# taz.de -- Ausschreitungen auf Lampedusa: Schlagstöcke gegen Flüchtlinge
       
       > "Wir sind im Krieg." So beschreibt Lampedusas Bürgermeister die Lage.
       > Nach der Flüchtlingsrevolte ist die Lage auf der Mittelmeerinsel
       > eskaliert.
       
 (IMG) Bild: Die italienische Polizei bei ihrem Einsatz gegen Flüchtlinge in Lampedsa.
       
       ROM dapd/afp | Auf der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa ist am
       Mittwoch der Streit zwischen Flüchtlingen und Einwohnern eskaliert. Auf
       [1][Fernsehbildern] war zu sehen, wie Flüchtlinge unweit des Hafens gegen
       ihre Abschiebung protestierten.
       
       Als hunderte Tunesier mit dem Ruf "Freiheit, Freiheit" für ihren Transfer
       aufs Festland demonstrierten, bewarfen die Einwohner sie mit Steinen und
       beschimpften Journalisten und Fernsehteams, wie italienische Medien
       berichteten. Die Flüchtlinge wiederum drohten, Benzinkanister zur Explosion
       zu bringen. Mehr als ein dutzend Menschen wurden verletzt, als die Polizei
       mit Schlagstöcken gegen die Flüchtlinge vorging.
       
       Lampedusas Bürgermeister Bernardino De Rubeis warf der Regierung vor, die
       Insel mit dem Chaos allein zu lassen. Er nannte die Flüchtlinge
       Gesetzesbrecher und erklärte, Lampedusa werde niemanden mehr aufnehmen. Er
       forderte den italienischen Präsidenten Giorgio Napolitano auf, nach
       Lampedusa zu kommen und Solidarität mit den Einwohnern der Insel zu zeigen,
       die wiederholt durch die Ankunft so vieler verzweifelter Flüchtlinge auf
       eine harte Probe gestellt worden seien.
       
       De Rubeis sagte, er habe zu seinem Schutz einen Baseballschläger in seinem
       Büro. "Ich muss mich selbst verteidigen", wurde er von der
       Nachrichtenagentur ansa zitiert. "Wir sind im Krieg." Die Menschen hätten
       sich entschieden, selbst für Gerechtigkeit zu sorgen.
       
       Am Dienstag hatten aufgebrachte Bewohner des Lagers Matratzen angezündet,
       um gegen Zwangsabschiebungen zu protestieren. Das Auffanglager hat
       Kapazität für 850 Menschen, derzeit leben dort bis zu 1.300 Flüchtlinge.
       Seit Beginn des arabischen Frühlings trafen etwa 26.000 tunesische
       Flüchtlinge und 28.000 Migranten anderer Nationalitäten aus Libyen auf
       Lampedusa ein. Die Mittelmeerinsel liegt näher an Afrika als an Italien.
       
       ## Abschiebeplan wird durchgeführt
       
       Das italienische Innenministerium verurteilte die Ausschreitungen und
       erklärte, an seiner Politik festzuhalten. "Diese Episoden inakzeptabler
       Gewalt ändern nichts an unserem Rückführungsplan." Dieser werde mit
       unverändertem Tempo fortgesetzt. Im Rahmen eines Abkommens zwischen Italien
       und Tunesien wird das Gros der tunesischen Flüchtlinge abgeschoben. Die
       Einwohner von Lampedusa beklagen, dass sie in der EU die Last der
       Flüchtlingswelle ganz allein tragen müssten.
       
       Das Hochkommissariat für Flüchtlinge der Vereinten Nationen (UNHCR) warnte
       bereits vergangene Woche vor einer Eskalation der Lage im Auffanglager. Die
       Flüchtlinge würden immer länger in dem Lager festgehalten, ohne dass
       geklärt werde, ob sie politisches Asyl erhielten oder nicht. Die Migranten
       fügten sich selbst Verletzungen zu und zetteln Proteste an. Etliche große
       Gruppen hätten das Lager bereits auf eigene Faust verlassen. Das UNHCR
       forderte die italienische Regierung auf, Maßnahmen zu ergreifen, um die
       Flüchtlinge längerfristig unterzubringen.
       
       Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) warf derweil der
       EU-Grenzschutzagentur Frontex schwere Versäumnisse bei der Behandlung
       illegaler Einwanderer zu Beginn ihres Einsatzes in Griechenland vor. Die
       200 Frontex-Beamten, die seit November 2010 an der Grenze zur Türkei
       eingesetzt werden, hätten die aufgegriffenen Einwanderer an die
       griechischen Behörden überstellt, obwohl diese sie in überfüllten
       Auffanglagern unter "unmenschlichen und erniedrigenden" Bedingungen
       untergebracht hätten.
       
       Die EU-Kommission wies die Vorwürfe zurück. Die Frontex-Grenzschützer
       könnten nicht für die Situation in den Unterbringungslagern verantwortlich
       gemacht werden, sagte ein Sprecher von Innenkommissarin Cecilia Malmström.
       Die rund 150 Kilometer lange Landgrenze zwischen Griechenland und der
       Türkei ist für Flüchtlinge aus Ländern wie Afghanistan, Irak und Somalia
       zum Haupteingangstor in die Europäische Union geworden.
       
       22 Sep 2011
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.deredactie.be/cm/vrtnieuws/mediatheek/nieuws/buitenland/1.1115420
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) EU baut Zäune gegen Flüchtlinge: Natodraht und unsichere Häfen
       
       Die Mittelmeeranrainer schirmen sich gegen die Papierlosen ab. Die kommen
       trotzdem und werden unter unwürdigen Bedingungen in Barackenlager
       gepfercht.
       
 (DIR) Ein Zaun für 5 Millionen Euro: Griechische Menschensperre
       
       Mit einer Stacheldrahtbarriere will Griechenland seine Grenze zur Türkei
       schließen, um Papierlose an der Einreise zu hindern. 2010 kamen 47.000 über
       die Türkei nach Griechenland.
       
 (DIR) Transitmigranten in Belgien: Kameras, Natodraht und Elektrotaser
       
       Seit es über das französische Calais nicht mehr geht, versuchen
       Transitmigranten über Ostende nach Großbritannien zu kommen. Die belgische
       Hafenstadt rüstet auf.
       
 (DIR) Vor Gericht wegen Flüchtlingsrettung: Freispruch für tunesische Fischer
       
       Ein italienisches Berufungsgericht hat zwei tunesische Fischer
       freigesprochen. Nach der Rettung afrikanischer Bootsflüchtlinge waren
       angeklagt und verurteilt worden.
       
 (DIR) Bootsflüchtlinge in Tunesien: "Ich würde es wieder machen"
       
       44 Flüchtlingen hat der Fischer Zenzeri das Leben gerettet. Dafür soll er
       zweieinhalb Jahre ins Gefängnis. Am Mittwoch verhandelt ein Gericht in
       Palermo seinen Fall neu.
       
 (DIR) Vorwürfe gegen Embargo-Flotte vor Lybien: Ließ die Nato Flüchtlinge ertrinken?
       
       Italien erhebt schwere Vorwürfe gegen die Nato und fordert eine
       Mandatsausweitung. Zuvor hatte die Küstenwache Hunderte afrikanische
       Kriegsflüchtlinge gerettet.
       
 (DIR) Libysches Flüchtlingsboot havariert: "Einhundert Leichen über Bord"
       
       Mehrere Tage trieb ein manövrierunfähiges Boot im Mittelmeer, dutzende
       libysche Flüchtlinge starben. Ein Schiff der Nato befand sich in der Nähe,
       griff aber nicht ein.
       
 (DIR) Afrikanische Flüchtlinge in Italien: Sechs Festnahmen nach Totenfund
       
       Nach dem Fund von 25 Toten auf einem Flüchtlingsschiff werden jetzt sechs
       mutmaßliche Schleuser verhört. In Süditalien kam es am Montag zu
       gewaltsamen Protesten von Asylbewerbern.
       
 (DIR) Flüchtlingsboot nach Lampedusa: 25 Tote im Laderaum
       
       Im Laderaum eines vor Lampedusa entdeckten Bootes aus Nordafrika lagen 25
       Leichen. Die Opfer sind vermutlich erstickt. Insgesamt befanden sich 300
       Menschen an Bord.
       
 (DIR) Kommentar Flüchtlinge in der EU: Wenn zwei sich streiten
       
       Die EU gibt gleichzeitig Italien und Frankreich recht: Beide hätten die
       tunesischen Flüchtlinge korrekt gehandelt. Ein gefährliches salomonisches
       Urteil.