# taz.de -- Debatte Wachstumsgrenzen: Symptom Boni-Banker
       
       > Was wir "Finanzkrise" oder auch "Schuldenkrise" nennen, sind schlicht die
       > Grenzen des Wachstums. Endlich wird das für alle einmal sichtbar.
       
 (IMG) Bild: Die Nervosität ist mehr Symptom der Krise ist als deren Ursache.
       
       Unbestritten: Das heutige Spekulationsgewerbe ist schlicht pervers. Klar
       also, dass die Bankenwelt mit ihren zum Teil absurden Finanzkonstruktionen
       hervorragend als Projektionsfläche für Wirtschaftskritik taugt; der Protest
       der Occupy-Bewegung vor den Tempeln des Geldes ist allemal verständlich.
       
       Und dennoch greift die öffentliche Verachtung der Banker und ihrer Zockerei
       zu kurz - weil nämlich die Nervosität der Finanzmärkte mehr Symptom der
       Krise ist als deren Ursache.
       
       Ohne hiermit den Zynismus des ungehemmten Kapitalmarkts schmälern zu
       wollen: Wer mit seiner Kritik mehr will als nur Frust abbauen will
       gegenüber blasierten Boni-Bankern, wer wirklich tragfähige Lösungen für
       eine Ökonomie der Zukunft sucht, sollte den legitimen Protest mit
       ökonomischen Analysen verbinden.
       
       Diese müssen zwingend damit beginnen, dass man die Finanzkrise von 2008 in
       einen entscheidenden, aber bislang häufig verdrängten Kontext stellt.
       
       ## Finanzmarkt war kein Auslöser
       
       Rückblick in den Sommer vor drei Jahren: Die Weltwirtschaft boomt, der
       Ölpreis steigt auf fast 150 Dollar pro Barrel. Die weltweite Ölförderung
       hat, so viel ist heute auch rückblickend klar, kurz zuvor ihren Peak
       überschritten.
       
       Weil die globalen Märkte aber mit anhaltendem Wirtschaftswachstum und
       weiter anschwellender Energienachfrage rechnen, steigt der Preis aller
       Energieträger unablässig. Und auch andere Rohstoffe, von Metallen bis zum
       Getreide, erreichen Spitzenwerte. Der Markt rechnet mit Verknappung
       allenthalben.
       
       Und dann passiert es: Unter der Last der Rohstoffpreise kollabiert als
       Erstes das auf maximaler Verschwendung aufgebaute US-amerikanische
       Wirtschaftsmodell. Immobilienkäufer, die sich ihr Haus ohnehin nie leisten
       konnten, werden durch die hohen Energiekosten endgültig in den Ruin
       getrieben.
       
       Weil dies nun in Massen geschieht, implodiert der Häusermarkt. Die Banken,
       die diesen finanziert haben, weil sie panisch nach Wachstum gierten - und
       sei dieses noch so absurd auf Pump finanziert -, werden mitgezogen in die
       Tiefe.
       
       So erweist sich die Finanzwirtschaft am Ende zwar als die Sollbruchstelle
       eines Systems, das nicht auf Dauer funktionieren konnte, aber der alleinige
       Auslöser der Krise ist sie nicht. Die Ursachen liegen vielmehr im
       wachstumsfixierten System selbst.
       
       Wer die Krise nüchtern betrachtet - also weder mit Abscheu gegenüber dem
       kompletten Finanzsektor noch aus der Sicht eines Wachstumsfetischisten -,
       muss schlicht konstatieren: Bei 150 Dollar pro Barrel Rohöl geht den
       Konsumgesellschaften der heutigen Machart offenkundig die Puste aus.
       
       Kurzum: Was heute gerne wahlweise "Finanzkrise" oder auch "Schuldenkrise"
       heißt, das sind faktisch die Grenzen des Wachstums. Es sind die Erosionen
       eines Wirtschaftsmodells, das bis heute ignoriert, dass die Erde nur über
       limitierte Rohstoffressourcen verfügt. Naturgesetze lassen sich eben nicht
       aushebeln. Nicht mit noch so speziellen Fonds und auch nicht mit
       Hebelzertifikaten.
       
       ## Angst vor der Wirklichkeit
       
       In den frühen siebziger Jahren, als die Grenzen des Wachstums noch fern
       waren, wurde der Ausdruck zum Titel eines Weltbestsellers. In Deutschland
       stand das Werk - vom Spiegel seinerzeit zum "Statistik-Thriller" geadelt -
       anderthalb Jahre lang ganz oben auf der Verkaufsliste, weltweit wurde das
       Buch in 30 Sprachen übersetzt und zwölf Millionen Mal verkauft.
       
       Heute jedoch, wo die Grenzen des Wachstums deutlich fühlbar werden, wird
       das Thema von den angeblich so führenden Ökonomen und den
       Wirtschaftszeitungen beharrlich ignoriert. Auch EU, EZB und IWF bilden eine
       Troika der Naivität, weil auch sie das Wort Wachstumsgrenzen nicht im Munde
       führen.
       
       ## Die besseren Ökonomen
       
       Zwar gibt es Ideen für die Gestaltung der Postwachstumsgesellschaft - unter
       anderem in einem unter diesem Titel erschienenen Buch. Das lesenswerte Werk
       kommt aber weniger aus der Ökonomie denn aus der Ökologie. Aber so war es
       schon immer: Das Denken in Gesamtzusammenhängen war stets zuvorderst in den
       Umweltwissenschaften zu Hause - womit die Ökologen dann in der Praxis zu
       den besseren Ökonomen wurden.
       
       So ist es, um bei den aktuellen Finanzturbulenzen zu bleiben, auch kein
       Zufall, sondern nur folgerichtig, dass ausgerechnet jene Banken, die ihr
       Geld nach ökosozialen Kriterien investieren, hervorragend durch die Krise
       kommen. Systemisches Denken, der Blick für Zusammenhänge, zahlt sich
       erkennbar auch ökonomisch aus.
       
       Und dieses Denken muss endlich raus aus der Nische. Denn dass die
       Postwachstumsgesellschaft kommt, daran kann - zumal in der aktuellen
       Weltlage der inflationierenden Rettungspakete - niemand mehr ernsthaft
       zweifeln.
       
       Nur die Frage, auf welche Weise sie kommt, ist offen. Entweder kommt sie
       so, wie wir sie aktiv gestalten, also "by design". Oder sie bricht über uns
       herein mit unübersehbaren wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen, also
       "by desaster".
       
       ## Banalökonomie im Fernsehen
       
       Nun wäre es vermessen, an dieser Stelle das neue Wirtschaftsmodell präzise
       definieren zu wollen. Niemand hat dies bisher im Detail getan. Aber es gibt
       immerhin interessante Ansätze, deren Umsetzung vor allem eines erfordert:
       die Abkehr vom herrschenden Konsumismus, den vernünftigeren Umgang mit
       Naturressourcen.
       
       Die Suche nach einem neuen Wohlstandsindikator abseits des
       Bruttoinlandsprodukts wäre nun immerhin ein symbolträchtiger Anfang, aber
       dabei kann es natürlich nicht bleiben. Was wir brauchen, ist eine intensive
       öffentliche Debatte darüber, wie unsere Wirtschaft zu strukturieren ist in
       einer Welt, die kein quantitatives Wachstum mehr zulässt.
       
       Immerhin gibt es derzeit eine Enquetekommission des Bundestags, die unter
       dem Namen "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität" genau darüber nachdenkt.
       Aber auch sie agiert noch in der Nische, wenig beachtet von den Wortführern
       der deutschen Wirtschaft, die lieber in Talkshows Banalökonomie
       ventilieren.
       
       So bleibt am Ende nur der Appell an all jene, die sich zur Spitze der
       internationalen Ökonomenzunft zählen: Positioniert euch zum Thema "Grenzen
       des Wachstums". Oder schweigt für immer.
       
       3 Nov 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernward Janzing
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Occupy-Bewegung
 (DIR) Schwerpunkt Occupy-Bewegung
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Debatte Postwachstum: Schöpferische Zerstörer
       
       Die Diskussion über eine Postwachstums-Ökonomie ist wichtig, aber sie
       blendet entscheidende Akteure des Wandels aus: Die Unternehmer und das
       Unternehmertum.
       
 (DIR) taz-Serie: Grenzen des Wachstums: Genuss statt Waffen
       
       Nicholas Georgescu-Roegen übertrug die Gesetze der Thermodynamik auf die
       Ökonomie. Seine Schlussfolgerung: die Wirtschaft muss schrumpfen.
       
 (DIR) taz-Serie: Grenzen des Wachstums: Immer höher, schneller, weiter?
       
       Die Wirtschaft soll immer weiter wachsen. Doch wo sind die Grenzen des
       Wachstums? Was passiert, wenn die Wirtschaft nicht mehr wächst?
       
 (DIR) Debatte G-20-Gipfel: Club der Rückwärtsdenker
       
       Es nehmen nun mehr Schwellenländer am Gipfel teil. Trotzdem bleiben weite
       Regionen der Welt unterrepräsentiert und der Club agiert vollkommen
       intransparent.
       
 (DIR) G-20-Gipfel mit alten Zielen: Kaum Erfolge an der Finanzmarktfront
       
       Die G-20-Staaten wollen seit 2008 eine stärkere Kontrolle. An der Umsetzung
       hapert es aber gewaltig. Warum dauert das so lange?
       
 (DIR) US-Soziologin über Occupy-Bewegung: "Niemand will Arbeiterklasse sein"
       
       Die neue Protestbewegung ist ein Mittelschichtphänomen. Noch. Die
       US-Soziologin Frances Fox Piven über echte Armut, alte und neue Feindbilder
       und innovative Strategien des Protests.
       
 (DIR) Aus "Le Monde diplomatique": Jenseits der Börse
       
       Wie sich die großen Finanzinstitute in Brüssel am Vorabend der Finanzkrise
       maßgeschneiderte neue Regeln schufen und den kontrollierten Börsenhandel
       abschafften.
       
 (DIR) Das Potenzial der Occupy-Bewegung: Ohnmächtig, aber legitim
       
       Plötzlich heißt der Kapitalismus wieder Kapitalismus. Und er steht in der
       Kritik. Welches Potenzial steckt darin? Die Occupy-Bewegung in der
       Finanzrisikogesellschaft.