# taz.de -- Musikkritker zu Wahlen in Russland: "Ich gebe Putin weniger als ein Jahr"
       
       > Junge Leute tragen den Protest gegen die Duma-Wahlen, sagt Artemij
       > Troizkij, einer der einflussreichsten Musikkritiker Russlands. Der Kreml
       > werde weiterknüppeln.
       
 (IMG) Bild: Die Jugend lässt sich nicht mehr unterkriegen - Protest in St. Petersburg.
       
       taz: Herr Troizkij, haben Sie so viele Leute auf der Demonstration gegen
       Wahlfälschungen erwartet? Der Platz reichte nicht mehr aus für die
       Menschen. 
       
       Artemij Troizkij: Nein, das hatte ich nicht erwartet. Ich werde zu vielen
       Demonstrationen eingeladen, gehe aber nur selten hin. Diesmal hat mich
       etwas hingezogen und ich bedauere es nicht. Das war ein außerordentlich
       ernstes und wichtiges Ereignis für unser Land.
       
       Es war eine völlig andere Klientel als auf den Veranstaltungen der
       Opposition. 
       
       Mir gefiel besonders, dass es nicht diese sogenannten Schizo-Demokraten
       waren. Alte Leute, die sich in den sechziger, siebziger Jahren ihre
       Dissidenten-Sporen verdient haben. Das ist ein sympathisches Publikum, nur
       hängt von ihnen überhaupt nichts mehr ab. Am Sonntagabend waren 80 Prozent
       fröhliche, sympathische und nüchterne Leute da, unter ihnen auch viele
       junge Frauen. Sie wollen ihre Jugend nicht an die Bankerbanditen vom Typ
       Putins verschwenden. Riesig habe ich mich gefreut.
       
       Ist das die Internetgeneration? 
       
       Es waren Jugendliche um die zwanzig. Das ist die Generation, die ihre
       Informationen aus dem Internet bezieht. Und das ist gut so, denn es gibt
       keine anderen brauchbaren Quellen mehr in unserem Land.
       
       Sehen Sie eine Chance, dass die Opposition ihre Widersprüche überwindet und
       gemeinsam vorgeht? 
       
       In der Opposition sind viele Paranoiker. Mit Vertretern wie dem
       Nationalbolschewiken Eduard Limonow oder dem früheren Premier Michail
       Kasjanow ist ein Schulterschluss kaum möglich. Es wäre zu wünschen, dass
       sich normale Politiker, gestandene Leute, die es ja auch noch gibt,
       einreihen. Am Sonntagabend waren der Oppositionelle Boris Nemzow und der
       Blogger Alexej Nawalnij, der der Partei Vereinigtes Russland den Titel
       "Partei der Gauner und Diebe" verpasste, mit dabei. Auch Ökoaktivisten wie
       Jewgenija Tschirikowa und die "Blauen Eimer", die gegen die Willkür der
       Macht auf den Straßen demonstrieren. Faschisten aber brauchen wir als
       Bündnispartner nicht.
       
       Wer sollte mitmachen? 
       
       Schön wäre es, wenn sich das große Business zum Mitmachen entscheiden
       könnte. Der Oligarch Michail Prochorow etwa, der den Vorsitz der Partei
       Rechte Sache im September hingeschmissen hat. Noch haben sie Angst, ihr
       Geld zu verlieren.
       
       Wie lange hält das Regime noch durch? 
       
       Ich gebe dem System Putin weniger als ein Jahr. Sagen Sie das den Deutschen
       und vor allem dem Ziegenbock Gerhard Schröder, damit sie nicht mehr auf
       diese Leute setzen. Noch ist es nicht zu spät, sich mit den richtigen
       Menschen in Russland zu solidarisieren. Sagen Sie das Schröder und seinen
       Handlangern!
       
       Einige russische Beobachter sprechen schon von einer revolutionären
       Situation. Sehen Sie das auch so? 
       
       Das hängt vom Typ der Revolution ab. Eines steht fest, das Volk ist nicht
       glücklich über das, was bei uns vorgeht. Noch ist es aber nicht aktiv und
       eher mit privaten Dingen beschäftigt. Alle verstehen aber, dass die
       Machthaber alles stehlen und das Volk betrügen. Das begreifen nur die
       Zombies der Jugendorganisationen des Kreml nicht, die heute den Sieg
       feiern. Sie sind die neuen Komsomolzen, die die Zusammenhänge wohl nicht
       begreifen.
       
       Wie wird der Kreml reagieren? 
       
       Mit Repressionen, weil sie nichts anderes können. Es fehlt ihnen der
       Intellekt, vernünftig vorzugehen. Sie werden versuchen, die Schrauben
       anzuziehen. Um wenigstens das richtig zu machen, fehlen aber die
       Ressourcen. Die Armee ist demoralisiert, die Polizei wird sich im Zweifel
       auf die Seite des Volkes stellen, damit es ihnen nicht so ergeht wie den
       Kollegen in Libyen. Die harte Strategie wird nicht aufgehen.
       
       Was bedeutet das für die Wiederwahl Wladimir Putins zum Präsidenten? 
       
       Das ist die nächste ernste Hürde. Die Dumawahlen dienten nur zum Aufwärmen.
       Die richtige Party findet im März statt.
       
       7 Dec 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Klaus-Helge Donath
       
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