# taz.de -- Abschiebung: "Es fehlte am guten Willen"
       
       > Die Dokumentation "Wadim" porträtiert einen jungen Mann, der in Hamburg
       > aufwuchs, abgeschoben wurde - und sich vor den Zug warf. Ein Gespräch mit
       > Wadims Betreuer anlässlich der Premiere.
       
 (IMG) Bild: Nach seiner Abschiebung nach Riga irrte er durch Europa: Wadim vor dem Louvre in Paris.
       
       taz: Herr Mazurkiewicz, in dem Dokumentarfilm "Wadim" über den Tod eines
       jungen Mannes, der in Deutschland aufwuchs, aber nach Lettland abgeschoben
       wurde, sind auch Sie zu sehen. Warum? 
       
       Mieczyslaw Mazurkiewicz: Ich kann den Tod von Wadim K. nicht akzeptieren.
       Der Mensch ist das Wertvollste, was wir haben, in Deutschland, in Lettland,
       überall. Das Beispiel von Wadim K. zeigt, wie man damit nicht umgeht, und
       deshalb habe ich dem Interview zugestimmt.
       
       Besonders auffällig in dem Film ist, dass sich die Sozialarbeiter, Lehrer,
       Arbeitgeber alle an Wadim erinnern. 
       
       Wadim hatte eine sehr positive Ausstrahlung. Er hatte Lebenskraft, strotzte
       vor Energie, war jung und probierte sich aus. Er befand sich in diesem
       Zeitraum, den man nie vergisst und er erinnerte mich an meine eigenen
       Kinder. Nur hat man ihm diese schönsten Jahre, diese Jahre der
       Unbekümmertheit einfach weggenommen. Man hat sie ihm geklaut. Wenn ich das
       Schicksal von Wadim mit dem meiner Kinder vergleiche, dann sehe ich eine
       gewaltige Diskrepanz. Wadim hatte aufgrund seines Aufenthaltsstatus nicht
       die gleiche Chance, man hat ihn zu einem Menschen zweiter Klasse gemacht.
       
       2005 hat die Hamburger Ausländerbehörde Wadim als einzigen seiner Familie
       nach Lettland abgeschoben - seine kranken Eltern und sein minderjähriger
       Bruder blieben. Ist das der Grund, dass er sich fünf Jahre später in
       Hamburg vor die S-Bahn geworfen hat? 
       
       Man kann sehr leicht menschliches Leben vernichten. Wadim war ein
       wertvoller Mensch, der leben, der arbeiten und seine kranken Eltern
       unterstützen wollte. Das hat man ihm verweigert. Wann immer er illegal in
       Hamburg war, hat er gesehen, was seine Eltern haben, was sein Bruder hat
       und was er hatte - nicht mehr als einen kleinen Rucksack. Sein Bruder
       durfte letztlich studieren, während er ohne Perspektive als Hilfsarbeiter
       in Riga arbeiten musste.
       
       Warum wurde Wadim überhaupt abgeschoben? Der Bescheid war zehn Jahre alt! 
       
       Es fehlte am guten Willen. Die Hamburger Behörden waren nicht verpflichtet,
       den Bescheid des Bundesamtes von 1995 auszuführen. Sie haben es aber getan,
       obwohl die Familie sich da längst eingelebt und eine neue Heimat gefunden
       hatte. Es ist doch bezeichnend, dass die Eltern 2007 letztlich eine
       Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen erhalten haben.
       
       Warum nicht früher? 
       
       Diese Frage können nur die zuständigen Behörden beantworten.
       
       Sie haben die Familie im Film als eine Familie von Opfern bezeichnet. Opfer
       von wem? 
       
       Von inhumanen Entscheidungsträgern. Die haben, obwohl es juristische
       Anträge gab, den Fall neu zu prüfen, entschieden, die Abschiebung zu
       vollstrecken. Zu einem Zeitpunkt, als Wadim noch vier Monate zur Beendigung
       seiner Lehre fehlten.
       
       Wadim war sechs Jahre alt, als die Familie nach Hamburg kam. Warum hat man
       einem 18-jährigen nicht wenigstens die Chance gegeben, die Lehre zu
       beenden? 
       
       Das war eine dumme, unmenschliche Entscheidung, die zur Folge hatte, dass
       er beruflich in Lettland keine Chance hatte. Mit einer abgeschlossenen
       Lehre wäre das eventuell anders gewesen. Der Abschluss hätte vielleicht
       anerkannt werden können. Theoretisch gab es aber auch eine zweite Option -
       die der Rückkehr nach Hamburg. Wadim hätte hier seine Ausbildung beenden
       können, denn die Schule hätte ihn erneut aufgenommen. Doch die
       Verantwortlichen in der Behörde waren nicht bereit, die
       Abschiebeentscheidung rückgängig zu machen und das Einreiseverbot
       aufzuheben. Das wäre durchaus möglich gewesen.
       
       Wadim hatte also weder hier noch in Lettland eine Chance - dank der
       Hamburger Behörden? 
       
       Hier sollte er obendrein noch die Abschiebekosten von 4.200 Euro
       zurückerstatten. In Lettland hatte er als Mensch mit russischen Wurzeln,
       aber ohne irgendwelche Papiere, keine Chance auf dem Arbeitsmarkt. Man darf
       Russen einfach nicht zu Letten schicken, denn dort gelten sie aufgrund der
       Geschichte als Besatzer. Wadim landete zwischen allen Stühlen. Er war de
       facto staatenlos, de jure hat man ihm und seiner Familie allerdings diesen
       Status nicht zugebilligt.
       
       Dank dem Abkommen vom 1998. 
       
       Ja, in diesem unmoralischen Abkommen steckt das ganze Übel. Warum hat sich
       ein kleines Land wie Lettland 1998 bereit erklärt, alle ehemaligen Bürger
       der Sowjetunion aus Deutschland aufzunehmen? Aus Liebe zu diesen Menschen?
       Lettland hat sich in diesem Abkommen zu nichts verpflichtet, nur zur
       Übernahme. Das heißt, das Ziel war, dass diese Menschen weiterfahren - nach
       Armenien, nach Aserbaidschan, in die Ukraine oder sonst wohin. In Lettland
       hatten die Menschen nichts zu erwarten, und dafür ist Wadim auch ein
       Beispiel.
       
       Heute können einige Jugendliche, die mit einer Duldung in Hamburg leben,
       ihre Ausbildung machen - dafür hat die Handelskammer angesichts sinkender
       Azubi- Zahlen gesorgt. 
       
       Hätte man Wadim eine solche Chance gegeben, hätte er sicherlich einen Job,
       vielleicht ein Kind. Vielleicht würde er wie sein jüngerer Bruder
       studieren. Er würde dieser Gesellschaft etwas zurückgeben. Diese Familie
       wollte sich hier integrieren, sie wollten arbeiten, und ich werde den
       Selbstmord von Wadim nie akzeptieren - er war sinnlos.
       
       20 Jan 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Knut Henkel
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Abschiebung
       
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