# taz.de -- die wahrheit: Würstcheneintopf, Wutbürgerlich
       
       > Im Alter mehren sich die kuriosen Krankheiten. Ich zum Beispiel leide
       > seit einiger Zeit an Kochwut. Leider nicht an der Art, wo die Patientin
       > nicht aufhören kann ...
       
       Im Alter mehren sich die kuriosen Krankheiten. Ich zum Beispiel leide seit
       einiger Zeit an Kochwut. Leider nicht an der Art, wo die Patientin nicht
       aufhören kann, Topf und Tiegel mit wunderbar duftenden Gerichten zu füllen,
       Kochzeitschriften zu abonnieren und den Gatten dick zu mästen. Bei mir ist
       alles ganz anders. Ich werde wütend, wenn ich koche. Ich koche also quasi
       doppelt.
       
       Ich habe eine Freundin, die Kuchen backt, wenn sie wütend ist. Ein Krach
       mit dem Ehemann wird schnurstracks umgewandelt in ein eindrucksvolles
       Ensemble aus Gugelhupf, Apfeltorte und ihren speziellen
       Schoko-Rosinen-Küchlein, nach denen alle verrückt sind - ihre Wut reicht
       immer gleich für mehr als ein Backwerk. Am Ende ist ihr Zorn verraucht, und
       die Familie himmelt sie an. Ihre Backwut ersetzt eine Familientherapie mit
       systemischer Aufstellung und Auramassage. Und außerdem den Cafébesuch.
       
       Ich habe das auch schon probiert, es haut aber nicht hin. Wenn ich wütend
       werde, muss ich mich bewegen, um den Zorn loszuwerden. So schnell kann ich
       gar nicht Eiweiß schlagen, dass die ganze Emotion dabei draufginge. Ich
       muss rennen, und seit der Arzt das Rennen verboten hat, muss ich ins
       Fitnessstudio.
       
       Das ist unpraktisch, weil man im Büro nicht nach Empfang unangenehmer,
       dreister oder idiotischer E-Mails mit der Tür knallen kann; das heißt, das
       geht schon, aber dann brüllen: "Ich muss jetzt unbedingt auf den
       Crosstrainer!" und erst nach zwei Stunden zurückkommen - ganz schlecht für
       die Karriere. Außerdem gibt es leider in meinem Fitnessstudio jede Menge
       Leute, die mich wütend machen: Sportler, die zu laut sind oder zu
       aufdringlich riechen. Oder wie die manchmal gucken, nee, das geht ja gar
       nicht. So lange kann ich gar nicht auf der Stelle rudern, bis ich das
       aushalte.
       
       Auch für die Wiederwahl zur Mama des Jahres ist es leider kaum hilfreich,
       den Löffel in der halbfertigen Spaghettisoße stecken zu lassen und zu
       rufen: "Euer Essen steht im Kochbuch!", ehe man dann zum Krafttraining
       aufbricht. Ich hasse Kochen. O, wie ich es hasse. Noch mehr aber hasse ich
       mich.
       
       Denn selbst ich bin in ruhigeren Momenten fähig zuzugeben, dass es wohl
       doch keine Weltverschwörung gibt, die mich dazu zwingt, Pfannkuchen am
       Fließband herzustellen und über das Nichtanbrennen von Lauchtorten zu
       wachen. Es ist auch nicht wahr, dass alle anderen im Haushalt nichts tun.
       Sie tun nur nichts, was man hinterher essen kann. Nach drei Stunden im
       Fitnessstudio kann ich sogar einsehen, dass die Welt wichtigere Probleme
       auch für mich bereithält als die Frage, was es zum Abendessen geben soll
       und wieso eigentlich immer ich …
       
       Andererseits, wen interessiert schon Christian Wulff? Ich würde höchstens
       wissen wollen, ob der Bild-Zeitungs-Erpresser zu Hause auch mal am Herd
       steht, oder ob dieser Job der Grinsekatze an seiner Seite zugefallen ist.
       Und ob sie immer noch dieses schockgefrorene Lächeln trägt, wenn sie zum
       hundertsten Mal seinen Lieblingseintopf "Würstchen am Rubikon" auftragen
       muss.
       
       11 Jan 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Susanne Fischer
       
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