quellen.
       
       ## "Sehr besorgniserregend"
       
       Besonders besorgniserregend ist das Unglück von Marcoule, weil in dieser
       Anlage verschiedenste Produktions-, Versuchs- und Entsorgungsanlagen
       konzentriert sind. Einige davon sind bereits stillgelegt und werden
       allmählich entsorgt, was zum Teil noch Jahrzehnte dauern dürfte. Im Komplex
       Marcoule wurde ab den 1950er Jahren das spaltbare Material für die
       Atombomben der "Force de frappe" entwickelt.
       
       Neben der von dem Unglück betroffenen Fabrik Centraco stehen aber auch der
       allererste Neutronenbeschleuniger oder schnelle Brüter "Phénix" (nicht zu
       verwechseln mit dem größeren "Superphénix" von Creys-Malville) sowie die
       Plutoniumwerke der Firma Melox, in der "MOX", ein Gemisch aus Uran und
       Plutonium für Brennstäbe der Reaktoren, hergestellt wird.
       
       Charlotte Mijeon vom Dachverband der französischen Atomkraftgegner "Sortir
       du Nucléaire", sagte auf Anfrage, das Unglück sei "sehr besorgniserregend".
       Denn diese Anlage liege "auf einem der größten Nuklearkomplexe Frankreichs,
       wo äußerst gefährliches spaltbares Material gelagert wird. Auch wenn in der
       betroffenen Fabrik selber kein Plutonium verarbeitet wird, sind wir doch
       sehr besorgt wegen der grundsätzlich vorstellbaren Kettenreaktion in Bezug
       auf die anderen Anlagen. Zum Dritten befürchten wir radioaktive Strahlung
       für die Umwelt."
       
       Sie gibt zu bedenken, dass die Rhône nur 200 Meter und die Kleinstadt
       Orange mit rund 30.000 Einwohnern nur sieben Kilometer entfernt seien.
       Falls also Radioaktivität in der ein oder anderen Form entweichen sollte,
       gelange diese in kürzester Zeit in bewohntes Gebiet. "Sortir du Nucléaire"
       kritisiert ebenfalls Innenminister Claude Guéant, der beschwichtigend
       meinte, es handle sich da nicht um ein "nukleares" Problem, sondern um
       einen letztlich banalen "Industrieunfall".
       
       12 Sep 2011
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Rudolf Balmer
       
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