# taz.de -- Rekonstruktion der Mordserie des NSU: Enver Simsek war der erste Tote
       
       > Von 2000 bis 2007 ermordete der rechtsextremistische NSU acht türkische
       > Kleinunternehmer, einen griechischen Ladenbesitzer und eine Polizistin.
       > Eine Chronologie.
       
 (IMG) Bild: Die Mordopfer des NSU: (oben, v.l.) Enver Simsek, Abdurrahim Özüdogru, Süleyman Tasköprü, Habil Kilic und die Polizistin Michele Kiesewetter, sowie (unten, v.l) Mehmet Turgut, Ismail Yasar, Theodorus Boulgarides, Mehmet Kubasik und Halit Yozgat.
       
       9. September 2000: Der Blumenhändler Enver Simsek wird in Nürnberg
       erschossen. Es folgen der Schneider Abdurrahim Özüdogru (13. Juni 2001,
       Nürnberg), der Obsthändler Süleyman Tasköprü (27. Juni 2001, Hamburg) und
       der Gemüseverkäufer Habil Kilic (29. August 2001, München).
       
       10. November 2001: Die überregionale Presse beginnt zu berichten. Die
       Polizei teilt mit, dass alle vier Morde mit derselben Waffe verübt wurden:
       einer Ceska, Kaliber 7,65 Millimeter. Die Welt nennt eine Verbindung „in
       den Rauschgiftbereich“. Die Nürnberger Nachrichten fühlen sich an das
       „brutale Vorgehen von albanischen Banden“ erinnert, „die Türken für sich
       arbeiten lassen“.
       
       Dezember 2001: Erstes Phantombild des „Serienkillers“. „Hinsichtlich
       politischer oder religiöser Motive oder Schulden brachten die Ermittlungen
       keine Ergebnisse“, schreibt die SZ. 
       
       25. Februar 2004: In Rostock wird der Dönerverkäufer Yunus Turgut
       erschossen. „Eine Verwechslung?“, fragt der Spiegel. Der illegale Migrant
       sei erst kurz in Rostock und sollte den Dönerstand nur aufschließen.
       
       9. Juni 2005: Wieder Nürnberg: Mord an dem Dönerverkäufer Ismail Yazar.
       Sechs Tage später wird in München der Grieche Theodorous Boulgarides in
       seinem Schlüsseldienstladen erschossen. Die ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY …
       ungelöst“ spricht von „regelrechten Hinrichtungen“. „Als wollten die Mörder
       ein Zeichen setzen“, so die Frankfurter Rundschau. 
       
       15. Juni 2005: Die Polizei sieht keine Verbindung zwischen den sieben
       Toten. Der Täter nahm nie Geld mit, brauchbare Spuren seien nicht zu
       finden. „Das spricht für einen Profi“, zitiert Die Welt einen Ermittler und
       mutmaßt über einen „Auftrag einer aus den Bergen Anatoliens heraus
       operierenden Bande“, später von einer Istanbuler Handelsfirma, die
       europaweit in Drogenschmuggel und Menschenhandel verwickelt sei.
       
       16. Juni 2005: Die Polizei verteilt in Nürnberg Steckbriefe: Zwei
       Radfahrer, die sich sehr ähnlich sehen, sollen Yazar erschossen haben.
       „Knapp 1,90 Meter groß, dunkelhaarig, schlank“, schreibt die Süddeutsche.
       „Der eine trug Baseballmütze, der andere Sonnenbrille, beide Rucksack.“
       Heute ist bekannt, dass Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos auch zu ihren
       Banküberfällen mit Fahrrädern und Rucksäcken anrückten. Die Raubzüge
       begannen 1999. Eine Verbindung wurde offenbar nie gezogen.
       
       23. Juni 2005: Die Polizei prüft eine Verbindung der Mordserie zu einem
       Nagelbombenattentat am 9. Juni 2004 in Köln. Bei dem Anschlag wurden 22
       Menschen, darunter viele Migranten, verletzt. Auffällig: Fotos zur Tatzeit
       zeigen einen Mann mit Basecap und Fahrrad. Das Kölner Attentat wird später
       in der Berichterstattung zu der Mordserie wieder ausgeblendet.
       
       6. April 2006: Halit Yozgat wird in einem Internetcafé in Kassel
       erschossen, mit einer Ceska mit Schalldämpfer - der neunte und letzte Mord
       dieser Serie. Drei Cafébesucher sagen, nichts mitbekommen zu haben. Ein
       vierter wird Wochen später aufgetan: ein Beamter des Verfassungsschutzes.
       „Jetzt gibt es zum ersten Mal einen Verdacht, wer der große Unbekannte sein
       könnte“, schreibt Die Welt. Die Oberstaatsanwaltschaft wiegelt ab.
       
       15. April 2006: Die Soko Bosporus erhöht die Belohnung für Hinweise auf
       300.000 Euro. Der Focus zitiert Soko-Leiter Wolfgang Geier: Die Morde seien
       „sehr rational, überlegt und planvoll ausgeführt“. Von einem
       ausländerfeindlichen Hintergrund halte er „überhaupt nichts“. Bild nennt
       „vier heiße Spuren“: „Drogenmafia, organisierte Kriminalität, Schutzgeld,
       Geldwäsche“. Für die Frankfurter Rundschau „liegt der Gedanken an einen
       fremdenfeindlichen Hintergrund nahe“. Jedoch fehlten Indizien, die auf ein
       politisches Motiv hinwiesen.
       
       30. Mai 2006: Die Ermittler bekämen „vielleicht einen Tee mit Minze, aber
       keine Antworten auf ihre Fragen“, schreibt das Hamburger Abendblatt über
       die türkische Community. Auch der Spiegel beklagt: „Die schwer
       durchdringbare Parallelwelt der Türken schützt die Killer.“ In der
       Süddeutschen äußert sich ein bayerischer Oberstaatsanwalt über die
       türkischen Bekanntenkreise der Opfer: Er habe den Eindruck, „da weiß einer
       mehr, aber er will es uns nicht sagen“. Soko-Chef Geier sagt der
       Süddeutschen, er habe „angesichts der Mauer des Schweigens“ den Eindruck,
       dass „die Türken noch nicht in dieser Gesellschaft angekommen sind“.
       
       3. August 2006: In „Aktenzeichen XY … ungelöst“ nennt Moderator Rudi Cerne
       drei mögliche Hintergründe: „Organisierte Kriminalität“, „Auftragskiller“
       oder „haben sich die Opfer selbst in kriminelle Geschäfte verwickelt?“.
       
       7. August 2006: Die Ermittler legen eine radikale Kehrtwende hin: Der
       Profiler Alexander Horn verwirft die Theorien von kriminellen Netzwerken.
       Der Täter sei wohl eher ein Serientäter, der seine Opfer zufällig auswähle,
       nach deren türkischen Erscheinungsbild. „Irgendetwas mag im Umgang mit
       Türken vorgefallen sein, das ihm extrem negativ oder demütigend erschien“,
       sagt er der Süddeutschen. Rechtsextremisten schließt er aus: Neonazis
       könnten kein politisches Kapital aus den Morden schlagen.
       
       11. September 2006: In Kassel demonstrieren mehrere tausend Türken: „Kein
       10. Opfer“. Erst jetzt widmet die taz den Morden einen ersten großen
       Artikel. Die Serie wirke „wie ein dunkles, unheimliches Märchen, das
       Realität wurde“.
       
       25. April 2007: In Heilbronn wird die Polizistin Michéle Kiesewetter
       erschossen, ein Kollege schwer verletzt. Eine Verbindung zur Mordserie
       vermuten weder Polizei noch Medien. Soll für den „NSU“ damit eine neue
       Serie beginnen? Auf der Bekenner-DVD werden am Ende Fotos von Kiesewetter
       eingeblendet, der Film stoppt, „DVD 2: Paulchen‘s neue Streiche“, heißt es.
       
       18. Juli 2007: Das türkische Innenministerium appelliert an die „fast drei
       Millionen in Deutschland lebenden Türken“, bei der Fahndung zu helfen. Nur
       so könnten weitere Morde verhindert werden.
       
       12. September 2009: Der Spiegel berichtet von einer Verbindung der Morde
       zur deutschen und türkischen Wettmafia. „Wer nicht zahlen kann, der wird
       übel zugerichtet.“ Der Anwalt eines verdächtigten Türkens spricht von
       „Verleumdung“.
       
       Dezember 2009: Die Soko Bosporus, zwischenzeitlich mit 160 Ermittlern, wird
       aufgelöst. 32 Millionen Handy- und Kreditkartendaten und 11.000 Bürger
       wurden erfolglos überprüft. Die Frankfurter Rundschau schreibt, „seit
       RAF-Zeiten haben sich wahrscheinlich nicht so viele Polizisten um einen
       Fall gekümmert“. Die einzige Spur: die Ceska. Das Modell wird auf acht
       Exemplare eingegrenzt. Die Waffe sei wohl „Warnung und Visitenkarte“, so
       Ermittler zur Welt. 
       
       21. Februar 2011: Der Spiegel vermutet nun hinter den Taten eine „mächtige
       Allianz zwischen rechtsnationalen Türken, dem türkischen Geheimdienst und
       Gangstern“. Im August dieses Jahres legt das Magazin nach: Es gebe einen
       Zeugen, der die Ermittler zu „einer romantischen Villa nahe des Bodensees
       führen“ könne. Dort liege die Tatwaffe in einem Tresor. „Alles frei
       erfunden“, dementiert der Verfassungsschutz. Der Spiegel schreibt: „Die
       Morde, so viel wissen die Ermittler, sind die Rechnung für Schulden aus
       kriminellen Geschäften oder die Rache an Abtrünnigen.“
       
       4. November 2011: Nach einem Banküberfall in Eisenach werden in einem
       brennenden Wohnmobil Böhnhardt und Mundlos gefunden, sie haben sich
       erschossen. In Zwickau explodiert eine Wohnung, die beide mit Beate Zschäpe
       bewohnten. Vier Tage später stellt sie sich der Polizei.
       
       11. November 2011: Die Bundesanwaltschaft verkündet, dass Böhnhardt,
       Mundlos und Zschäpe die Morde an den Ladenbesitzern und an der Polizistin
       Kiesewetter verübt haben sollen. In der Zwickauer Wohnung wird die
       Bekenner-DVD gefunden.
       
       21 Nov 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) E. Berger
 (DIR) K. Litschko
       
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