# taz.de -- Bauernproteste in China: Alltäglicher Widerstand
       
       > Immer wieder entzünden sich in China Konflikte zwischen lokalen Kadern
       > und der Bevölkerung. Am wütendsten sind die Menschen auf dem Land.
       
 (IMG) Bild: Sitzblockade vor dem lokalen Regierungsgebäude in Lufeng, Provinz Guangdong, im November.
       
       BERLIN taz | Der außer Kontrolle geratene [1][Landkonflikt in Wukan] ist
       nur ein besonders drastisches Beispiel für jährlich zehntausende Proteste
       in der Volksrepublik, die auf Parteichinesisch "Massenzwischenfälle"
       genannt werden.
       
       Widerstand äußert sich ebenso bei Landenteignungen wie in Arbeiterstreiks,
       es gibt Verkehrsblockaden, Besetzungen, Studentendemos, Umwelt- und
       Verbraucherproteste bis hin zu Autokonvois geprellter Käufer von
       Eigentumswohnungen.
       
       Gelegentlich kommt es dabei auch zu Todesfällen, vor allem dann, wenn die
       lokalen Behörden mittels informeller Schlägertrupps Protestierende
       angreifen. Diese nehmen ihrerseits manchmal Kader als Geiseln. Doch
       inzwischen reagieren die meisten Behörden flexibler und setzen außer
       blanker Repression auch Verhandlungen und Versprechungen ein, um den
       Protesten die Spitze zu nehmen - wobei sie auch nicht vor lancierten
       Falschmeldungen und Medienzensur zurückscheuen. Im nächsten Schritt gehen
       sie dann gegen sogenannte Rädelsführer vor.
       
       Die genaue Zahl der "Massenzwischenfälle" ist unbekannt wie auch die
       Kriterien ihrer offiziellen Erfassung. Von 8.700 im Jahr 1993 stiegen die
       Proteste auf offiziell 87.000 im Jahr 2005 an - also eine Verzehnfachung in
       zwölf Jahren.
       
       ## Guangdong ist die reichste Provinz
       
       Doch seitdem wurden keine offiziellen Zahlen mehr bekannt gegeben. Für 2008
       wird inoffiziell von 127.000 Vorfällen gesprochen. Das würde einen weiteren
       starken Anstieg bedeuten, wofür auch die verstärkte Geheimhaltung spricht.
       
       Laut Professor Yu Jianrong vom staatlichen Thinktank "Chinesische Akademie
       der Sozialwissenschaften" gehen 65 Prozent aller Proteste auf Landkonflikte
       zurück. Da ist es kein Wunder, dass diese Konflikte ausgerechnet in der
       südlichen Boomprovinz Guangdong so heftig sind. Guangdong ist die reichste
       Provinz mit der höchsten Zahl an Fabriken. Entsprechend scharf sind die
       Landnutzungskonflikte.
       
       Dabei geht es nicht um Enteignung im juristischen Sinn - in China gibt es
       keinen privaten Grundbesitz -, sondern es geht um die vorzeitige und zu
       gering entschädigte Kündigung langfristiger Pachtrechte und deren
       lukrativen Verkauf an private Investoren. Etwa dann, wenn Äcker in
       Golfplätze, Luxussiedlungen oder Industriezonen umgewandelt und die Bauern
       von ihrem angestammten Land vertrieben werden.
       
       Oft gehen lokale Kader lukrative Geschäfte ein und profitieren dabei von
       Bestechungsgeldern oder eigenen Beteiligungen an den Projekten. Der Zorn
       der Enteigneten und Vertriebenen richtet sich deshalb vor allem gegen die
       als korrupt und ungerecht empfundenen lokalen Beamten und nicht gegen die
       Regierung in Peking oder das System als solches. Vielmehr wird von der
       Bevölkerung eine Intervention der Pekinger Führung oft geradezu
       herbeigesehnt.
       
       ## Kommunikation via Weibo
       
       Die Proteste haben in den letzten Jahren aus mehreren Gründen weiter
       zugenommen. So ist die Landbevölkerung inzwischen besser informiert und
       höher gebildet, was die Kenntnisse ihrer Rechte einschließt. Und die
       Kommunikation mittels Internet und vor allem dem in China beliebten
       Twitter-ähnlichen Kurznachrichtendienst Weibo ermöglicht einen schnellen
       Austausch und eine leichtere Organisation von Protesten.
       
       Andererseits ist in den letzten Jahren die soziale Kluft stärker gewachsen.
       Das heißt, dass die Reichen viel schneller und schamloser reich wurden als
       ärmere Schichten. Die Zentralregierung hat mit der Abschaffung der
       Agrarsteuer und schärferen Gesetzen für Landumwandlungen und der Aufrüstung
       der Polizei reagiert. Für die Bauern bleiben die juristischen Möglichkeiten
       in der Praxis aber weiter sehr beschränkt. Oft werden erst nach Protesten
       die Lokalkader bestraft.
       
       Die Regierung betont immer wieder die Wichtigkeit von sozialer Stabilität,
       was sich auch in der offiziellen Propaganda der "harmonischen Gesellschaft"
       zeigt. Bisher gelang es ihr noch immer zu verhindern, dass sich lokale
       Proteste und der Unmut über verschiedene Probleme vernetzen und zu einer
       für die KP herrschaftsgefährdenden Kraft werden.
       
       Gleichzeitig gibt es weiterhin Themen, die ein totales Tabu darstellen, als
       da sind: Aktionen auf dem Tiananmen-Platz in Peking, die Falun-Gong-Sekte,
       Unabhängigkeitsbestrebungen für Tibet, Taiwan, Ostturkestan (Xinjiang) oder
       die Innere Mongolei, Aufrufe für ein Mehrparteiensystem oder freie Wahlen.
       
       16 Dec 2011
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sven Hansen
       
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