# taz.de -- Kolumne Das Tuch: Sie ist eine ganz besondere Perle
       
       > Menschen, die noch nie für ihre Rechte kämpfen mussten, erklären uns die
       > Demokratie.
       
       März 2011, Tunis in Tunesien. Amina steht im Publikum am Mikrofon und
       stellt François Hollande, dem französischen Präsidentschaftskandidaten der
       Sozialisten, eine Frage. Er ist an diesem Abend eingeladen, um über
       Demokratie zu sprechen. Holland unterbricht sie. "Entschuldigen Sie,
       Mademoiselle", sagt er zu Amina, "Sie sprechen wirklich sehr gut
       Französisch." Hollande lächelt. Amina nicht mehr. "Danke, Sie aber auch",
       entgegnet sie. Gelächter im Saal.
       
       "Übrigens, wissen Sie, warum ich so gut Französisch spreche? Weil ihr Land
       mein Land kolonialisiert habt. Jetzt sitzen Sie hier und wollen uns
       Demokratie lehren? Wann haben Ihre Leute zuletzt für Demokratie gekämpft
       und Blut gelassen? Vor über 200 Jahren? Mein Land vor drei Monaten. Also
       erzählen Sie uns nichts von Demokratie!"
       
       Amina und ich lachen. "Das hast du wirklich so gesagt?", frage ich. "Ja!",
       sagt Amina schulterzuckend und zieht noch einmal an ihrer Zigarette. Dann
       schnippt sie den Aschenstummel in den Totenschädel aus Ton und lehnt sich
       grinsend zurück auf ihr Bett. Wir haben uns über Freunde kennengelernt und
       auf Anhieb verstanden. Meinen letzten Abend in Tunesien verbringe ich
       deshalb bei ihr und ihren Eltern.
       
       Seit Stunden schon diskutieren und erzählen wir einander. Eigentlich
       wollten wir noch raus auf eine Demonstration von Aminas Freunden, aber wir
       blasen alles ab und reden weiter. Unsere Zeit ist begrenzt. Wir sind zwar
       beide im selben Alter, könnten aber unterschiedlicher kaum sein: Sie ist
       Tänzerin und Schauspielerin. Keine Haut-und-Knochen-Frau, sondern eine
       frauliche, starke. Ihre kurzen, braunen Haare sind hinter die gepiercten
       Ohren geklemmt. Sie hat ein strahlendes Lächeln, gewinnend und
       selbstbewusst. Sie weiß, was sie will im Leben. Und was sie nicht will.
       
       Vor ein paar Monaten hat sie ihren ägyptischen Freund verlassen, einen
       berühmten und erfolgreichen Regisseur, 20 Jahre älter als sie. Ihr
       Traummann. "Aber manchmal, wenn Träume wahr werden, merkt man, dass man
       ihnen noch nicht gewachsen ist." Drei Monate nach der Trennung hat er eine
       Freundin von Amina geheiratet. Sie rief ihn an: "Wehe dir, du machst das,
       um dich bei mir zu rächen. Sie ist eine Perle, respektiere sie. Nicht du
       hast ihr einen Gefallen getan, sondern sie dir."
       
       Nach der Hochzeit ist Amina die erste Person, die das Paar anruft. Sie
       weinte damals. "Ich dachte, ich weine, weil der Mann, den ich liebe, jemand
       anderen heiratet. Aber heute weiß ich: Ich weinte, weil es dort in Ägypten
       zwei wunderbare Menschen gibt, die mich lieben und schätzen."
       
       Amina ruht sich nicht auf ihrem Status aus. Sie, die Agnostikerin, schimpft
       wild auf ihre radikalen säkularistischen Freunde, ihre blinde Liebe für den
       Westen und verteidigt Muslime. Ebenso schimpft sie auf radikale Muslime,
       die blinde Liebe für die Regeln und die fehlende Spiritualität - und
       verteidigt dort ihre säkularen Freunde. Amina macht sich Feinde. Doch sie
       scheut keinen Schmerz. Sie entscheidet sich und lebt mit den Konsequenzen.
       
       Dann sprechen wir wieder über die Liebe. Amina zündet sich eine neue
       Zigarette an. Es wird ein langer Abend.
       
       6 Dec 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kübra Gümüsay
       
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