# taz.de -- Occupy Eliteuni: Geschlossene Gesellschaft Harvard
       
       > Die Antikapitalisten protestieren auch im amerikanischen Elitetempel.
       > Eine ihrer Forderungen: Jeder Mensch soll das Recht auf eine höhere
       > Bildung haben.
       
 (IMG) Bild: "Wir wollen eine Universität für die 99 %", fordert die "Occupy-Harvard"-Bewegung.
       
       Die Tore zum Campus waren geschlossen. Zum ersten Mal in der Geschichte der
       Harvard University schloss die Eliteuni die Tore. Hinein kam sechs Wochen
       lang nur, wer eine Harvard-ID oder eine Besuchserlaubnis vorlegen konnte.
       Neugierigen Touristen blieb der Zugang ebenso versperrt wie all jenen, die
       den Weg außen herum abkürzen wollen.
       
       Die Ursache dafür ist "Occupy Harvard". Eine Gruppe von Studierenden, die
       Anfang November ein Dutzend Zelte auf dem Campus aufgeschlagen hat. Seitdem
       gibt es einen Informationstisch, der ständig besetzt ist. Immer sind einige
       Studierende da, einige übernachten auch hier – trotz der Minusgrade.
       
       "Wir lassen aus Sicherheitsgründen niemanden auf das Gelände, der nicht zur
       Universität gehört", gibt ein Polizist an den Toren Auskunft. "Die
       Harvard-Universität verhindert so, dass Leute hineinkommen, die sich dem
       Camp anschließen wollen."
       
       Der Name Harvard steht nicht nur für Spitzenforschung, sondern auch für
       eine sehr exklusive Universität. Nur 10 Prozent der Bewerber erhalten einen
       Studienplatz. 41 Nobelpreisträger haben Harvard besucht.
       
       ## Chancengleichheit bei Auslese? Nie
       
       Internationale Rankings bestätigen immer wieder den Ruf der
       Eliteuniversität. Zwar müssen Kinder von Eltern, deren Einkommen unterhalb
       einer bestimmten Grenze liegt, keine Gebühren zahlen, und es gibt auch
       zahlreiche Stipendien- und Zuschussprogramme. Aber die Studierenden sind
       dennoch vor allem Kinder wohlhabender Leute.
       
       Von Chancengleichheit bei der Auslese kann keine Rede sein. Nur wer eine
       gute Schule besucht hat, kann sich bei der Konkurrenz durchsetzen. Die
       öffentlichen Highschools können da nur selten mit den teuren Privatschulen
       mithalten. Und wessen Eltern einen Harvard-Abschluss in der Tasche haben,
       der wird bei der Zulassung bevorzugt.
       
       Die "Occupy Harvard"-Aktivisten wollen dagegen angehen. Jeder Mensch solle
       das Recht auf eine höhere Ausbildung haben, lautet daher eine Forderung:
       "Wir wollen eine Universität für die 99 Prozent."
       
       Aber das ist nur eine von vielen Forderungen, über die bei den
       Vollversammlungen gesprochen wird. Auch die weite Spanne der Gehälter –
       zwischen dem Chef der Investmentabteilung der Harvard Management Company
       und dem am schlechtesten bezahlten Angestellten – ist ein Thema. Genauso
       wie die Investitionen in eine Hotelkette, deren Mitarbeiter über schlechte
       Arbeitsbedingungen klagen.
       
       "Occupy Harvard" wirft der Universität vor, mit diesem Engagement Gewinn zu
       machen, indem sie ihre Mitarbeiter ausbeutet, ihnen niedrige Löhne zahlt
       und gegen das Arbeitsrecht verstößt. Ihre Angestellten bekämen
       beispielsweise keine Pausen zugebilligt, so die Kritik. Die Gruppierung
       fordert hier zunächst mehr Transparenz – und eine Investitionsstrategie,
       die nicht nur auf Gewinn ausgerichtet ist, sondern auch ethische Kriterien
       erfüllt.
       
       ## Statt jammern, endlich handeln
       
       Am Informationstisch des Camps bleiben immer wieder Leute stehen, auch wenn
       die meisten vorbeihasten. Oft sind es Ältere, die sich die Zeit nehmen und
       interessiert nachfragen – etwa ein grauhaariges Ehepaar, das wohlhabend und
       gebildet aussieht, oder ein Mann mit weißem Bart, der Zuhörer für seinen
       Vortrag über die Ungerechtigkeit der Welt und die Macht des Geldes sucht.
       
       Brian McCammack, 30 Jahre alt, ist Doktorand in Amerikanischer Geschichte –
       und hat gerade Schicht bei der Auskunftsstelle. "Ich spreche mit meinen
       Freunden viel über ökonomische Ungleichheit und Ungerechtigkeit", sagt er
       über seine persönliche Motivation. "Statt immer nur darüber zu jammern,
       mache ich nun bei ,Occupy Harvard' mit."
       
       Ein Student, Mitte 20, hält an und fragt nach einem Zeitplan. "Es gibt
       keinen", erklärt McCammack. "Wir treffen uns regelmäßig bei den
       Vollversammlungen und entscheiden da über das weitere Vorgehen. Komm
       vorbei, dann kannst du mitmachen.
       
       Die Meinungen gehen auseinander, wie lange wir das machen sollten und was
       unsere Ziele sind – wir besprechen das kontinuierlich." Der Student will
       wissen, wie lange die Tore noch geschlossen bleiben werden. "Wir wollen,
       dass sie offen sind", betont McCammack. "Wir sprechen darüber mit der
       Verwaltung, aber es ist deren Entscheidung, nicht unsere."
       
       ## Geschlossene Pforten
       
       "Wir haben nicht damit gerechnet, dass Harvard die Tore schließen wird",
       ergänzt Camille Morvan, die seit vier Jahren in den Vereinigten Staaten
       lebt und hier in Cambridge als Postdoc in Psychologie arbeitet. "Harvard
       hat das noch nie getan. In der Nacht der Besetzung schlugen einige vor,
       nach draußen zu ziehen, um eine größere Öffentlichkeit zu erreichen. Wir
       haben den Vorschlag diskutiert, aber es gab dazu dann keine Zustimmung. Die
       Kraft der Bewegung besteht darin, dass wir keinen Führer haben, dass jeder
       sprechen kann und Entscheidungen gemeinsam getroffen werden."
       
       "Occupy Harvard" versteht sich entsprechend als Teil der Occupy-Bewegung,
       die im September als "Occupy Wall Street" mit der Besetzung des New Yorker
       Börsenzentrums begonnen hat.
       
       Die Bewegung ist inspiriert von den demokratischen Revolutionen in den
       Ländern Nordafrikas, und die Treffen und Abstimmungen laufen nach dem
       Vorbild der von "Democracia real YA" initiierten Versammlungen in Spanien
       ab, bei denen die Meinungen aller gehört und respektiert werden sollten.
       
       Der Slogan "Wir sind die 99 Prozent" fasst die Ansicht zusammen, dass das
       politische und wirtschaftliche System undemokratisch ist, weil nur wenige
       die Macht und das Kapital in Händen halten.
       
       Morvan zufolge sind die rund 40 Aktivisten etwa zur Hälfte Graduate
       Students, zur Hälfte Postdocs, Angestellte, Tutoren und Undergraduate
       Students. Letztere sind sind generell weniger interessiert. Ein paar mehr
       Frauen als Männer engagieren sich in der Occupy-Gruppierung, sie kommen vor
       allem aus den Fachbereichen Geschichte, Öffentliche Gesundheit, Theologie
       und Sprachen.
       
       Bei der Vollversammlung am Montag vor zwei Wochen kamen 25 Menschen
       zusammen. In einem Kreis auf der Innenseite der Tore des Haupteingangs
       berichteten einzelne aus verschiedenen Arbeitsgruppen und berieten über das
       weitere Vorgehen. Aber die Unterstützung für "Occupy Harvard" ist weitaus
       größer als diese Gruppe.
       
       Mehr als 650 Unterschriften kamen für eine Petition zugunsten der Bewegung
       zusammen, auch Professoren unterschrieben. "Unser Punkt ist, dass 99
       Prozent in diesem System verlieren", sagt Morvan. "Nur weil manche Menschen
       sich nicht aktiv wehren, heißt das nicht, dass sie zustimmen."
       
       "Ich denke, dass Menschen, die wissen, was getan werden müsste, es auch tun
       sollten", erklärt Morvan. "Harvard spielt eine wichtige Rolle in der Welt.
       Das ist eine gesellschaftliche Verantwortung und Verpflichtung. Denn
       Harvard bildet Investmentbanker aus, Politiker und andere Entscheider. Wenn
       weltweit politische Posten besetzt werden, wird oft unter
       Harvard-Absolventen gesucht. Und Finanzdienstleister wie J.P.Morgan kommen
       nach Harvard, um Studierende zu rekrutieren. Wir sind eine kleine
       Minderheit hier, aber auch die Manager von Unternehmen sind eine kleine
       Minderheit – und können viel bewegen."
       
       ## Aktivisten bekommen auch Gegenwind
       
       Harvard ist mehr als nur eine Universität. Mehr als 2.400 Dozenten und
       Professoren sind hier beschäftigt, rund 20.000 Studierende absolvieren hier
       ihre Ausbildung. Die Aktivisten erhalten aus diesen Reihen durchaus nicht
       nur Zustimmung, sondern auch starken Gegenwind.
       
       Ein Postdoc berichtet, dass einer der Professoren ihn gewarnt habe, nicht
       seine akademische Karriere zu gefährden. Andere Professoren wiederum würden
       das Engagement gutheißen, deshalb sei es schwer zu sagen, welche Folgen es
       tatsächlich hätte.
       
       "Das Hauptargument der Studierenden gegen die Besetzung ist, dass der
       Campus nur mit Harvard-ID zu betreten ist", erzählt Camille Morvan. "Ein
       anderes häufiges Argument ist grundsätzlicher Art: ,Ungleichheit motiviert
       Leute, deshalb sind manche reich, andere arm, die Armen sind selber
       schuld.'"
       
       Erfahrungsgemäß ist es schwer, Besetzungen über Weihnachten und Neujahr
       aufrechtzuerhalten. Etwa die Hälfte der Leute wird bleiben, schätzen die
       Aktivisten am Informationstisch, die sich mit Kaffee und Tee aus
       Thermoskannen wärmen und in Decken gewickelt haben.
       
       Im Januar werden es wieder mehr werden, da sind sie sich sicher. Denn die
       Forderungen werden 2012 nicht alle erfüllt sein. "Wir wollen für immer hier
       bleiben", sagt Camille Morvan.
       
       29 Dec 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Margret Karsch
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Occupy-Bewegung
 (DIR) Schwerpunkt Occupy-Bewegung
       
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