# taz.de -- Crashgrund A 100: Ausfahrt ins Niemandsland
       
       > Wenn an einer nicht gebauten Stadtautobahn eine Koalition scheitert, ist
       > es an der Zeit zu fragen: Was ist dieser Raum zwischen Neukölln und
       > Treptow wirklich? Eine Stadtbegehung
       
 (IMG) Bild: Hier endet die Autobahn und der urbane Dschungel beginnt: Neuköllner-Dreieck der Stadtautobahn
       
       Rot-Grün ist gescheitert, angeblich an der Unvereinbarkeit der Positionen
       zur Verlängerung der Stadtautobahn. Nach 800 Metern war Schluss in der
       rot-grünen Debatte: Auf so viel Neubau - bis zur Abfahrt Sonnenallee und
       zumeist in Tunnellage - hätte man sich gerade noch einigen können. Vorbei.
       Was folgt, sind rot-schwarze Gespräche und eine A 100 auf der Überholspur.
       
       Diskutiert wird über den 16. Bauabschnitt der A 100, als wäre er konkret,
       auf dem Stadtplan erkennbar, Teil des Berliner Verkehrsnetzes, unser
       täglich Brot. Doch die geplante Stadtautobahn zwischen Neukölln und Treptow
       spielt bis dato in der Topografie der Stadt die Rolle des Phantoms. Sie
       existiert nur als Zeichen, als Vorstellung, es gibt Pläne von ihr. Sie ist
       politischer Zankapfel: Ein überflüssiges, zerstörerisches Verkehrsprojekt,
       kritisieren die einen, eine wichtige Infrastrukturverbesserung, behaupten
       die anderen. Konkret ist sie nur als betriebswirtschaftliche Größe: 364
       Millionen Euro soll der Bauabschnitt bis Treptow kosten, zusätzlich
       schlagen 56 Millionen an Grunderwerbskosten zu Buche. Aber wer glaubt schon
       an die Dauerhaftigkeit solcher Zahlen?
       
       Wo viel Projektionsfläche ist, verschwindet der sichtbare Ort, wird Bild,
       Mythos. Richtig ist, dass auch Rote und Grüne die A 100 symbolisch
       überladen haben. Aber was ist der Raum zwischen Neukölln und Treptow
       wirklich? Was sind das für Orte? Genau 3.250 Meter lang ist die Strecke vom
       Dreieck Neukölln über die Sonnenallee bis hinauf zum Treptower Park und zur
       Spree. Es ist keine städtische, dicht bebaute Gegend. Der Streifen ist eher
       eine Terra incognita, unordentlich, zerrissen von Mauerzeiten, Schienen,
       Brücken und S-Bahn-Gleisen, geprägt von Gewerbeansiedlungen. Die größte
       Fläche wird bestimmt von Kleingartensiedlungen. "Märkische Schweiz",
       "Kolonie Sternwarte 1911", "Antons Ruh" steht über den Wegen hinein in die
       Laubenpieperparadiese.
       
       ## Chiffren der Brache
       
       Tangiert wird die Strecke von Bekanntem: dem Hotel Estrel, dem Hafen des
       Neuköllner Schifffahrtskanals mit seinen Kran- und Güteranlagen, dem
       Treptower Park. Doch selbst diese Hüter des Städtischen bilden nur die
       Ausnahmen von der Regel, sind Chiffren der Brache.
       
       Wer auf der Strecke vom Autobahndreieck Neukölln nach Norden spaziert,
       steht bald vor einer Häuserzeile, die sich wenig später zum städtischen
       Ödland weitet. Ein paar Wohnbauten hier, Lagerhallen und Kfz-Werkstätten
       dort. Einst waren diese Flächen belebter, jetzt beherrschen Ruinen,
       Abraumhalden und Unkraut die Szenerie. Das Bild schwankt ins Niemandsland.
       
       Unter der S- und Fernbahnstrecke hindurch und über die Sonnenallee hinaus,
       fast parallel zum Dammweg, macht Nato-Dekoration den Raum nicht sicherer.
       Drahtrollen verstellen den Weg in die erste Laubenkolonie. Die Absperrung
       spiegelt als Zeichen die Trassenführung.
       
       Die einstigen Pächter sind schon ausgezogen. Sie haben das
       Entschädigungsangebot Berlins für die Gärten akzeptiert, erzählt ein
       Laubenpieper. Als angeblich Bulgaren und Rumänen von der verlassenen
       Siedlung erfuhren und die letzten Habseligkeiten wegräumten, wurde der Zaun
       gezogen. Aber der ist nicht gut genug: Der Laubenpieper kennt Schleichwege,
       hat Erfahrung beim illegalen Grenzübertritt. Einst floh er von Ostberlin in
       den Westen. Jetzt kämpft er um den Flecken im Osten, um die Ruhe und den
       freien Blick zu den Habichten am Himmel.
       
       Entlang der Ringbahn bis zur Kiefholzstraße ändert sich die Nutzung aus
       hunderten kleinen Kolonieparzellen nicht. Aber die Landschaft ändert sich.
       Über Berge und durch Niederungen ziehen sich die Kleingärten. Es ist ruhig,
       man atmet frische Luft, die Bäume tragen Äpfel, der Rhythmus der Stadt gilt
       hier nichts. Bergstraße heißt ein Weg auf dem einen Kilometer langen
       Höhenzug, der den Blick auf Treptow und Neukölln freigibt. Es ist
       Kriegsschutt, der hier nach 1945 aufgetürmt wurde. Erst in Richtung
       Kiefholz- und Karpfenteichstraße wird es wieder ebener, schließlich kommt
       die Südseite des Treptower Parks in Sicht. Hier soll sich einmal eine
       Autobahn entlangschlängeln?
       
       ## Grüne Inseln für die Stadt
       
       Berlin ist eine grüne, naturreiche Stadt. In seiner Topografie spielen
       Parks, Gärten und Laubenareale mindestes eine so große Rolle wie dicht
       bebaute Stadtviertel, Wasserstraßen und Gleisanlagen. Man spricht von
       "grünen Inseln", die wichtig sind für die Luftzufuhr und das Lebensgefühl
       in Berlin. Der Schweizer Landschaftsplaner Christophe Girot, Architekt
       moderner Parkanlagen in Berlin nach 1989, bezeichnet diese Inseln als
       Energielieferanten für die Stadt einerseits und als "Ruhezonen" von dieser
       andererseits. In Parks, Grünanlagen und Gärten können wir vom hektischen
       Alltag "parken, das Tempo herausnehmen" in einer Art Niemandsland. Ein
       solcher Ort ist die A-100-Strecke - noch.
       
       Auch die Schattenseiten der vielen Freiräume wird eine Autobahn nicht
       verbessern. Im Umfeld solcher Trassen entwickelt sich Stadt nicht. Darum
       verdient das Niemandsland Respekt und - wenn schon - bessere Pläne.
       
       5 Oct 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Rolf Lautenschläger
       
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