# taz.de -- Künast im Wahlkampf: Für uns solls Wowibären regnen
> Vor der Berliner Wahl am Sonntag ist allen alles klar: Die
> Grünen-Spitzenkandidatin Renate Künast hat es vergeigt. Stimmt das? Und
> was würde daraus folgen?
(IMG) Bild: Renate Künasts Themen kamen in Berlin nicht so richtig an.
BERLIN taz | Künast? Auf diese, hm, Frage kriegte man in den Gesprächen im
links sozialisierten Berliner Bürgermilieu wochenlang als Reaktion ein
gequältes Gesicht. Und drei wiederkehrende Anmerkungen. Erstens: "Also, als
Verbraucherministerin fand ich sie ja gut." Mit Bio, Bauern und so.
Zweitens: "Heute würde die doch sogar mit der CDU koalieren, nur damit sie
Regierende wird." Tenor: Hochverrat. Ergo, drittens: "Künast hat es total
verkackt." Irgendwie und sowieso.
Von der Berliner CDU wissen die meisten zwar nur, dass die "gar nicht
geht", aber das reicht ja allemal für eine wohlüberlegte Wahlentscheidung.
Also lieber SPD (die Älteren) oder Piraten (die Jüngeren). Fühlt sich
einfach besser an. Als die Umfragen immer schlechter wurden, erklärte
Künast Ende letzter Woche ihre Kapitulation. Am Kreuzberger Oranienplatz
enthüllte sie ein Wahlkampfplakat - ohne ihren Namen und mit dem genialen
Slogan: "Berlin gewinnt".
Es goss in Strömen, großartige Symbolfotos also, aber das hätte es gar
nicht mehr gebraucht. "Nicht mit der CDU", sagte sie und stufte die Grünen
dann kurz und knapp wieder zurück in ihre alte Rolle als Korrektiv einer
SPD-geführten Regierung. Es sei an der SPD, nun entweder mit Grün die Stadt
zu modernisieren "oder mit der CDU Autobahnen zu bauen". Wer das gruslig
platt findet, sollte bedenken, dass die Partei und ein Teil der
Gesellschaft sie mehr oder weniger dazu gezwungen haben.
Es war eine späte Notbremse. Die Rücknahme eines historischen Schritts, den
Künast und die Berliner Grünen im vergangenen November gewagt hatten:
erstmals den Führungsanspruch in einem Bundesland zu stellen, also das
Gestaltungsversprechen zu geben, statt wie sonst das Schlimmste zu
verhindern. Parteichef Cem Özdemir stand am Oranienplatz neben Künast im
Regen und zuckte auf die Frage nach der Notbremse lapidar mit den
Schultern: Tja, was soll man machen, hieß das wohl, wenn man
"Eigenständigkeit" sagen will und die anderen hören immer nur "CDU"? Im
Hintergrund hatten die Grünen längst umgeschwenkt und jedem erzählt, dass
Berlin halt "rot-grün" ticke.
Es ging auch nicht allen immer um den Chefinnensessel im Roten Rathaus. Es
geht um Abgeordnete, die nach zehn Jahren endlich in die Landesregierung
wollen, geht um Bezirksbürgermeisterposten, und selbst für Künast geht es
um das politische Leben nach dem Wahltag.
## Aus Fehlern lernen
Rückblickend kann man behaupten, dass der große Sprung falsch war. Vieles
sieht heute schräg aus. Der frühe Zeitpunkt (damals schien er richtig), der
grüne Führungsanspruch (damals schien er logisch), die Fokussierung auf Amt
und Person (damals schienen es positive Treiber zu sein), die Eigenheiten
der Spitzenkandidatin (damals sah man die positiven Seiten). Wer künftig
als Grüner eine Wahl wirklich gewinnen will, dem wird die Analyse von
Künasts Wahlkampf wertvolle Dienste leisten. Ex negativo. Aber immerhin.
Mag sein, dass Künast ihre "Inhalte" nicht immer rübergebracht hat. Aber
die Überlegung lautete häufig auch gar nicht: Wofür wähle ich Künast?
Sondern: Wie komme ich rüber, wenn ich Künast wähle? Wer sie nicht wählt,
scheint auf der sicheren Seite, emotional-ästhetisch. Abends zu müde für
Sex? Da sagt man einfach geschlechterübergreifend: "Du, sorry. Habe grade
an Künast und Wärmedämmung gedacht, jetzt geht leider nichts mehr." Da hat
jeder Verständnis, und dann müssen wir auch hier zumindest heute noch nicht
ran.
Es ist freilich längst nicht nur Künast. Es ist zum Teil das Vermissen
inhaltlicher Angebote, zum Teil deren Ablehnung. Zu einem Teil, der
vielleicht gar nicht so groß ist wie laut, nehmen lebenslange Grünenwähler
der Partei - wie auch schon in Hamburg - aber auch das übel, was ihnen
selbst widerfährt: erwachsen sein müssen, Kompromisse machen, scheitern an
großen Vorsätzen.
Künast im Wahlkampf. Kommt stets mit dem Renate-Mobil elektrisch und
emissionsfrei angefahren. Selbst das ist manchen schon wieder nicht recht.
An einem Montag ist sie von Unternehmen eingeladen, sich eine
Wasserstofftankstelle anzusehen. Sie trägt eine kurzärmlige, purpurfarbene
Bluse mit weißer Hose, die Männer tragen ihrer Gehaltsstufe entsprechende
Anzüge. Sie hört zu oder tut so. Macht sich während des einleitenden
Vortrags Notizen. Mit einem dicken Stift. Sieht aus, als sei der nicht zum
Wegwerfen produziert. Was als bewusster Nachhaltigkeitskonsum interpretiert
werden könnte. Aber von Skeptikern auch als Indiz für die Abgehobenheit der
Grünen.
## Nichts Neues nach 1920
Weil ein Sozialtransferempfänger sich so einen Stift ja nicht leisten
könne. Als der Vortrag zu Ende ist, will sie loslegen, hält aber grade noch
inne und sagt: "Danke, erst mal." Dann ist aber klar, dass sie hier die
Jungs belehrt und nicht andersherum. Sicher, Berlin habe eine gute
Mobilitätsstruktur. Aber die sei "von 1920. Danach ist nichts mehr
gekommen." Sie spricht auch hier von dem Plan, ein Klimastadtwerk zu
gründen. Und davon, wie man die deutschen Autounternehmen immer antreiben
muss.
Ihr Elektro-Mercedes für den Wahlkampf etwa. Daimler hatte doch tatsächlich
behauptet, es gäbe keinen mehr. Sie knurrte: "Wollen Sie wirklich, dass ich
mit einem japanischen Auto Wahlkampf mache und jeden Morgen sage: Die
Deutschen haben mir keins gegeben?" Da hatten sie doch noch eins. Künast
ist durchsetzungsfähig, soll das heißen, die lässt sich nichts bieten, die
kriegt, was sie will.
Was ja gut ist. Eigentlich. Doch wer verstehen will, was Künast falsch
gemacht hat, muss erst mal verstehen, warum Leute, die jahrelang nichts von
Amtsinhaber Wowereit oder gar der Berliner SPD hielten, sich nun verzückt
um seine Wowibären balgen. Künasts quecksilbrige Aktivität irritiert sie.
Sie sieht immer so unentspannt aus, als arbeite sie von früh bis spät und
habe überhaupt keinen Spaß dabei. Und erinnert ihre Parole "Da müssen wir
ran" nicht an einen nörglerischen Ehepartner, der will, dass man die
Wohnung endlich renoviert? Es klingt nicht wie das Versprechen einer
besseren Zukunft, sondern wie eine Drohung: Oh Gott, die will ran.
## Einfach so weiter
Wowereit dagegen: Wie Manfred Wolke einst seinem Boxer Henry Maske, so
flüstert der seinen Berlinern ein entspanntes "Janz ruhig, et läuft" ins
Ohr. So gut, dass die gern auch sitzen bleiben können in ihrer never-ending
Ringpause. Ökowelthauptstadt? Ach, Gebäudesanierung läuft doch prima.
Mobilität? Auch prima, jetzt von der S-Bahn mal abgesehen. Mieten? Wer,
wenn nicht SPD. Sozialtransferwirtschaft? Boomt.
Klaus Wowereit raubt den Leuten nicht die Illusionen, er verkörpert sie.
Weltmetropole. "Be Berlin!" Was immer das sein soll. Er ist dabei auch die
Projektionsfläche für Leute, die es besser wissen, etwa weil sie täglich
auf dem Fahrrad überleben müssen, was schlimm ist. Aber nicht so schlimm,
dass sie ernsthaft Fahrradwege wählen würden. Zu poplig. Für manch urbanen
Berliner ist die Politik aus dem Abgeordnetenhaus einfach eine Nummer zu
klein.
Die Grünen werden am Sonntagabend gegebenenfalls darauf verweisen, dass ihr
Balken von 13,1 Prozent 2006 jetzt ganz schön angewachsen sei. Dennoch
sieht man nun auch, wie schwierig es ist, wenn statt Angst- und Wutthemen
wie in Baden-Württemberg auch Politik angeboten wird, die ins 21.
Jahrhundert passt: Elektromobilität, Gebäudesanierung, moderner
Wirtschaftsstandort, Diskussion darüber, wie man Sanierung und bezahlbare
Mieten vereint.
## 0,4 Liter Schultheiss für 1,90 Euro, das ist ein Wort
Wenn man die einigermaßen urbanen Zonen Berlins verlässt und im Süden
Neuköllns oder im Norden durch die Straßen spaziert, merkt man schnell, wie
weit weg Künasts Politikvorschlag einer Umweltindustriemetropole noch ist.
Mit Netzwerkplanung den CO2-Footprint der gesamten Produktionskette senken?
Häh? 0,4 Liter Schultheiss für 1,90 Euro, das ist ein Wort. Aber das war
bei aller "Eine für alle"-Rhetorik eh nicht Wählerbasis für eine ökosoziale
und libertäre Politikalternative zum rot-roten Etatismus. Wenn aber in den
politisierten Milieus die Dämmung von Gebäuden schon das Werk von
asozialen, champagnersüchtigen Luxusökoteufeln ist, dann wird es schwierig
in diesem Land.
Insofern stünde ein Scheitern von Renate Künast zum einen für die
grundsätzliche Erkenntnis, dass Künast als Spitzenkandidatin nicht
funktioniert. Und für die temporäre Erkenntnis, dass grüne Führung noch
nicht nachgefragt wird. Es stünde zusammen mit seiner Kehrseite des
fröhlichen Wowi-Enthusiasmus aber auch für die anhaltende gesellschaftliche
Blockade, sich ernsthaft mit etwas auseinanderzusetzen, was nicht nur
Berlin betrifft: das gesellschaftliche Morgen.
Aber was sage ich da? Die Künast hats verbockt. Und für uns solls Wowibären
regnen.
16 Sep 2011
## AUTOREN
(DIR) Peter Unfried
## TAGS
(DIR) Schwerpunkt Wahlen in Berlin
(DIR) Schwerpunkt Wahlen in Berlin
(DIR) Schwerpunkt Wahlen in Berlin
## ARTIKEL ZUM THEMA
(DIR) Unterwegs mit Adbustern: Renate kämpft (in Afghanistan)
Mit Kleister und Spraydose verfremdet die Kommunikationsguerilla
Wahlplakate - gegen einen inhaltsleeren Wahlkampf. Am Freitag zogen sie ein
letztes Mal los.
(DIR) Neue Umfrage vor der Berlin-Wahl: Geht Rot-Grün die Puste aus?
Die Grünen sacken in neuester Umfrage deutlich ab. Setzt sich der Trend
fort, hat Rot-Grün keine Mehrheit. Alternativen wären Rot-Grün-Rot - oder
doch Rot-Schwarz
(DIR) Kommentar Wahlen in Berlin: Hüter der Coolness
Weil das grün-alternative Milieu die Stadt zu dem gemacht hat, was sie
heute ist, gehören die Grünen auch in die Regierung – meint ein
Alt-Berliner.
(DIR) TV-Duell Künast gegen Wowereit: "Die Zeit ist vertan"
Beim Fernsehduell hätten die Berliner Spitzenkandidaten Künast und Wowereit
fast für Klarheit in der Koalitionfrage gesorgt. Doch das wollten die
Moderatoren doch nicht zulassen.