# taz.de -- Transsexualität im Kindesalter: „Kein Ergebnis vorgeben“
       
       > Die Antidiskriminierungsbeauftragte Eren Ünsal rät, transsexuelle Kinder
       > auf ihrem eigenen Weg zu unterstützen. Und sie nicht stationär „umpolen“
       > zu lassen.
       
 (IMG) Bild: Typisch weiblich: Stereotype im Kinderzimmer sind nach wie vor beliebt.
       
       taz: Frau Ünsal, in Berlin will ein Jugendamt ein transsexuelles Kind in
       der Charité mit umstrittenen Therapiemethoden quasi umerziehen lassen.
       Müssen Sie da nicht einschreiten? 
       
       Eren Ünsal: Da stellen sich viele Fragen: Ist das Kind wirklich
       transsexuell, oder ist das noch gar nicht so klar? Braucht es eine andere
       Form der Unterstützung? Das können wir gar nicht entscheiden. Wir können
       aber die zuständigen Stellen um Informationen bitten und ihnen auch
       beratend zur Seite stehen.
       
       Das Problem liegt darin, dass die Berliner Charité ein Therapieverfahren
       anwendet, das Fachleute als manipulative "Umpolungstherapie" ablehnen. Das
       heißt, das Kind könnte in seinen Menschenrechten massiv verletzt werden. 
       
       Wir haben den Runden Tisch Trans- und Intergeschlechtlichkeit. Da geht es
       genau darum, in den Austausch zu gehen und abzuwägen, welche Verfahren
       angemessen sind. Wir können aber nicht vorgeben, was richtig und was falsch
       ist. Persönlich muss ich sagen, dass ich bei einem manifest transsexuellen
       Kind erst mal überlegen würde, wie ich es unterstützen kann, bevor so
       drastische Maßnahmen wie eine stationäre Einweisung anstehen.
       
       In dem Band "Sexualmedizin" des Charité-Sexualmediziners Klaus Beier heißt
       es: In der Therapie sollen "adäquate Verhaltensweisen belohnt werden,
       geschlechtsatypische Verhaltensweisen werden nicht beachtet bzw. -
       beiläufig - unterbunden." Wie würden Sie so eine Therapie nennen? 
       
       Ich würde das als sehr schwierig einstufen, zumal Betroffene und eine ganze
       Reihe von Expertinnen und Experten nicht mit diesen Therapieansätzen
       einverstanden sind. Der Diskurs geht in die Richtung, solche
       konditionierenden Maßnahmen nicht durchzuführen.
       
       Früher hat man auch versucht, Homosexuelle umzupolen. Das wird heute als
       Menschenrechtsverletzung angesehen. 
       
       Selbstverständlich ist das menschenrechtsverletzend. Aber wenn noch gar
       nicht klar ist, welche Identität das Kind eigentlich hat, kann auch nicht
       von Umpolung gesprochen werden. Jeder Begleitungsprozess zur Unterstützung
       eines jungen Menschen in seiner Identitätsentwicklung muss ergebnisoffen
       sein.
       
       Nun ist das aber genau das Verfahren, das Herr Beier vorschlägt, weil
       seines Erachtens so eine eindeutige Klärung in der Jugend noch gar nicht
       möglich ist. 
       
       Dazu gibt es sehr unterschiedliche Auffassungen. Aus meiner Sicht ist das
       diskriminierend. Das Kind muss dann eben so lange begleitet werden, bis
       eine Abklärung erfolgen kann.
       
       Wenn sich nun also jemand an Sie wendet und sagt, ich möchte nicht in der
       Charité begutachtet werden, sondern etwa in Hamburg. Können Sie da Ihren
       Einfluss geltend machen? 
       
       Wir haben einen sehr guten Draht zu den Jugendämtern, und ich denke, dass
       wir bei den Betreffenden mit unseren Informationen einiges erreichen können
       - erzwingen können wir allerdings nichts.
       
       Wenn man nun Trans- und Homosexuelle vergleicht, fehlt über Transsexuelle
       noch einiges an Aufklärung? 
       
       Es fehlt in beiden Bereichen an Aufklärung. Aber es gibt Untersuchungen,
       die zeigen, dass Transsexuelle in jedem einzelnen Lebensbereich sehr stark
       diskriminiert werden. Im Erwerbsleben wie bei den Dienstleistungen oder im
       Gesundheitsbereich. Da ist ein grundlegendes Wissen noch nicht vorhanden,
       und es gibt starke Vorbehalte gegenüber Transsexuellen.
       
       Kann man das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) hier anwenden? 
       
       Das AGG greift sehr gut, wenn es ums Erwerbsleben oder eine Dienstleistung
       geht. Aber es fehlen auch weite Bereiche, diskriminierendes Verhalten in
       Schulen etwa.
       
       Könnte eine Mutter also mit dem AGG dagegen klagen, dass das Jugendamt ihr
       Kind in die Charité schickt? 
       
       Nein. Das öffentliche Gesundheitswesen ist auch ein Bereich, in dem das AGG
       nicht greift.
       
       Berichtigung
       
       Auf [1][www.taz.de] war unter der Überschrift „Kein Ergebnis vorgeben“ in
       einem Interview mit der Berliner Antidiskriminierungsbeauftragten Eren
       Ünsal vom 5.2.2012 über den Fall eines transsexuellen Kindes zu lesen, ein
       Jugendamt wolle das Kind "in der Charité mit umstrittenen Therapiemethoden
       quasi umerziehen lassen". Weiterhin hieß es, die Berliner Charité wende ein
       Therapieverfahren an, das Fachleute als manipulative „Umpolungstherapie“
       ablehnen. Außerdem war in dem Beitrag der taz zu lesen: „In dem Band
       'Sexualmedizin' des Charité-Sexualmediziners Klaus Beier heißt es: In der
       Therapie sollen 'adäquate Verhaltensweisen belohnt werden,
       geschlechtsatypische Verhaltensweisen werden nicht beachtet bzw. -
       beiläufig - unterbunden.' [...] Nun ist das aber genau das Verfahren
       [Homosexuelle umzupolen; Anm. d. Red.], das Herr Beier vorschlägt.“
       
       Die Berliner Charité und Klaus Beier erklären hierzu, sie wenden dieses
       Verfahren nicht an. Sofern sich hierdurch außerdem der Eindruck ergibt,
       Klaus Beier habe sich zu dem konkreten Fall geäußert, ist dieser Eindruck
       falsch. Den von der taz beschriebenen Fall kenne er nicht, erklärte Beier.
       
       Klaus Beier lässt in diesem Zusammenhang ferner mitteilen, dass er die aus
       dem Buch zitierte Passage nicht selbst verfasst habe, sondern hierdurch
       lediglich die Position einer kanadischen Arbeitsgruppe wiedergegeben werde.
       Gleichwohl war er einer von drei Verfassern des Buches „Sexualmedizin -
       Grundlagen und Praxis“, das zuletzt im Jahre 2005 in 2. Auflage
       veröffentlicht wurde. Leitete er noch am 12.1.2012 per E-Mail „einige
       Originalarbeiten zum Thema“ von anderen Verfassern an die Autorin der taz
       weiter, ohne mitzuteilen, dass diese Aufsätze anscheinend nicht ausnahmslos
       seine eigene wissenschaftliche Auffassung wiedergeben, bezieht er sich
       nunmehr ausdrücklich nur noch auf eine Publikation im Deutschen Ärzteblatt
       aus dem Jahre 2008, in der das Vorgehen der Charité adäquat beschrieben
       werde.
       
       Dagegen heißt es in einem anderen der insgesamt drei übersandten
       Fachaufsätze zur Behandlung von „Geschlechtsidentitätsstörungen bei Jungen“
       übersetzt: „Die spezifischen Ziele, die wir für Jungen haben, sind die
       Entwicklung eines positiven Verhältnisses zum Vater (oder einer
       Vaterfigur), positiver Beziehungen zu anderen Jungen, geschlechtstypischer
       Fähigkeiten und Verhaltensweisen, um sich in die Gruppe Gleichaltriger oder
       zumindest einen Teil von ihnen einzufügen und sich als Junge wohlzufühlen.
       [...] Die Behandlung ist abgeschlossen, wenn der Junge regelmäßig die
       Gegenwart gleichgeschlechtlicher Freunde sucht und sein
       geschlechtsübergreifendes Verhalten weitgehend normal erscheint.“ Die
       Redaktion
       
       5 Feb 2012
       
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