# taz.de -- Kolumne das Tuch: Die Faust und die Tränen
       
       > Eine Kontrolle, zwei Polizisten, eine verrenkte Schulter, 20
       > Sozialstunden: Weil man es richtig machen wollte.
       
       Tayfun ist still. Sein Leben ist routiniert. Er ist fleißig in der Schule,
       gut im Sport und loyal zu seinen Freunden. Schule, Sport, Freunde. Schule,
       Sport, Freunde. Ein ruhiger Mensch. Eine geballte Faust.
       
       Es ist Donnerstagabend vor ein paar Jahren in Hamburg. Tayfun ist fertig
       mit dem Kickbox-Training und schaut auf die Uhr. In 15 Minuten schließt die
       Servicestelle des Hamburger Verkehrsverbunds in Billstedt. Er rennt los.
       Morgen macht seine Klasse einen Ausflug, seine Monatskarte ist abgelaufen.
       Er muss sie heute unbedingt erneuern.
       
       Als er erschöpft ankommt, hat der Schalter bereits geschlossen. Dann
       entdeckt er das Schild: Die Servicestelle am Hauptbahnhof habe heute noch
       bis 20 Uhr auf. Sieben Stationen und 12 Minuten. 62 Euro hat er dabei.
       Genau für die Monatskarte. Nicht mehr. Er steigt trotzdem in die Bahn, ohne
       Ticket. Wird schon.
       
       Als er am Hauptbahnhof aussteigt, geht es nur langsam voran. Oben, am Ende
       der Treppe, lassen Fahrkartenkontrolleure niemanden unkontrolliert durch.
       Tayfun versucht es trotzdem. "Fahrkarte?", fragt ihn der Kontrolleur. "Ich
       war gerade auf dem Weg mir eine Monatskarte zu holen", erklärt Tayfun.
       Jetzt ist er doch ein bisschen aufgeregt. "Ja, ja, erzähl das der
       Polizei!", sagt der Kontrolleur, nimmt ihn am Arm und führt ihn aus der
       Menge. Tayfun ist überrascht. "Warum denn gleich die Polizei? Ich sagte
       Ihnen doch, ich war gerade dabei meine Monatskarte zu holen. In Billstedt
       hatten sie zu", ruft er. Der Kontrolleur zerrt ihn in einen Hinterraum.
       
       ## Mit dem Knie ins Gesicht
       
       Tayfun hat Angst, das hatte er nicht erwartet. Zwei Polizisten betreten den
       Raum. Tayfun versucht, sich zu erklären. Einer der Polizisten baut sich vor
       ihm auf. "Setz dich!", sagt er. Tayfun kann nicht glauben, was passiert.
       "Nein, ich setz mich nicht!" – "Setz dich!" – "Hier!", Tayfun holt aus
       seiner Hosentasche den sorgfältig ausgefüllten und gefalteten Bogen für die
       Monatskarte und knallt ihn zusammen mit dem Geld auf den Tisch, "Sehen
       Sie?" Der Polizist packt ihn an den Schultern und drückt ihn auf den Stuhl.
       "Setzen!" Tayfun wehrt sich. Sofort schlägt ihn der Polizist zusammen mit
       seinem Kollegen auf den Boden. Tayfun fühlt, wie sich seine Schulter
       verrenkt. Er versucht, sich zu befreien. Die Polizisten drücken noch fester
       zu – und der Kontrolleur trifft Tayfun mit dem Knie mitten ins Gesicht.
       
       Ein Passant, der gerade an der offenen Tür vorbeigeht, beobachtet die Szene
       und stürmt rein. "Was machen Sie?", ruft er.
       
       Tayfun gibt auf.
       
       Es folgen zwei Gerichtsverhandlungen. Tayfuns Vater ist sauer auf seinen
       Sohn. Trotzdem heuert er einen Anwalt an. Viel Geld geht drauf. Der Passant
       ist nicht auffindbar. Ein junger Deutschtürke gegen zwei Polizisten und
       einen Kontrolleur. Tayfun muss 20 Sozialstunden ableisten, wegen Widerstand
       gegen die Staatsgewalt. Er sei milde, sagt der Richter über sich, weil
       Tayfun nicht vorbestraft sei.
       
       So fängt Tayfuns Routine an. Still nimmt er das Urteil entgegen. Still
       leistet er die Sozialstunden ab. Still bleibt er.
       
       Er schaut Fremden nicht mehr in die Augen. Manchmal selbst Freunden nicht.
       Tayfun presst die Lippen zusammen und geht weg. Er ballt die Faust. Immer.
       
       14 Feb 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kübra Gümüsay
       
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