# taz.de -- Förderung für Hartz-IV-Kinder: Warten auf Sport
       
       > Mit der Hartz-IV-Reform sollten arme Kinder in die Vereine gebracht
       > werden. Eine Erfolgsgeschichte ist das nicht. Die Situation hat sich
       > sogar verschlechtert.
       
 (IMG) Bild: Boxen: Aber nur durchs Leben und nicht im Ring.
       
       BERLIN taz | "Ein Gesetz initiieren und sich dann einen Dreck darum
       scheren, wie es umgesetzt wird, das geht doch nicht." Anne B. sagt das. Sie
       meint Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) und ihr Bildungspaket,
       das seit April in Kraft ist.
       
       Die Mutter von vier Jungs, von denen der älteste gerade Abitur gemacht hat
       und der jüngste noch in den Kindergarten geht, wartet auf einen Bescheid
       des Jobcenters Berlin-Mitte. Doch der Antrag auf Übernahme des
       Vereinsbeitrags wird einfach nicht bearbeitet.
       
       Zwei ihrer Jungs sind im Sportverein. Der 15-jährige Karl lernt
       Bogenschießen bei der SG Bergmann Borsig, der zwei Jahre jüngere Ludwig
       spielt Badminton beim SSV Rotation Berlin. 140 Euro muss Anne B. für die
       beiden im Jahr an Beiträgen zahlen.
       
       Bis jetzt zahlt sie das von dem Geld, das ihr von Amts wegen zusteht.
       Zusammen mit einer Freundin, die ähnlich schlechte Erfahrungen mit dem
       Jobcenter gemacht hat, wandte sie sich in einem Brief an Ministerin von der
       Leyen.
       
       Die Antwort aus deren Büro half der Geringverdienerin, deren Gehalt von der
       Behörde aufgestockt wird, nicht weiter: "Das Bildungspaket wurde vom
       Bundesministerium für Arbeit und Soziales zur Umsetzung des Inhalts an die
       Länder übergeben."
       
       Dass seitdem Kinder aus sozial schwachen Familien in die Sportvereine
       drängen, wird niemand behaupten. Dass nicht einmal denjenigen, die eine
       Förderung beantragen, geholfen wird, ist für Anne B. ein Skandal. Andreas
       Ebeling, Sprecher der Jobcenter in Berlin, weiß, dass es mit der
       Bearbeitung der Anträge nicht zum Besten bestellt ist.
       
       "Es kann schon sein, dass es in dem ein oder anderen der zwölf Berliner
       Jobcenter zu einem Bearbeitungsstau gekommen ist", sagt er. Nach
       schleppendem Beginn, als viele der anspruchsberechtigten Empfänger von
       Arbeitslosengeld II oder Wohngeld die nötigen Formulare noch nicht hatten,
       seien mit Schuljahresbeginn im August sehr viele Anträge eingegangen.
       
       Seit August? Anne B. hat den ersten Antrag auf Übernahme der
       Vereinsbeiträge drei Tage nach Inkrafttreten des Bildungpakets am 1. April
       gestellt. Fristgerecht hat sie zudem vor Ende Juni die rückwirkende
       Kostenübernahme vom Januar 2011 an beantragt. Vergeblich. Ob ihr Antrag
       überhaupt registriert wurde, kann sie nicht sagen.
       
       ## Situation in Berlin verschlechtert
       
       "Suboptimal" findet Heiner Brandi, Referent für Jugendfragen im
       Landessportbund Berlin, die Situation in Berlin, wo es besonders wichtig
       sei, Kinder und Jugendliche aus sozial schwachem Umfeld über die
       Sportvereine zu fördern. Er sagt selbst, dass er seine Kritik "sehr
       zurückhaltend" ausgedrückt hat.
       
       Denn er weiß, dass sich die Situation in Berlin seit Einführung des
       Bildungspakets sogar verschlechtert hat. Bis 2010 organisierte der
       Landessportbund das Programm "Kids in die Sportclubs". Mit Mitteln des
       Europäischen Sozialfonds wurde der Mitgliedsbeitrag für mehr als 2.700
       Sport treibende Kinder gezahlt.
       
       Die Vereine konnten die Unterstützung für ihre jungen Mitglieder direkt
       beantragen. Der bürokratische Aufwand hielt sich in Grenzen. Das System
       funktionierte. Weil aber eine Doppelförderung nicht erlaubt ist, musste es
       beendet werden. "Wir können heute schon sagen, dass es nicht gelungen ist,
       alle bisher geförderten Kinder und Jugendlichen in das neue Programm zu
       überführen", sagt Brandi.
       
       ## Chaos in den Vereinen
       
       Er hat noch ein weiteres Problem erkannt. Die Vereine tun sich schwer im
       Dialog mit den Behörden. Die zahlen, wenn sie denn mal einen Antrag
       bewilligt haben, den Vereinsbeitrag direkt an die Klubs. Über die
       Bedürftigen selbst soll das Geld nicht fließen - das war ja eine der
       Grundvoraussetzungen des Bildungspakets.
       
       Die Namen und Aktenzeichen, die bei den Überweisungen verwendet werden,
       sagen aber den Kassenwarten oft nichts. So entsteht nicht selten Chaos.
       Hier für Ordnung zu sorgen, ist gar nicht so einfach. Ehrenamtlich
       verwaltete Vereine treffen auf Behörden. Für Letztere sei das eine völlig
       ungewohnte Situation, meint Brandi.
       
       "Der bürokratische Aufwand ist schon extrem", sagt Helga Ecke, die beim SSV
       Ulm in der Mitgliederverwaltung arbeitet. Nur gut, dass erst zehn Ulmer
       Kinder und Jugendliche die Übernahme des Mitgliedsbeitrag durch das Amt
       beantragt haben. Eine erstaunlich niedrige Zahl für einen Mehrspartenklub
       mit 28 Abteilungen, der mit seinen über 9.000 Mitgliedern zu den zehn
       größten Sportvereinen in Deutschland gehört. Helga Ecke wundert das nicht.
       
       In Ulm hätte man das Bildungspaket eh nicht gebraucht. Der Verein "Sport
       für alle", der vom Logistikunternehmer Edip Turkoglu vor zwei Jahren
       gegründet wurde, übernehme die Mitgliedsbeiträge von Kindern aus sozial
       schwachen Familien. Allerdings fördert "Sport für alle", der sich aus
       Spendengeldern finanziert, ausschließlich Grundschulkinder.
       
       Der Verein verteilt Flyer in den Grundschulen. Darin befindet sich ein
       Gutschein, den die Kinder zusammen mit einem Nachweis ihrer Bedürftigkeit
       bei ihrem Sportverein abgegeben. Der wendet sich damit an "Sport für alle"
       und bekommt den Mitgliedsbeitrag überwiesen. So einfach ist das.
       
       ## "HartzIV-Ziele entschieden verfehlt"
       
       Einen dauerhaften Anspruch auf Förderung gibt es bei derartigen Projekten
       nicht. Wenn die Spender und Sponsoren ausbleiben, fließt kein Geld mehr.
       Auch Andreas Ebeling von den Berliner Jobcentern hat schon davon gehört,
       dass Sponsorenmodelle eingestellt wurden, seit es das Bildungspaket gibt.
       Die Notwendigkeit werde einfach nicht mehr gesehen.
       
       In Baden-Württemberg hat der Sozialverband Caritas die Befürchtung
       geäußert, auch viele freiwillige Leistungen von Kommunen könnten
       eingestampft werden. "Das ursprüngliche Ziel, mit der Hartz-IV-Reform armen
       Kindern mehr Chancen auf Bildung und Teilhabe einzuräumen, werde somit
       entschieden verfehlt", wird Johannes Böcker, Caritas-Direktor der Diözese
       Rottenburg-Stuttgart, in einer Pressemitteilung des Verbandes zitiert.
       
       Anne B. hat indes die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Irgendwann weiß sie
       vielleicht auch, wer im Jobcenter für sie zuständig ist. Briefe von fünf
       verschiedenen Sachbearbeiterinnen hat sie erhalten - und einen ersten
       positiven Bescheid. Das Mittagessen ihres Kleinsten, des fünfjährigen
       Emilio, wird demnächst mit 3 Euro im Monat bezuschusst. Wie es mit den
       Vereinsmitgliedschaften aussieht, weiß sie noch immer nicht.
       
       Zeit, sich noch intensiver mit dem Amt auseinanderzusetzen, hat sie nicht.
       Die studierte Rehapädagogin arbeitet 19 Stunden in der Woche als Betreuerin
       in einer Wohngemeinschaft geistig und körperlich behinderter Menschen. Weil
       sie auch Spätdienste und Wochenenddienste macht, ist ihr Gehalt nicht immer
       gleich hoch.
       
       Für jeden Monat muss sie dem Jobcenter eine genaue Abrechnung vorlegen.
       Jedes halbe Jahr wird ihre Bedürftigkeit aufs Neue grundsätzlich geprüft.
       All das ist mit hohem bürokratischen Aufwand verbunden. Umso mehr ärgert
       sie sich darüber, dass sie nun auch noch den Leistungen aus dem
       Bildungspaket hinterherlaufen muss.
       
       So zahlt sie erst einmal die Vereinsbeiträge für ihre Kinder aus dem schmal
       bemessenen Familienbudget. Neulich musste sie 100 Euro Leihgebühr für den
       Sportbogen ihres Sohnes zahlen. "Muss eben sein", sagt sie.
       
       16 Sep 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Rüttenauer
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Bei den Langzeitarbeitslosen wird gespart: Förderprogramme schrumpfen
       
       Der Bundestag beschließt die Neuausrichtung der Arbeitsmarktpolitik. Vor
       allem Langzeitarbeitslose sind von den Einsparungen betroffen.
       
 (DIR) Alleinerziehende Hartz-IV-Empfängerin: Annas Träume
       
       Sie will bald Arbeit finden, denn sie hat Angst davor, verwaltet zu werden.
       Aber was die alleinerziehende Hartz-IV-Empfängerin Anna vor allem vermisst,
       ist Würde.
       
 (DIR) Studie in Deutschland: Jedes sechste Kind von Armut bedroht
       
       Besonders betroffen sind Kinder von Alleinerziehenden, sagt das Statitische
       Bundesamt. Der Paritätische Wohlfahrtsverband kritisiert die Zahlen.
       
 (DIR) Bericht der Vereinten Nationen: Deutschland ist beratungsresistent
       
       Hierzulande muss mehr gegen Kinderarmut getan werden. Das fordern die
       Vereinten Nationen und lassen so gut wie kein Haar an der deutschen
       Sozialpolitik