# taz.de -- Frauenrechtlerin in Marokko: Patronin der ledigen Mütter
       
       > Frauen mit Kindern und ohne Mann gelten in dem muslimischen Land als
       > Aussätzige. Die Frauenrechtlerin Aicha Ech-Chenna kämpft für ihre Rechte.
       
 (IMG) Bild: Kindergarten für Mütter ohne Mann in Casablanca.
       
       MARRAKESCH taz | Aicha Ech-Chenna läuft quer über den Djemaa El Fna, dem
       zentralen Marktplatz in Marrakesch in Marokko. Hier tummeln sich vor allem
       Touristen, Gaukler und Saftverkäufer. Eine ältere Frau mit Kopftuch bleibt
       vor Aicha Ech-Chenna stehen und sagt: "Darf ich Sie fotografieren?" Eine
       junge Frau streicht ihr über die Hand.
       
       Aicha Ech-Chenna wird erkannt, sie ist oft im Fernsehen und in den
       Zeitungen. Viele Frauen verehren sie, denn sie ist so etwas wie die
       Patronin der ledigen Mütter.
       
       Seit 2004 in Marokko die Moudawana, das marokkanische Familienrecht, gilt,
       haben Frauen mehr Rechte als vorher: Ein Mann darf nicht mehr über seine
       Ehefrau verfügen, beide Partner sind gleichberechtigt, Frauen dürfen sich
       scheiden lassen. Aber Frauen, die Kinder haben und keinen Mann, werden noch
       immer behandelt wie Aussätzige. Häufig verstoßen Familien schwangere
       Töchter, wenn deren Verlobter sie nicht heiraten will. Erst neulich habe
       Aicha Ech-Chenna gehört, wie eine Mutter zu ihrer 19-jährigen Tochter
       sagte: "Geh, entleere deinen Bauch und dann komm wieder!"
       
       Ech-Chenna, 71, groß und kräftig, kümmert sich um solche Frauen und ihre
       Kinder, sie gibt ihnen eine Stimme, sie ist ihre Lobbyistin. Einige von
       ihnen hat sie im Site Palmier untergebracht, einem schmucklosen braunen
       Haus in Casablanca, das eigens für die Betroffenen gebaut wurde.
       
       Am 25. November wird in Marokko ein neues Parlament gewählt. Normalerweise
       hätte die Wahl erst im Herbst 2012 stattfinden sollen. Durch den Arabischen
       Frühling jedoch sah sich König Mohammed VI. gezwungen, in einem Referendum
       im vergangenen Juli darüber abstimmen zu lassen, wie er Teile seiner Macht
       ans Parlament abgeben kann. In diesem Zuge hoffen auch
       Frauenorganisationen, weitere Rechte durchsetzen zu können, etwa ein
       eigenes Gesetz gegen Gewalt in der Ehe.
       
       ## Man wirft ihr Förderung von Prostitution vor
       
       Ech-Chenna will jetzt dafür sorgen, dass die Moudawana auch für ledige
       Mütter und uneheliche Kinder gilt. Das Familienrecht besagt zwar, dass
       verlobte Frauen behandelt werden müssen wie verheiratete. "Aber wie soll
       man eine Verlobung nachweisen?", fragt Ech-Chenna. Als das Königreich
       seinerzeit über die Moudawana debattierte, mischte sie sich heftig mit ein.
       Damals sorgte sie dafür, dass vor der Hochzeit gezeugte Kinder als ehelich
       anerkannt werden, wenn die Eltern rasch heiraten.
       
       Muslimisch-orthodoxe Kritiker unterstellen der Frauenrechtlerin, sie
       fördere Prostitution und Unglauben. Ech-Chenna hebt die Schultern: "Ich
       habe in einem Waisenhaus gearbeitet, und ich habe erlebt, wie junge Mütter
       ihre Babys zur Adoption weggeben mussten. So etwas darf es nicht geben."
       
       Jedes Jahr werden in Marokko Zehntausende Kinder außerhalb einer Ehe
       geboren, zwischen 2003 und 2009 waren es rund eine halbe Million, 11
       Prozent aller Geburten. Im Site Palmier in Casablanca leben zurzeit 50
       Frauen und 50 Kinder. Das Haus gehört zur Nichtregierungsorganisation
       Solidarité Feminine, die Ech-Chenna 1985 gegründet hat. Inzwischen gibt es
       auch einen Kindergarten, ein Hamam, eine Bäckerei und verschiedene
       Lebensmittelkioske, in denen die Frauen arbeiten und einen Beruf lernen.
       
       Manche Mütter sind gerade erst 16 Jahre alt, wenn sie nach Casablanca zu
       Ech-Chenna kommen. Einige wurden als Hausangestellte in reiche Familien
       gegeben und dort missbraucht. Die Hälfte der Kosten, die die Organisation
       benötigt, erwirtschaften die Frauen selbst. Den Rest zahlen internationale
       Hilfsprojekte, Stiftungen und Friedensdienste.
       
       Jetzt will Ech-Chenna ein neues Haus bauen, dort will sie Frauen sozial,
       juristisch und psychologisch beraten und zu Alphabetisierungskursen
       schicken. Einen Teil des dafür benötigten Geldes hat sie schon: Im Jahr
       2009 wurde sie mit dem amerikanischen Foundation Opus Prize ausgezeichnet.
       Der war mit 1 Million Dollar dotiert.
       
       22 Nov 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Simone Schmollack
       
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