# taz.de -- Schwere Zusammenstöße in Ägypten: Mit Steinplatten beworfen
       
       > Zehn Menschen starben bei Auseinandersetzungen rund um das Parlament. Die
       > Kämpfe halten an. Unabhängige Medien kritisieren zunehmend die
       > Militärführung.
       
 (IMG) Bild: Das hässliche Gesicht des Militärs: Einsatz am Tahrir-Platz.
       
       KAIRO taz | Wie eine Meute wilder Hunde stürzen sich Militärpolizisten und
       Fallschirmjäger auf die Demonstranten des Tahrirplatzes, prügeln gnadenlos
       auf auf dem Boden liegende Körper ein, die sich nicht mehr rühren. Die
       Kamera läuft mit, als sie eine Frau umwerfen und auf sie einschlagen.
       
       Während die Soldaten sie über den Boden schleifen, reißen sie ihr das
       Oberteil vom Leib. Ihr blauer Büstenhalter ist zu sehen, als ein Soldat der
       am Boden liegenden Frau noch einmal mit voller Wucht in die Brust tritt.
       
       Das Video wurde aufgenommen, während das Militär am Samstag kurzfristig den
       Tahrirplatz und die angrenzende Straße zum Parlament räumte. Es machte in
       Windeseile die Runde in den neuen sozialen Medien. "Als sie entblößt wurde,
       stellte sie die Schande der Militärführung bloß", heißt es in einem Tweet.
       
       Mindestens zehn Menschen sind seit Freitag bei Auseinandersetzungen mit dem
       Militär ums Leben gekommen, mehr als 400 wurden verletzt. Seit drei Wochen
       hatten sie mit einem Sitzstreik vor dem Parlament demonstriert und
       gefordert, dass Ägyptens Militärführung sofort die Macht abgibt und sich
       aus der Politik zurückzieht.
       
       ## Bilder entlarven Lügen
       
       Die unabhängige Tageszeitung al-Tahrir brachte den Moment, in dem der
       Soldat auf den entblößten Körper der Frau trat, auf ihrer Titelseite, dazu
       die nur aus einem einzigen Wort bestehende Schlagzeile: "Lügner". Denn die
       Militärführung hatte zuvor bekräftigt, niemals Gewalt gegen friedliche
       Demonstranten angewandt zu haben.
       
       Und auch der von der Militärführung eingesetzte Regierungschef Kamal
       al-Ganzouri hatte in einer Pressekonferenz erklärt: "Wir würden niemals
       friedliche Demonstranten gewalttätig angreifen, nicht einmal verbal." Zuvor
       hatte er die Demonstranten als "Konterrevolutionäre" bezeichnet.
       
       Die Situation vor dem Parlament sei eskaliert, weil Demonstranten versucht
       hätten, in das Gebäude einzudringen, sagt das Militär. Nein, sagen die
       Demonstranten: Weil jemand aus dem Garten des Parlaments einen
       verschossenen Fußball holen wollte, lautet ihre Version. Innerhalb kurzer
       Zeit entwickelte sich eine heftige Straßenschlacht. Dabei fing auch das
       Gebäude der ägyptischen Geografischen Gesellschaft Feuer, einer
       Institution, die während Napoleons Expedition nach Ägypten errichtet worden
       war.
       
       In dem Gebäude werden alte Manuskripte und Karten aufbewahrt. Soldaten
       hatten die Demonstranten vom Dach des Gebäudes aus mit Steinen,
       Steinplatten und Möbeln beworfen. Einige der Demonstranten warfen
       Molotowcocktails zurück, offensichtlich ahnungslos, welche nationalen
       Schätze das Gebäude beherbergt. Später versuchten zahlreiche Demonstranten
       die Bücher aus dem brennenden Gebäude zu retten.
       
       ## 20 Hiebe auf die Füße
       
       In einer der privaten Fernsehstationen trat am Samstagabend der Chef des
       Senders Faraein (Pharaonen), Taufik Okascha, auf und forderte, dass die
       Mütter der Demonstranten auf den Tahrirplatz gebracht und mit 20 Hieben auf
       die Füße bestraft werden sollten, da sie ihre Kinder nicht vernünftig
       erzogen hätten. Okascha ist bekannt für seine Nähe zum alten Regime sowie
       zum Militärrat und für seine ständigen Ausfälle gegen Tahrir-Aktivisten.
       
       Derweil werden die kritischen Töne gegen die Militärführung in anderen
       unabhängigen Medien immer lauter. Das Militär habe es nicht geschafft,
       schnell genug staatliche Institutionen aufzubauen, mit denen man nach dem
       Sturz des Regimes in angemessener Zeit den politischen Übergang schaffen
       kann, kritisiert Hassan Nafaa in der Tageszeitung al-Masri al-Youm.
       
       Nafaa sitzt in einem zivilen Beratungsgremium, das dem Militär vor Kurzem
       zur Seite gestellt wurde, das aber inzwischen de facto funktionsuntüchtig
       ist, da neun Mitglieder aus Protest gegen das Vorgehen des Militärs am
       Wochenende ihren Rücktritt aus dem Gremium verkündet haben.
       
       Auch der Journalist Ibrahim Eissa, einst einer der schärfsten Kritiker
       Mubaraks, nimmt in seiner Zeitung al-Tahrir gegen die Militärführung kein
       Blatt vor den Mund. Die Mubarak-Generäle ahmten Mubarak in seiner
       Langsamkeit, Realitätsferne und Ignoranz nach, spottet er.
       
       ## Islamisten sind auffällig ruhig
       
       "Der oberste Militärrat hat es nicht geschafft, einen vernünftigen Zeitplan
       für den Übergang der Macht zu erstellen, wieder für Sicherheit zu sorgen,
       den Tourismus zu erhalten und den freien Fall der Wirtschaft aufzuhalten",
       schreibt er und weitet seinen Kreis des Ärgers gleich noch aus.
       
       "Jene, die den Militärrat auffordern, weiterzumachen, die die Revolutionäre
       auffordern innezuhalten und sie kritisieren, die auf eine Koalition des
       Militärs gegen die Islamisten hoffen, haben sie schon einmal irgendetwas
       Positives von der Armeeführung erlebt?", fragt er.
       
       Auffällig ruhig blieb es am Wochenende vonseiten der Islamisten. Sie nahmen
       nicht an den Protesten teil und hielten sich auch in einer Verurteilung des
       Vorgehens des Militärs zurück, wohl aus Angst, dass sie ihre Wahlerfolge
       gefährden könnten. Man fordere alle Seiten zur Zurückhaltung auf, da die
       Auseinandersetzungen den Wahlprozess negativ beeinflussen könnten, heißt es
       auf der Webseite der Freiheits- und Gerechtigkeitspartei, die nach dem
       Sturz Mubaraks von den Muslimbrüdern gegründet worden war.
       
       Erste Ergebnisse des zweiten Wahlgangs von letzter Woche zeigen, dass
       sowohl die moderate Muslimbruderschaft als auch die radikalen Salafisten
       ihre Erfolge aus dem ersten Wahlgang weiter konsolidieren konnten.
       
       18 Dec 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Karim Gawhary
 (DIR) Karim El-Gawhary
       
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