# taz.de -- Polens erste transsexuelle Abgeordnete: Ania im Schrank
       
       > Schon als Kind spürte Anna, die damals noch Krzysztof hieß, dass sie
       > anders war. Heute sitzt sie als Abgeordnete im polnischen Parlament.
       
 (IMG) Bild: Anna Grodzka während ihrer Vereidigung im polnischen Parlament, November 2011.
       
       WARSCHAU taz | Hier wollte sich Anna Grodzka verabreden: im Warschauer
       Restaurant "Na Rozdrozu" (An der Kreuzung). Ein paar hundert Meter weiter
       haben Polens Regierung und einige Ministerien ihren Sitz. Ein Szenetreff
       ist das nicht gerade. Abends ist die Gegend wie ausgestorben. Als sie die
       Tür öffnet, erstirbt mit einem Schlag das leise Gemurmel der wenigen Gäste.
       Die Frau, die vor zwei Jahren noch ein Mann war und Krzysztof hieß, kennt
       in Polen jeder. Grodzka ist die erste Transsexuelle im polnischen
       Parlament. Alle starren sie an. Mit schwerem Schritt kommt die hünenhafte
       57-Jährige näher. "Dobry wieczor", sagt sie mit sonorer Stimme, "guten
       Abend".
       
       Sie setzt sich mit dem Rücken zu den Gästen, bestellt einen Café Latte und
       seufzt. "Wenn einen wirklich alle erkennen, ist das doch etwas nervig.
       Manchmal wäre ich einfach gern nur unauffällig normal." Andererseits könne
       man als bekannte Politikerin mehr bewirken. Sie stützt die Ellenbogen auf
       den Tisch, faltet die mit mehreren Ringen geschmückten kräftigen Hände vor
       ihrem Gesicht und lächelt: "Es ist schon okay so, wie es ist." Als ich das
       Mikrofon aus der Tasche ziehe, strafft sie den Rücken: "Erst über mich,
       dann über die politischen Ziele?", fragt sie.
       
       Sie streicht die schulterlangen kastanienbraunen Haare zurück, holt tief
       Atem und erzählt die Geschichte, die sie seit Monaten immer wieder erzählt.
       "Dass ich irgendwie anders war, habe ich schon als Kind gemerkt", berichtet
       sie. "Als Junge hat es mich immer zu den Mädchen gezogen. Ich wollte mit
       Puppen spielen, bin in die hochhackigen Pumps meiner Mama gestiegen und
       habe mich als Prinzessin verkleidet." Später, mit elf Jahren, richtete der
       Junge ein Versteck im Schrankboden ein. Dort lagen alle Utensilien, die aus
       Krzysztof Ania machen konnten. "Das war mein Heiligstes", schwärmt sie im
       Rückblick. "Lippenstift, Wimperntusche und Rouge, eine Rüschenbluse, die
       ich irgendwann einmal meiner Mutter abgetrotzt hatte. Und natürlich meine
       heiß geliebte Stoffpuppe." Die Eltern versuchten der seltsamen
       Mädchenhaftigkeit des Jungen mit Verständnis und Appellen an seine Vernunft
       zu begegnen. "Du bist nun mal ein Junge", sagte die Mutter oft. "Geh zu den
       anderen und spiel mit ihnen Fußball!"
       
       Die Kellnerin kommt an den Tisch: "Darf ich den Damen noch etwas bringen?",
       fragt sie übertrieben freundlich. Dabei tänzelt sie um Anna Grodzka herum,
       als sei diese gerade mit einem Ufo gelandet. Die Politikerin winkt bestimmt
       ab, "wir haben alles". Die anderen Gäste tuscheln. Gesprächsfetzen wie
       "Geschlechtsumwandlung", "Was mag sie wiegen: ein Zentner?",
       "Parteikarriere" oder "antiklerikal" dringen durch.
       
       Lange habe sie selbst nicht verstanden, warum sie sich in ihrem Körper so
       unwohl fühlte, warum sie als Junge wie ein Mädchen fühlte und als Mann wie
       eine Frau. "Ich habe dann geheiratet", sagt sie und macht ein kurze Pause.
       "Die Ania im Schrank habe ich getötet. Ich hatte mich entschieden, ein Mann
       zu sein. Mit allem, was dazugehört." Lippenstift und Wimperntusche landeten
       im Müll. Auch die einst so geliebte Stoffpuppe.
       
       ## "Entweder Ania oder ich!"
       
       Das Paar bekam ein Kind. Doch damit geriet die Ehe in die erste Krise. Denn
       obwohl auch Krzysztof so etwas wie Mutterliebe spürte, durfte er höchstens
       mal mit dem kleinen Bartek spazieren gehen. Im Schrank entstand ein neues
       Ania-Versteck. Als seine Frau es entdeckte, drohte sie mit Scheidung:
       "Entweder Ania oder ich!" Grodzka senkt die Augen: "Ich hatte die Wahl
       zwischen Liebe und Wahrheit. Ich liebte mein Frau, wollte die Beziehung
       retten. Und so tötete ich Ania ein zweites Mal." Zwanzig Jahre hielt die
       Ehe. Dann erkrankte der erfolgreiche Bauunternehmer an Nierenkrebs. Eine
       Operation rettete ihm das Leben.
       
       "Doch danach wurde Ania in mir immer stärker und klagte ihr Recht auf Leben
       ein. Ich hatte keine Kraft mehr, sie auf Neue zu töten", sagt die
       Abgeordnete. Krzysztof begann sich die Haare an Armen und Beinen zu
       rasieren, ging zur Maniküre, kaufte Kosmetik und Kleider. Das Haupthaar
       ließ er wachsen und band es zu einem Pferdeschwanz zusammen. "Meine Frau
       hat das nicht verkraftet. Sie fühlte sich betrogen. Schließlich reichte sie
       die Scheidung ein." Grodzka senkt den Kopf. "Das war der Tiefpunkt in
       meinem Leben." Sie streicht über die hellrosa lackierten Fingernägel.
       
       ## Als Baby adoptiert
       
       "Ich ging dann aufs Ganze: Geschlechtskorrektur mit Operation und
       Namensänderung." Die zweijährige Therapie mit der Diagnose
       "Transsexualität" hatte sie bereits hinter sich. Sie wusste, was sie tun
       musste, um sich auch rechtlich in eine Frau zu verwandeln. "Doch als ich
       dann meine Geburtsurkunde genauer betrachtete, stellte ich fest, dass sie
       erst an meinem 18. Geburtstag ausgestellt worden war." Mir mehr als 50
       Jahren erfuhr Krzysztof B. auf diese Weise, dass er als Baby adoptiert
       worden war. Die Adoptiveltern hatten ihm nie ein Wort gesagt. "Sie sind
       tot, ich konnte sie nicht einmal mehr befragen."
       
       Über einige Umwege fand er Namen und Adresse seiner leiblichen Mutter
       heraus. Sie lebt in Südpolen. "Ich kaufte 19 rote Rosen, weil sie 19 war,
       als sie mich zur Welt brachte, und fuhr hin." Im Auto vor dem Haus dachte
       er, dass es vielleicht besser sei, vorher anzurufen, statt einfach so
       hereinzuschneien.
       
       "Sie freute sich, dass ich sie gefunden hatte, wollte aber nicht, dass ich
       reinkam. Sie mache gerade Piroggen und sei vollkommen eingemehlt." Grodzka
       lächelt. "Ich wollte sie nur kurz sehen und ihr die Blumen geben.
       Schließlich meinte sie, ich solle warten. Sie komme ans Auto." Es dauerte
       weit über eine Stunde. Schließlich kam sie zusammen mit ihrem Mann raus.
       Sie hatte ihm das uneheliche Kind nie gebeichtet, das sie zur Adoption
       freigegeben hatte. "Zur Begrüßung kamen Wodka und Speck auf den Tisch. Wir
       feierten."
       
       ## Eine kastanienbraune Perücke
       
       Grodzka winkt der Kellnerin: "Bitte noch einen Café Latte und ein Glas
       Wasser!" Aus der Handtasche kramt sie eine kleine Puderdose, klappt den
       Spiegel auf und überprüft, ob Frisur und Make-up noch sitzen. Einer
       plastischen Operation hat sie sich nicht unterzogen. Das wird sie auch
       nicht mehr. Sie hat Probleme mit dem Herzen und ist zuckerkrank. Zwar
       konnten die Hormone, die sie seit Jahren einnimmt, den Bartwuchs stoppen.
       Doch ihre Gesichtszüge werden männlich bleiben. Da ihr eigenes Haar bereits
       schütter ist, trägt sie eine kastanienbraune Perücke mit schulterlangem
       Haar und Pony. Die Politikerin packt die Puderdose wieder ein.
       
       "Bei unserem ersten Treffen nahm mich meine Mutter zur Seite und sagte:
       ,Ich habe noch drei Töchter bekommen. Wie bin ich froh, dass ich nun einen
       Sohn habe!" Krzysztof schluckte. Zwar war er als Mann und im eleganten
       Anzug nach Südpolen gefahren, doch er nahm Hormone, die Brust-OP in
       Thailand war gebucht. Wie sollte er das der über 70-jährigen Mutter und dem
       Stiefvater sagen? "Ich hatte das ewige Versteckspielen satt." Zum Glück
       verhaspelte sich irgendwann eine der Schwestern und erzählte der Mutter von
       Krzysztofs Problem. "Heute ist alles im Lot", sagt Grodzka. "Meine Mutter
       freut sich über eine vierte Tochter und sagt Ania zu mir."
       
       ## Überraschender Erfolg
       
       "Natürlich will ich mich im Parlament vor allem für die Belange von
       Transsexuellen einsetzen, aber auch für die Interessen von Minderheiten,
       die sonst keine Stimme haben", erklärt sie. Die linksliberale und zugleich
       antiklerikale "Palikot-Bewegung" sei genau die richtige Partei, um diese
       Ziele durchzusetzen. Früher ist sie Mitglied im Bündnis der demokratischen
       Linken (SLD) gewesen. Aber die Partei habe immer nur Versprechen gemacht,
       sich später aber weder für sexuelle noch soziale Minderheiten stark
       gemacht.
       
       Viele von der SLD Enttäuschte sind dann fast geschlossen in die
       Palikot-Bewegung eingetreten, bekamen gute Listenplätze und Unterstützung
       im Wahlkampf. "Ehrlich gesagt, hatte ich gar nicht mit so einem großen
       Erfolg gerechnet", bekennt Grodzka. Aber die Idee, fast ausschließlich auf
       die Minderheiten zu setzen, sei voll aufgegangen. "Palikot ist auf Anhieb
       drittstärkste Kraft geworden!"
       
       ## Kein Happy-End in Sicht
       
       Ob sie glücklich sei? Für einen Moment scheint sie dies für eine ungehörige
       Frage zu halten, fängt sich aber schnell und antwortet routiniert: "Ja,
       natürlich. Alle akzeptieren mich als Frau, auch mein Sohn hält zu mir,
       nennt mich heute nicht mehr Papa, sondern Ania." In der Politik gelte sie
       als Shootingstar, seit sie in der konservativen Stadt Krakau fast 20.000
       Stimmen einsammeln konnte. "Das zeigt, wie rasant sich unsere Gesellschaft
       verändert, immer offener und toleranter wird." Außerdem hat sie die
       Stiftung Trans-Fuzja gegründet. Hier können sich Transsexuelle in Polen zum
       ersten Mal offen austauschen und Rat bei Experten einholen.
       
       Ein Happy-End sei allerdings noch nicht in Sicht. Sie steht auf, legt sich
       den Mantel um die Schultern. "Die große Liebe - das war meine Frau. Und die
       habe ich verloren." Sie schweigt: "Ich wusste das von Anfang an. Im Kampf
       zwischen Liebe und Wahrheit habe ich mich lange für die Liebe entschieden.
       Bis ich das ewige Versteckspielen nicht mehr aushielt." Sie sieht nach
       draußen ins Schneetreiben, zurrt den Gürtel fest und sagt: "Wenn ich jetzt
       nach Hause fahre, wartet dort niemand auf mich. Vielleicht gibt es ja
       irgendwann eine zweite Liebe."
       
       13 Feb 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gabriele Lesser
       
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       dagegen.