# taz.de -- Parlamentswahlen in Lettland: Historischer Erfolg für Linksbündnis
> Das "Harmonie-Zentrum", das vor allem die Interessen der russischen
> Minderheit vertritt, wird stärkste Kraft. Die Chancen mitzuregieren sind
> gering.
(IMG) Bild: Stimmabgabe am vergangenen Samstag in Ligatne.
STOCKHOLM taz | Bei den Parlamentswahlen in Lettland am Samstag hat das
sozialdemokratische "Harmonie-Zentrum" ("Saskaas Centrs") einen
historischen Sieg errungen. Mit ihm wurde erstmals seit der Unabhängigkeit
des Landes eine Partei des linken Flügels stärkste Kraft. 28,5 Prozent,
drei Prozent mehr als bei den Wahlen vor 11 Monaten, stimmten für dieses
Bündnis linker Parteien, das sich als einzige multiethnische Partei
Lettlands versteht, vor allem aber den russischsprachigen Bevölkerungsteil
repräsentiert.
Parteichef Nils Usakovs, Oberbürgermeister der Hauptstadt Riga, kündigte
noch in der Wahlnacht die Aufnahme von Koalitionsgesprächen mit dem Ziel
der Bildung einer tragfähigen Regierung an. Einen Schritt weiter ist aber
offenbar schon der bisherige Premier Valdis Dombrovskis, der nach Vorlage
der ersten Prognosen verkündete, er habe bereits Sondierungsgespräche für
eine neue Regierung mit Valdis Zatlers geführt. Dessen neue "Zatlers
Reformpartei" ("Zatlera reformu partija") wurde mit über 20 Prozent Zweite.
Die "Einheit" ("Vienotba") Dombrovskis, mit 30 Prozent Siegerin 2010, kam
mit 18,8 Prozent jetzt nur noch auf den dritten Platz.
In Riga wird davon ausgegangen, dass die Mitte-rechts-Parteien von Zatlers
und Dombrovskis den Kern einer neuen Regierung bilden und sich die
ultranationalistische "Nationale Allianz" ("VL-TB/LNNK") ins Boot holen.
Die konnte ihren Anteil mit knapp 14 Prozent fast verdoppeln.
## Marionettenpartei des Oligarchen
Eine Koalition mit der fünften Partei, die über die Sperrklausel ins
Parlament kam, das "Bündnis der Bauern und Grünen" ("ZZS"), das 12 Prozent
erreichte, ist eher unwahrscheinlich. Das ZZS gilt als Marionettenpartei
des Oligarchen Aivars Lembergs.
Ex-Staatspräsident Zatlers hatte über eine Volksabstimmung die jetzigen
Neuwahlen ausgelöst. Seine damalige Begründung: Der Einfluss der Oligarchen
und die Korruption gefährdeten Lettlands Demokratie.
Die ZZS würde sich als Koalitionspartner für das "Harmonie-Zentrum"
anbieten, doch würden diese Parteien keine Mehrheit im Parlament haben.
Eine Koalition mit dem "Harmonie-Zentrum" hat explizit zwar nur die
"Nationale Allianz" ausgeschlossen. Doch Zatlers und Dombrovskis haben eine
Bedingung gestellt, die die "Russen-Partei" bisher immer abgelehnt hat:
Eine Anerkennung, dass die "Lettische Sowjetrepublik" zwischen 1940 und
1990 von Moskau besetzt gewesen sei.
Dombrovskis und Zatlers seien "nicht mutig genug", das "Harmonie-Zentrum"
mit in eine Koalition zu holen, meint der Staatswissenschaftler Ivars Ijab.
Allerdings seien dessen wirtschaftspolitische Vorstellungen auch schwer mit
denen der Mitte-links-Parteien unter einen Hut zu bringen. Das
"Harmonie-Zentrum" plädiert für höhere Pensionen, möchte ein höheres
Staatsdefizit zulassen, will Umverhandlungen der Bedingungen, zu denen
Lettland in der Wirtschaftskrise gezwungen war Kredite bei IWF und EU
aufzunehmen, und ist für ein Verschieben der Euro-Einführung.
Mit 58,7 Prozent war die Wahlbeteiligung die niedrigste seit der
Unabhängigkeit des Landes. Viele Kritiker sahen in der Parlamentsauflösung
vor allem ein machtpolitisches Spiel, bei dem ein Staatspräsident ohne
Chance auf seine Wiederwahl mit einer eigenen Parteigründung "im Geschäft"
bleiben wollte. Eine Rechnung, die für Valdis Zatlers aber aufgegangen ist.
18 Sep 2011
## AUTOREN
(DIR) Reinhard Wolff
## ARTIKEL ZUM THEMA
(DIR) Regierungsbildung in Lettland: Rechtsextremisten als Koalitionspartner
In der neuen Koalition von Ministerpräsident Dombrovskis sitzt auch die
rechtsextreme "Nationale Allianz". Doch mit dem Bündnis könnte es bald
wieder vorbei sein.
(DIR) Regierungsbildung in Lettland: Staatspräsident lässt Koalition platzen
Andris Berzins lehnt ein Regierungsbündnis ohne Beteiligung der
"Russen-Partei" als zu instabil ab. 3000 demonstrieren in Riga gegen
ethnische Diskriminierung.
(DIR) Neue Regierung in Lettland: SS-Freunde regieren mit
Die rechtsextreme Partei "Alles für Lettland!" ist erstmals Teil der
lettischen Regierungskoalition, teilte Ministerpräsident Valdis Dombrovskis
mit. Menschenrechtler sind entsetzt.
(DIR) Kommentar Parlamentswahl Lettland: Russen müssen mit ins Boot
Lettland steckt immer noch tief in der Wirtschaftskrise. Das Land wird aber
nur darüber hinwegkommen, wenn die Russen nicht länger ausgegrenzt werden.
(DIR) Parlamentswahlen in Lettland: Der filetierte Staat
Die Wirtschaft wächst wieder, aber nur langsam. 40.000 Letten sind in den
vergangenen zwei Jahren ausgewandert. Oligarchen teilen den
2,2-Millionen-Einwohner-Staat unter sich auf.
(DIR) Korruption in Lettland: Oligarchen auf den Scheiterhaufen
Tausende demonstrieren in Riga gegen Vetternwirtschaft. Und gegen den neu
gewählten Staatspräsidenten Andris Berzins. Er gilt als Mann der
Oligarchen.