# taz.de -- Stresstest in Wannsee: Der schlafende Reaktor
       
       > Der Forschungsreaktor in Wannsee hat seinen Stresstest bestanden. Stimmen
       > gegen die neue Inbetriebnahme gibt es kaum. Wann er wieder laufen soll,
       > ist trotzdem unklar.
       
 (IMG) Bild: Schlechte Laune gibt es vielleicht bald auch in Berlin
       
       Vom Schlafzimmerfenster aus hat Dietrich Antelmann einen guten Blick auf
       den Feind: Auf den weiß-grauen Schornstein, der zwischen den Bäumen
       emporragt, und auf die in die Jahre gekommenen Industriebauten, nicht
       einmal hundert Meter entfernt von seiner Wohnung. In den Industriebauten
       versteckt sich ein Reaktor.
       
       Antelmann schließt die Tür zum Schlafzimmer. "Hätte ich gewusst, dass sich
       ein Reaktor auf dem Gelände befindet, wäre ich nicht hierhergezogen", sagt
       er. Der Schornstein und die Fabrikgebäude gehören zur Anlage des
       Helmholtz-Zentrums für Material und Energie in Wannsee. Wer gleich um die
       Ecke von Antelmanns Wohnung die Straße hinuntergeht und dann durch mehrere
       Sicherheitsschleusen hindurch ein Gebäude betritt, landet im Berliner
       Forschungsreaktor BER II.
       
       Antelmann ist Ende der 1960er Jahre nach Wannsee gezogen - da gab es den
       Reaktor schon seit zehn Jahren. 1958 ging er erstmals in Betrieb, damals
       noch unter Leitung des Hahn-Meitner-Instituts für Kernforschung. Nach dem
       Ausbau, der zwischenzeitlichen Stilllegung durch eine grüne Umweltsenatorin
       und dem Weiterbetrieb unter der Regie des Helmholtz-Zentrums ist der
       Reaktor derzeit seit mittlerweile fast anderthalb Jahren wegen eines Umbaus
       abgeschaltet.
       
       Erst sollte der planmäßige Umbau nur wenige Monate dauern, aber dann
       schmolzen Reaktorkerne in Fukushima. Zur Diskussion über die Sicherheit von
       Atomanlagen passte es politisch ganz gut, dass der Forschungsreaktor gerade
       nicht lief. Nachdem nun der TÜV Rheinland auch BER II einem Stresstest -
       einer Kombination aus Untersuchungen vor Ort und Berechnungen zu möglichen
       Katastrophen - unterzogen hat, ist klar: Er soll wieder angefahren werden.
       
       Anders als Atomkraftwerke dient der Berliner Reaktor nicht der
       Stromerzeugung. Er produziert Neutronen, die die Wissenschaftler für ihre
       Forschung nutzen, unter anderem zur Wasseraufnahme von Pflanzen, der
       Haltbarkeit von Beton oder den Vorgängen im Inneren von Brennstoffzellen.
       Es handele sich vor allem um Grundlagenforschung, sagt Helmholtz-Sprecherin
       Ina Helms.
       
       ## Sieben Kilo Uran
       
       Die Leistung des Reaktors ist deutlich geringer als die eines Kraftwerks.
       Zehn Megawatt hat BER II. Zum Vergleich: Das Atomkraftwerk Krümmel brachte
       es auf mehr als 1.300 Megawatt. Doch genau wie in einem Atomkraftwerk gibt
       es in Wannsee radioaktives Material. Rund sieben Kilo Uran hängen in dem
       Reaktorbecken, mehrere Dutzend Brennelemente lagern hier.
       
       Die Schwachstelle nennt der Bericht über den Stresstest auf Seite 28: "Die
       Anlage ist nicht gegen Flugzeugabsturz ausgelegt", heißt es dort. Auch von
       Seiten des Helmholtz-Zentrums räumte man stets ein, dass nach der
       Zerstörung des Reaktorbeckens durch einen Flugzeugabsturz das Wasser aus
       dem Becken fließen würde. Dann drohte eine Kernschmelze.
       
       Gegenmaßnahmen wie etwa den Bau eines Containments, also einer Betonhülle,
       gibt es nicht. Im Gegenteil: Die Überprüfung habe ergeben, dass der Reaktor
       im Vergleich zu Atomkraftwerken einen hohen Grad an "Robustheit" besitze,
       so die Behörde in ihrem Bericht. Schließlich sei seine Leistung deutlich
       geringer und er werde im Gegensatz zu Atomkraftwerken ohne Druck betrieben.
       Gebe es doch mal ein Problem, schalte sich die Anlage schnell automatisch
       ab.
       
       Die Hausaufgaben, die Umweltsenator Michael Müller (SPD) dem Betreiber noch
       aufgibt, sind Kleinigkeiten: Das Notfallhandbuch soll überarbeitet und mehr
       Notüberläufe sollen an den Dächern montiert werden, um Starkregen
       abzufangen. Vielleicht wird es in Zukunft noch Feuchtigkeitsmelder im
       Keller geben.
       
       Rechtlich steht dem Anfahren also nichts im Wege. Zumal, wie die
       Senatsumweltverwaltung betont, der Stillstand nichts mit dem Stresstest,
       sondern mit den Umbauarbeiten zu tun hatte. Viel zu sagen habe sie zum
       Reaktor ohnehin nicht: "Wir könnten nur eine Abschaltung verlangen, wenn
       Gefahr im Verzug ist", sagt eine Sprecherin Müllers.
       
       Antelmann schüttelt darüber den Kopf. Es gebe nicht nur eine akute Gefahr,
       sondern auch eine akute Belastung - er zitiert eine bekannte Studie, nach
       der die Krebsrate von Kindern im Umkreis von Atomkraftwerken deutlich
       erhöht ist. Seine Partnerin Brigitte Jaschke, die selbst an Krebs erkrankt
       ist, berichtet, dass auch in ihrer Nachbarschaft viele Menschen erkrankt
       seien. Und nein, das liege nicht daran, dass hier im Umkreis vor allem
       ältere Menschen wohnen würden, auch Jüngere seien erkrankt. "Ich will, dass
       das mal untersucht wird", sagt sie.
       
       Das sieht Ewald Feige von der atomkritischen Ärzteorganisation IPPNW
       ähnlich. Man müsse untersuchen, welche Auswirkungen die Strahlung während
       des Betriebs habe. Schließlich könnten durch die fehlende Betonhülle auch
       Stoffe mit kurzer Halbwertszeit schneller in die Umwelt gelangen. "Es ist
       eine alte Technologie, und sie ist gefährlich", sagt Feige.
       
       Mit einer Klage gegen den Betrieb des Reaktors hat Antelmann es bereits
       versucht, drei Mal sogar. Er zieht einen breiten Ordner mit der Aufschrift
       BER II aus dem Wohnzimmerschrank. Zwischen den Aktendeckeln befinden sich
       hunderte Seiten von Klageschriften, Gutachten, Anwaltsschreiben aus den
       Prozessen. Nach zwölf Jahren unterlag er endgültig vor Gericht. Auch wenn
       das nun schon fast 15 Jahre her ist - ihm reiche es, sagt er, weiter klagen
       wird er nicht.
       
       Die Piraten sprechen sich derweil dafür aus, die Anlage gar nicht wieder
       anzufahren. "Jetzt, wo er schon abgeschaltet ist, wäre es am besten, er
       würde gar nicht wieder eingeschaltet werden", sagt Simon Kowalewski.
       Perspektivisch könne man die Forschung mit anderen Technologien
       weiterführen - bis die einsatzfähig seien, komme man auch ohne den Reaktor
       aus.
       
       "Natürlich ist das ein Auslaufmodell. Der würde heute so nicht mehr
       genehmigt werden", sagt auch Wolfgang Albers, wissenschaftspolitischer
       Sprecher der Linksfraktion. Dennoch: Beispielsweise für die Materialprüfung
       gebe es derzeit keine alternativen Methoden.
       
       Ähnlich sieht das seine Kollegin Anja Schillhaneck von den Grünen: "Es ist
       schon eine andere Situation als bei Leistungsreaktoren", sagt sie.
       Schillhaneck will sich dafür einsetzen, dass der Wissenschaftsausschuss vor
       dem Wiederanfahren über die Ergebnisse des Stresstests und die Zukunft des
       Reaktors diskutiert. Ändern wird sich dadurch aber kaum etwas - auch in
       Ausschüssen dominiert die Koalitionsmehrheit die Abstimmungen. Die liegt
       mit ihrer Argumentation auf der Linie von Albers: Selbst für den
       unwahrscheinlichen und schlimmsten Fall, dass Radioaktivität austrete, "die
       Konsequenzen wären durch die geringe Menge noch beherrschbar", sagt er.
       
       Wie schnell sich der Forschungsreaktor ersetzen lässt, wie es die Piraten
       in Betracht ziehen, ist umstritten. Sogenannte Spallationsquellen, die ohne
       den Einsatz von radioaktivem Material Neutronen produzieren, sollen
       Forschungsreaktoren überflüssig machen. Derartige Anlagen gibt es zwar in
       Deutschland nicht - wohl aber in den USA, in Japan und in der Schweiz. Dass
       Forschungseinrichtungen ihre Versuche bündeln und an anderen Standorten
       durchführen, ist durchaus üblich - so haben etwa die Jülicher Forscher nach
       der Stilllegung ihres Forschungsreaktors ihre Experimente nach Frankreich
       und Garching ausgelagert. Auch eine Broschüre des Hahn-Meitner-Instituts
       aus dem Jahr 1979 nennt die Spallationsquelle als Alternative zum Reaktor.
       
       Das sieht Helmholtz-Sprecherin Helms auch heute noch so: "Der Reaktor hier
       ist fit für die nächsten zehn, fünfzehn Jahre." Danach komme die Anlage an
       ihre Grenze, was die "wissenschaftliche Verwertbarkeit" angehe. Dann werde
       die Forschung wohl mit Spallationsquellen weitergehen.
       
       Wann genau die Anlage nach dem mehr als einjährigen Stillstand wieder
       angefahren wird, kann Helms nicht sagen. Man hoffe auf März, aber die
       Umbauarbeiten hätten sich bereits deutlich länger hingezogen als geplant.
       Letzte Handgriffe und Abnahmen stünden noch aus. Möglich sei, dass die
       Anlage noch eine Weile abgeschaltet bleibe.
       
       "Ich denke, wenn jemand das Wiederanfahren juristisch verhindern wollte,
       hätte er gute Chancen", sagt Antelmann. Ein Umzug in eine andere Gegend
       komme für ihn nicht in Frage. "Man muss sich da wehren, wo man wohnt. Wenn
       jeder wegzieht, wird nie ein Problem gelöst." Also versucht er es mit
       kleinen Schritten. Schreibt Briefe an den Betreiber, an den neuen
       Umweltsenator. Und hofft, dass es gelingt, die Wiederinbetriebnahme zu
       verhindern.
       
       2 Feb 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Svenja Bergt
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Atomkraft
       
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