# taz.de -- Wirtschaftsgipfel in der Schweiz: Konzernchefs im Flüchtlingslager
       
       > Beim Weltwirtschaftsforum in Davos geht es um Politik, Geschäft und zur
       > Schau gestellte Wohltätigkeit. Mit Pragmatismus versucht Sally Begbie
       > dort Spenden einzuwerben.
       
 (IMG) Bild: Business und Tod gehören oft zusammen: Demonstrant in Davos.
       
       DAVOS taz | Schreie, Schüsse, gebellte Kommandos. Eine Taschenlampe
       leuchtet in die Augen, daneben der Lauf der Maschinenpistole. "Raus aus dem
       Zelt, schneller, stellt euch in einer Reihe auf, schneller!" Wir stolpern
       übereinander. Der Offizier in gefleckter Uniform brüllt. Stöße mit der
       Kalaschnikow in die Rippen. Wir werden in die Zelte zurückgetrieben. An
       Ruhe ist nicht zu denken.
       
       Wieder Hilferufe, Lärm, Maschinengewehrsalven. Wir stehen Schlange für ein
       Stück Brot. Viele Leute sind verletzt, Wunden von Machetenhieben und
       Schüssen. Im dreckigen Sanitätszelt gibt es - nichts. So ähnlich, und doch
       ganz anders soll er sein, der Alltag in Flüchtlingslagern irgendwo auf der
       Welt. Jetzt, hier, mitten im Schweizer Bergkurort Davos, handelt es sich um
       eine Simulation, an der teilnehmen kann, wer eine Stunde einen Hauch von
       Flüchtlingsschicksal erleben mag.
       
       Die private Wohltätigkeitsorganisation Crossroads aus Hongkong hat ihren
       Parcours "Refugee Run" aufgebaut. Man kann sich anmelden und kommt in
       Berührung mit ziemlich vielem, was im mitteleuropäischen Leben keine Rolle
       spielt: Stacheldraht, zugeschissenen Latrinen, räuberischen Helfern. Alles
       Schauspiel, das wissen wir, und doch sehr eindrücklich - man bekommt eine
       Ahnung, was es heißt, bewaffneten Menschenschindern ausgeliefert zu sein.
       
       ## Computer für das Flüchtlingshilfswerk
       
       Warum macht Crossroads-Chefin Sally Begbie diese Show in Davos? Die frühere
       PR-Beraterin, die in Hongkong lebt, lädt nicht nur Journalisten und
       Schulklassen ein, sondern auch Manager. Nach einer Stunde hier, so Begbie,
       würde mancher Konzernchef fragen: "Was kann ich tun?" Die Frau antwortet
       dann: "Das, was Ihr Unternehmen am besten kann."
       
       So habe Microsoft dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, mit dem
       Crossroads kooperiert, eine große Anzahl von Computern gespendet. Andere
       Firmen würden sich um das Schulmaterial für die Kinder in den Lagern
       kümmern. Aber sind manche Unternehmen nicht mitverantwortlich für das Elend
       - indem sie Staudämme bauen, Agrarland aufkaufen oder auf andere Weise
       Menschen zu Flüchtlingen machen? Da ist die Crossroads-Chefin sehr
       vorsichtig. Durch kritische Reden will sie den guten Kontakt zur Wirtschaft
       nicht verderben.
       
       Crossroads ist ein Beispiel für das, was der Chef des
       Weltwirtschaftsforums, Klaus Schwab, mit dem Motto "Den Zustand der Welt
       verbessern" meint. Dies ist die erste Debatte, die in Davos läuft - der
       Wohltätigkeitsdiskurs. Im Mittelpunkt steht, dass Konzerne in der
       Öffentlichkeit gut aussehen wollen, obwohl sie vielleicht gar nicht so gut
       sind.
       
       ## Das kapitalistische Modell hat Fehler
       
       Das zweite Gespräch steht dieses Jahr im Zeichen der Kapitalismusdebatte.
       Politiker und Vorstände streiten, ob die Wirtschaft als Reaktion auf die
       Finanzkrise stärker durch die Regierungen gezügelt werden müsste. Kann die
       Marktwirtschaft soziale Teilhabe für möglichst alle Bürger der Erde
       schaffen? Leisten die Unternehmen das?
       
       Nein, erklärt Nariman Behravesh, Chefökonom von IHS Globalinsight, einer
       weltweiten Analysefirma. Das gegenwärtige kapitalistische Modell habe
       durchaus Fehler, beispielsweise die zunehmende Ungleichverteilung von
       Einkommen und Vermögen, die an die 1930er Jahre in den USA erinnere.
       Deshalb plädiert er dafür, den Reichen höhere Steuern aufzuerlegen und
       diese Mittel für Infrastruktur und Bildung auszugeben.
       
       Viele Vorstände argumentieren dagegen recht selbstbewusst, etwa Ben
       Verwaayen, der Vorstandschef von Alcatel-Lucent. Im Gegensatz zu
       Gewerkschaften und Regierungen, die nur auf das Bewahren alter Strukturen
       setzten, würden die Firmen neue Produkte, neue Jobs und Wohlstand schaffen,
       meint Verwaayen. Wer etwas für die Arbeitslosen tun wolle, müsse also den
       Unternehmern, vor allem den Gründern, die Bahn frei machen.
       
       ## Zwölf Unternehmen in 18 Monaten
       
       Und wie sieht das ein Angehöriger dieser Spezies? Lars Hinrichs, den
       35-jährigen Gründer der Internetfirmen politik-digital.de und Xing,
       erwischt man mit etwas Glück im Kongresszentrum von Davos. Wie viel Zeit er
       hat? Zehn Minuten. Er sagt: "In den vergangenen 18 Monaten habe ich zwölf
       Unternehmen mitgegründet." Hinrichs betätigt sich als Investor.
       
       "Unternehmen sind die Einzigen, die zur Verantwortung für etwas Neues
       bereit sind, die zum Beispiel Leute einstellen." Und hat Hinrichs auch
       Geschäfte in Davos gemacht? Er schüttelt schon beim Ansatz zu der Frage den
       Kopf. Keine Informationen, auch nicht anonymisiert. Womit wir beim dritten
       Diskurs von Davos angelangt sind. Möglicherweise ist er der wichtigste -
       das Kauf- und Verkaufsgespräch.
       
       Die Deutsche Börse AG betreibt hier Lobbying für die geplante Fusion mit
       der New Yorker Börse. Chinesische Firmen verhandeln über die Ausbeutung von
       Erdgasvorkommen im Schiefergestein Nordamerikas. Und auch das Agrarbusiness
       ist in Bewegung. Konzerne wie Monsanto, Syngenta, Bayer und Kraft
       präsentieren ihr gemeinsames Projekt "Neue Vision für die Landwirtschaft".
       
       Die Unternehmen versprechen, der einen Milliarde hungernder Menschen zu
       helfen und den Kleinbauern in Asien und Afrika Zugang zu produktiveren
       Anbaumethoden zu verschaffen. Was der wirkliche Inhalt dieser Gespräche
       ist, erfährt man allerdings kaum. Dieser Teil der Debatten findet in
       geschlossenen Veranstaltungen und den Suiten der Hotels am Berghang
       oberhalb des Kongresszentrums statt.
       
       27 Jan 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hannes Koch
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Syrien
       
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