# taz.de -- Occupy-Camp im Winter: Von der Kraft des Sitzens
       
       > Endlich schneit und schüttet es. Erst das kalte Wetter bringt die
       > Substanz der Occupy-Bewegung an den Tag. Wer mehr Revolte will, braucht
       > auch mehr Frost.
       
 (IMG) Bild: Die Occupy-Aktivisten in Frankfurt feiern mit Weihnachtsbaum.
       
       Die von RTL stellt jetzt endlich mal die richtigen Fragen. Und der von
       Occupy sagt jetzt endlich mal, was Sache ist. Es ist kalt und verwintert,
       hier vor der Europäischen Zentralbank in Frankfurt, die ganze Nacht hat es
       gefroren und geschneit und eine blonde Junge mit einem bunten Mikrofon hat
       jetzt den gemütlichen Alten vom Infostand vor der Kamera.
       
       Im Hintergrund: Die schöne Kulisse mit Schnee behangener Zelte, einige von
       ihnen eingebrochen von der schweren Wetterlast. Hartgesottene
       DaueraktivistInnen huschen vereinzelt aus den winterfesten Jurten. Daneben
       wie zum Hohn: der feiste Hochhausturm, in dem die Bänker und die
       Bänkerinnen sitzen.
       
       Sie also: "Wie ist die Stimmung der Occupy-Bewegung denn bei diesem
       Wetter?"
       
       Er: "Die Stimmung ist gut."
       
       Sie: "Was bedeutet dieser heftige Schneefall nun für Sie?"
       
       Er: "Der bedeutet, dass es kalt ist."
       
       Sie: "Es ist aber wirklich extrem kalt!"
       
       Er: "Extrem kalt ist ganz was anderes. Da fragen wir mal lieber die Eskimos
       und die Leute in Sibirien. Hier sind es so um die null Grad, vielleicht
       auch minus zwei."
       
       Sie: "Hat das Wetter denn keine Auswirkungen auf den Protest?"
       
       Er: "Wir sind nicht hier, weil wir auf schönes Wetter hoffen." Dann packt
       sie das Mikro weg und dreht dankend ab.
       
       Thomas von der Infobude lächelt vor sich hin. Er hat gesagt was Sache ist,
       ganz nüchtern. Denn jetzt, weiß er, steht Phase zwei der medialen
       Occupy-Verwertung an.
       
       Weihnachten steht vor der Tür, die Gänse sind bestellt. Nur am
       Willy-Brandt-Platz hier in Frankfurt frieren noch die letzten Helden der
       Oktoberrevolution. Und wenn sie noch etwas warten, dann können es die
       ersten Helden des neuen Jahres werden.
       
       Was wurde auf den Titelseiten nicht alles über sie getitelt. Und was haben
       sie auf den Meinungsseiten nicht alles über sie gemeint. Zu viele
       Forderungen hätten sie, oder zu wenige, die Leute von der Occupy-Bewegung.
       Viel zu chaotisch sei der ganze Haufen, nein, aber: genau zur rechten Zeit
       die guten Fragen! Und als dann jeder wusste, dass in Frankfurt ihre Zelte
       stehen, wurde es auch wieder stiller. Für moralisch aufgeladene, für neue
       Neugier aber sorgt nun das Weihnachtliche. Während alle jetzt fein essen
       gehen, bleiben die da einfach sitzen.
       
       Es ist richtig: Die Occupy-Bewegung vom Willy-Brandt-Platz kam zwar mit dem
       Medienhype. Aber sie blieb länger.
       
       Thomas setzt sich wieder auf den Klappstuhl. An seine Infobude drängen
       jetzt die Journalisten. Denn Weihnachten ist stets der Gradmesser für
       politische Beständigkeit. Normalerweise sind es die Studentenstreiks, die
       an der Jahreswende scheitern. Doch der Occupy-Bewegung soll es nicht so
       gehen. Thomas weiß: Für den Sieg muss er nur hier sitzen bleiben.
       
       67 Zelte stehen aufgebaut noch auf der immer matschigeren Wiese um das
       große Euro-Zeichen. Das wusste fast schon niemand mehr so richtig. Auch die
       fünf RentnerInnen, zwei Männer und drei Frauen, die gerade hier
       vorbeischlendern, sind beeindruckt: "Wer bei diesem Wetter ausharrt, muss
       schon etwas zu sagen haben."
       
       Ein paar Dutzend Demonstranten schlafen hier noch jede Nacht. Und für
       Silvester ist eine große Nachtdemonstration geplant, und für das nächste
       Jahr Revolution, Teil zwei. Geht es nach ihnen hier, dann bleiben sie auch
       bis zum Sommer; das Frankfurter Ordnungsamt hat nichts dagegen. Am 15. Mai
       ist Jahrestag der Erhebung von Madrid, wo der Weltprotest in Gang kam. Da
       wollen sie schon noch dabei sein.
       
       Wer hätte das gedacht: Nachdem die Occupy-Bewegung, um es auf Marktdeutsch
       zu sagen, anfangs journalistisch leicht überbewertet wurde, hat sich also
       ihre Wertsubstanz nun gerade im journalistischen Nachfragerückgang
       bewiesen. In Zeiten, in denen die mediale Aufmerksamkeit sich so rasend
       wandelt wie die Aktienkurse, ist Beständigkeit ein guter Wert für den
       Protest. "Gandhi hat Indien auch nicht in drei Tagen befreit. Wir bleiben",
       sagt Thomas. "Nur noch etwas mehr Frost wäre gut."
       
       22 Dec 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Martin Kaul
       
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