# taz.de -- Kolumne Die Farbe Lila: Die Mär von der Rabenmutter
       
       > Die Gesellschaft stellt an eine "gute" Mutter detaillierte und vor allem
       > unerfüllbare Anforderungen: Das Kind muss an erster Stelle stehen, eine
       > egoistische Mutter geht gar nicht.
       
       Noch drei Wochen, dann ist meine Elternzeit um. Endlich. Und: Leider. Es
       waren sieben tolle Monate mit dem Kind. Es waren aber auch sieben
       anstrengende und langweilige Monate, so immer nur mit dem Kind. Das
       zuzugeben ist nicht so einfach. Nicht selten verstummen nette Plaudereien,
       wenn ich gefragt werde, wie mir die Elternzeit so gefalle. Sobald ich die
       Wahrheit sage, nämlich dass ich nie zuvor meinen Job so vermisst habe, wird
       so manches Gegenüber recht schmallippig.
       
       Anfangs irritierten mich die Reaktionen auf meine Elternzeit. Die gut
       gemeinten Ratschläge: Ich solle doch erst mal schauen, wie es mit Kind so
       läuft. Oder die Vermutung, ich würde mich nach so kurzer Zeit sowieso nicht
       von dem Kind trennen können. Und immer wieder die erstaunte Nachfrage: "Nur
       sieben Monate?" Der Mann dagegen bekam zu hören: "Was? Sieben Monate!" Und:
       "Warum das denn?" oder: "Wo fahrt ihr hin?" Ich habe noch nicht davon
       gehört, dass die Aufteilung 12/2 Monate zu ähnlich irritierten Reaktionen
       geführt hätte.
       
       Die gebe es deshalb, sagte die Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken
       vor ein paar Tagen in einer Podiumsdiskussion, weil wir in Deutschland ganz
       spezielle Rollenbilder pflegten: Nirgendwo sonst sei das Frausein so stark
       mit dem Muttersein und das Mannsein so eng mit der Berufstätigkeit
       verbunden. Eine richtige Mutter kümmert sich um die Bedürfnisse des Kindes,
       ein richtiger Mann schaut, dass er die Familie ernähren kann.
       
       Dabei höre ich von vielen noch kinderlosen Frauen, dass sie sich die Sache
       mit der Familie eigentlich ganz gern mit dem Mann teilen wollen. Sobald das
       Kind da ist, setzt eine Art kulturelle Gehirnwäsche ein. Plötzlich geht es
       nur noch um die Mutter.
       
       Ja, auch ich habe mich die ersten Wochen nach der Geburt des Kindes ständig
       gefragt, ob ich eine gute Mutter bin.
       
       Die Gesellschaft stellt an eine "gute" Mutter detaillierte und vor allem
       unerfüllbare Anforderungen: Sie muss natürlich das Kind an die erste Stelle
       setzen, eine egoistische Mutter geht gar nicht. Sie muss "fühlen", was das
       Kind braucht und will. Sie muss ihre Mütterlichkeit entdecken und pflegen.
       "Wieso wird von dir nicht erwartet, dass du so was wie Väterlichkeit an den
       Tag legst?", frage ich den Mann genervt. "Was soll denn bitte Väterlichkeit
       sein?", fragt der Mann zurück. "Eben", sage ich. Ich habe aber nicht vor,
       das Muttersein zu neuer Perfektion zu führen, und genauso wenig habe ich
       vor, dem Vater meines Kindes zu beweisen, dass ich als Frau das sowieso
       alles besser kann. Mich plagt keinerlei Ehrgeiz, was das Muttersein
       betrifft; ich erwarte von mir nichts anderes als das, was ich vom Mann
       erwarte: dass wir unsere Kinder lieben, ihnen zuhören, ein Zuhause geben.
       Mehr gestatte ich auch der Gesellschaft nicht, von mir zu erwarten.
       
       Ob wir glauben, das Kind brauche für eine schöne Kindheit vor allem seine
       Mutter oder so viele Menschen wie möglich, sehe ich als absolute
       Privatsache. Und es wäre mir sehr recht, wenn mir nicht dauernd alle
       ungefragt erklären, wie sie das so sehen mit dem Muttersein und mir. Wenn
       sie selbst Glück haben, geht ihnen dann auch niemand auf den Senkel mit
       absurden Vorstellungen von einer "guten" Mutter. So, ich muss zurück zum
       Kind. Übergabe an den Mann ist ja erst in drei Wochen.
       
       6 Nov 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Susanne Klingner
       
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