# taz.de -- die wahrheit: Neues Stalingrad
> Selbstfindung: In Nordrhein-Westfalen dürfen sich Städte nun selbst
> illustre Beinamen geben und damit die Ortsschilder verzieren.
(IMG) Bild: Ein Elefant geht über die Wupper, was die Stadt Wuppertal gern in ihren Beinamen aufnehmen würde.
Finanzkrise, Naziterrorismus, Weltuntergang, Christian Wulff: Das
derzeitige Medieninteresse steht ganz im Zeichen von Endzeitstimmung und
Bundespolitik. Um so beruhigender ist es, einmal Nachrichten aus Regionen
zu hören, wo sich ansonsten höchstens Fuchs und Elster eine gute Nacht
wünschen oder eine verirrte Silvesterrakete die Landesgrenze überfliegt.
In Nordrhein-Westfalen wurde jetzt erstmals seit Amtsantritt der rot-grünen
Landesregierung eine wirklich innovative Neuerung beschlossen. Eine
Änderung der Gemeindeordnung erlaubt es Städten, identitätsstiftende
Beinamen zu beantragen und diese dann zum Beispiel auf die
Ortseingangsschilder zu drucken.
Der Anstoß kam aus dem Herzen der nordrhein-westfälischen
Bildungslandschaft, der Stadt Hagen. Die Stadt möchte künftig den Zusatz
"Stadt der Fernuniversität" im Namen tragen. Ob dieser Beiname auf die
Entfernung zur nächsten Universität anspielt oder dafür werben soll, hier
studieren zu können, ohne die Stadt auch nur einmal sehen zu müssen, bleibt
für den nichteingeweihten Betrachter erst einmal offen.
Schließlich gehe es zunächst um das Aha-Erlebnis, heißt es in
Namenszusatzexpertenkreisen. Fahre man beispielsweise nach Hagen und lese
das Ortsschild "Stadt der Fernuniversität" wisse man gleich: "Aha, deshalb
war ich also noch nie hier", verlasse man sie hingegen und lese: "Auf
Wiedersehen in der Stadt der Fernuniversität", denke man wahrscheinlich
nur: "Hä?" Auf jeden Fall rege es zum Nachdenken an, so die Fachleute.
Bisher haben drei Städte einen Antrag auf Beinamen gestellt, neben Hagen
sind dies Solingen, das den Beinamen "Klingenstadt" beantragt, und
Attendorn, das künftig "Hansestadt Attendorn" heißen möchte und sich damit
in eine Reihe mit Metropolen wie Gardelegen, Salzwedel oder Buxtehude
stellt, die aufgrund dieser Zusatzbezeichnung inzwischen allein vom
Tourismus leben können.
Die anderen Städte Nordrhein-Westfalens haben zwar noch keine offiziellen
Erklärungen abgegeben, aber selbstverständlich wollen auch sie sich diese
einzigartige Chance der Eigenwerbung nicht entgehen lassen. Es existiert
bereits eine Liste unveröffentlichter Wunschbeinamen, die zwar mit dem
Aktenvermerk "streng geheim" versehen ist, aber durch Duisburger
Schindluder und Kölner Klüngel an die Öffentlichkeit gelangte. So möchte
sich Mülheim an der Ruhr den Beinamen "Stadt am Fluss" geben, um ein für
alle Mal klarzustellen, dass es sich nicht um die Stadt an der
gleichnamigen Krankheit handelt.
Wuppertal hingegen möchte sich entweder "Stadt an der Wupper" oder "Stadt
der Schwebebahn" oder "Stadt, in der schon einmal ein Elefant mitsamt einem
Waggon der Schwebebahn in die Wupper stürzte" nennen. Das sei zwar etwas
geflunkert, aber da tatsächlich bereits sowohl ein Elefant als auch ein
Waggon der Schwebebahn in die Wupper stürzten, habe man die Ereignisse
einfach zusammengefügt und so einen knackigen Beinamen gefunden.
Identitätsstiftend wirkt auch der Wunschbeiname der Landeshauptstadt
Düsseldorf. Der Titel "Landeshauptstadt" soll erhalten bleiben, doch
zusätzlich soll eine besondere Mischung aus Lokalpatriotismus und Welt-
oder zumindest Deutschlandgewandtheit durch den Zusatz "Stadt der Toten
Hosen" präsentiert werden. Die "Herbert-Grönemeyer-City" Bochum könnte
künftig ebenso ein Gesprächsthema sein wie die Stadt Essen, die sich den
Vor- und Beinamen "Lecker" sichern möchte.
Duisburg dagegen soll komplett umbenannt werden. Einerseits in Anspielung
auf die zahlreichen Pleiten und Tragödien wie Grubenschließung, Schimanski
oder Loveparade, andererseits aber vor allem zu Ehren des dort seit
Generationen herrschenden Diktators soll die Stadt künftig "Sauerland"
heißen. Kritiker dieses Vorschlags meinen hingegen, der Name "Stalingrad"
würde irgendwie besser passen.
Auch über Nordrhein-Westfalen hinaus beobachtet man die neue Entwicklung
mit wachsendem Interesse und findet die Idee prima. So hätte beispielsweise
Chemnitz Interesse, wenigstens im Beinamen wieder "Karl-Marx-Stadt" zu
heißen, während das etwas weiter südlich gelegene Zwickau durchaus
Ambitionen hätte, sich "Braunes Celle" zu nennen. Celle in Niedersachsen
möchte den schon längst gebräuchlichen Beinamen "Gefängnisstadt" auch
offiziell verwenden, und Berlin liebäugelt mit "Hauptstadt".
In München ist hingegen längst klar, dass man "FC Bayern" auf die
Ortseingangsschilder schreiben wird, sobald es erlaubt wird. Nur eines kann
wohl selbst die kühnste Änderung der Gemeindeordnung nicht erreichen: die
längst überfällige Abschaffung von Ländern wie Niedersachsen.
11 Jan 2012
## AUTOREN
(DIR) Gregor Mothes
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