# taz.de -- Gewalt gegen ältere Frauen: "Er meint das nicht so, er hat Stress"
       
       > Ältere Frauen trifft man im Frauenhaus nicht an. Sie leiden stumm und
       > lernen erst langsam, ihr Harmonieprogramm aufzugeben, sagt die Hamburger
       > Beraterin Regine Karrock.
       
 (IMG) Bild: "Viele Männer haben nicht die Vorstellung, dass reden helfen könnte", sagt Regine Karrock.
       
       taz: Frau Karrock, am heutigen Freitag ist der Internationale Tag gegen
       Gewalt an Frauen. Sie haben ein Projekt mitentwickelt, das ältere Frauen,
       die Partnergewalt erlitten haben, anspricht. Warum ist das nötig? 
       
       Regine Karrock: Es hat sich herausgestellt, dass ältere Frauen die normalen
       Hilfsangebote nicht nutzen. Gewalt in der Partnerschaft ist für sie tabu,
       darüber redet man nicht.
       
       Wie haben Sie das geändert? 
       
       Wir haben spezielle Angebote für Frauen über 60 in Seniorentreffs gemacht,
       etwa Vorträge über psychosomatische Krankheiten oder Depression gehalten.
       Denn hinter solchen Symptomen kann eine Gewalterfahrung stecken.
       
       Welche Art von Gewalterfahrungen sind das? 
       
       Es sind teilweise Frauen, die viele Jahre körperliche oder sexuelle, aber
       auch psychische, soziale oder finanzielle Gewalt erlebt haben. Die
       nichtkörperliche Gewalt nehmen sie schon mal gar nicht als Gewalt wahr.
       Aber auch körperliche Gewalt haben sie oft ertragen als "normalen"
       Bestandteil ihrer Ehe. "Er meint das nicht so, er hat nur zu viel Stress",
       sagen sie dann. Oder: "Ich hab ihn ja auch gereizt". Und: "Na ja, da gab's
       ne Backpfeife", mit so einem kindlichen Vokabular. Aber wenn die Kräfte mit
       dem Alter schwinden, dann machen sich psychosomatische Folgen bemerkbar,
       Depressionen oder Schlafstörungen. Eine zweite Gruppe erlebt die Gewalt
       erst in der Rente.
       
       Warum gerade dann? 
       
       Wenn der Job wegfällt, über den sich der Mann stark definiert, dann erlebt
       er das als Machtverlust. Wenn dann bereits eine latente
       Aggressionsbereitschaft da ist, kann dieser Stress zu Gewaltausbrüchen
       führen. Auch wenn der Mann krank wird, steigt oft der Gewaltpegel.
       
       Aber gegen einen kranken Mann müsste sich eine Frau doch wehren können? 
       
       Ja, das kommt vor. Das löst aber natürlich gar nichts. Die Frauen wehren
       sich übrigens nicht so oft, sondern sie nehmen eher noch mehr Gewalt hin -
       "weil er doch so krank ist". Die Fürsorglichkeit, die Frauen in ihrer
       Sozialisation gelernt haben, bleibt oft auch im Alter bestehen.
       
       Aber es werden doch sicher auch Frauen gegenüber Männern gewalttätig? 
       
       Ja, aber der Umgang mit Gewalt ist unterschiedlich. Frauen brechen mit
       Gewalt gegen Kinder oder gegen Männer ihre typische soziale Rolle. Deshalb
       sind sie oft schockiert von sich selbst und holen sich Hilfe. Gewalttätige
       Männer dagegen meinen, sie haben das Recht, die Kontrolle wiederzuerlangen.
       
       Mit welchem Wunsch kommen Frauen zu Ihnen? 
       
       Sie fragen: Wie muss ich mich verhalten, damit er nicht aggressiv wird? Das
       ist allerdings eine Falle, denn dann machen sich die Frauen verantwortlich
       für die Gewalt ihres Mannes. Danach kommt die Frage, wie sie sich schützen
       kann.
       
       Nützen dann Paargespräche? 
       
       In der Regel ist in dieser Generation der Mann dazu nicht bereit. Der
       findet, die Frau soll mal wieder normal werden. Viele Männer haben nicht
       die Vorstellung, dass reden helfen könnte.
       
       Und dann bleibt nur Trennung? 
       
       Ja. Ältere Frauen haben dann oft erst mal ökonomische Fragen. Sie haben die
       Geldangelegenheiten immer ihrem Mann überlassen. Viele haben kein eigenes
       Konto. Wenn der Mann dann ihre Vollmacht fürs Ehekonto sperrt, stehen sie
       plötzlich ohne Geld da. Sie gehen auch oft davon aus, dass das gemeinsame
       Einkommen ihrem Mann gehört, als ob ihnen davon nichts zustehe. Sie haben
       Angst vor dem Alleinleben, vor der Isolation. Und oft kommt auch noch der
       Druck der Kinder dazu, die weiter eine heile Familie haben wollen.
       
       Große Hürden. 
       
       Ja. Aber ich staune immer wieder, was für eine Kraft die Frauen entwickeln,
       wenn ihnen erst mal klar ist, wohin es gehen soll. Das muss nicht gleich
       der Auszug sein. Wenn sie ein eigenes Schlafzimmer durchsetzen, haben sie
       oft zum ersten Mal in ihrem Leben ein eigenes Zimmer. Vielen war verboten,
       Freundinnen einzuladen oder auch nur das Fernsehprogramm zu bestimmen.
       Jetzt nehmen sie sich Freiheiten. Eine Frau hat neulich verkündet, dass sie
       ihrem Mann nichts mehr kocht, wenn sie nicht mehr Geld bekommt. Ich fühle
       mich oft an die Stärke der Trümmerfrauen erinnert. Sie kämpfen dafür, den
       Rest ihres Lebens in Ruhe zu verbringen, und sind dann oft konsequenter als
       jüngere Frauen.
       
       25 Nov 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Heide Oestreich
       
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