# taz.de -- Kolumne Das Tuch: Fröhliche Baynachten
       
       > Für muslimische Kinder folgen nun die langweiligsten Tage des Jahres. Für
       > Erwachsene die schönsten. Besonders wegen der vielen Versuche, ein wenig
       > netter zu sein.
       
       Weihnachten ist die langweiligste Zeit des Jahres! - fand ich als Kind
       einer türkisch-muslimischen Familie, die kein Weihnachten feierte. Im
       Fernsehen liefen immer nur die gleichen Sachen - obwohl, von "Kevin allein
       Zuhaus" bekam ich nie genug. Keiner meiner Freunde kam nach draußen zum
       Spielen, alle hatten zu tun und waren schwer mit der Familie beschäftigt.
       Und als ob das nicht schlimm genug wäre, hatte zu allem Überfluss auch noch
       die Bücherhalle zu. Wie öde ist das denn?
       
       Auch sonst war eigentlich alles geschlossen, was ich so kannte. Die Schule.
       Zu. Der Sportverein. Zu. Supermärkte. Zu. Die Drogerie. Zu. Der
       Allgemeinarzt um die Ecke. Auch zu. Als Kind machte ich mir richtig Sorgen.
       Was passiert, wenn wir zu Hause über die Weihnachtstage nicht genug Essen
       haben? Werden wir verhungern? Was ist, wenn Klopapier ausgeht? Zahnpasta?
       Milch? Was ist, wenn ich plötzlich Zahnschmerzen bekomme? Oder Fieber? Oder
       Heißhunger auf Lakritze habe? Ja, richtig. Wo krieg ich in den
       Weihnachtstagen Lakritze her, verdammt?
       
       Weihnachten ist eine Zwangspause. Unerträglich für abenteuerlustige Kinder,
       denen an Weihnachten keine Geschenke winken. Deswegen hätte ich damals nie
       gedacht, dass Weihnachten jemals ein Teil von mir wird. Tatsache ist aber,
       dass Weihnachten eigentlich das Beste ist, was einem erwachsenen Menschen
       passieren kann.
       
       Kein Fernsehen und keine Arbeit. Dafür viel Familie und Freunde - sofern
       man sie zu schätzen weiß. Jedes Jahr, um die Weihnachtstage herum, treffe
       ich endlich diejenigen Lieben, die über den ganzen Globus verteilt sind -
       Menschen, mit denen ich es das ganze Jahr über nicht schaffe,
       zusammenzukommen. Kurz vor Weihnachten reisen wir alle in die Heimatstadt,
       treffen unsere Familie, Verwandte und Freunde.
       
       Wir tauschen Geschenke aus und taufen das dann "Baynachten": eine
       Kombination aus Weihnachten und Bayram, dem muslimischen Fest. Obwohl
       wahrscheinlich die meisten deutschen Muslime zu Hause keinen Weihnachtsbaum
       stehen haben, keinen blinkenden Weihnachtsschmuck an den Fenstern und sich
       gegenseitig keine "frohen Weihnachtstage" wünschen, sind es doch die
       Weihnachtstage, die ihnen die Gelegenheit geben, besinnlicher zu werden und
       einander zu besuchen.
       
       Die Feierstimmung und die permanenten Versuche, ein wenig netter zu sein,
       finden erstens auch Muslime erfreulich und zweitens sind sie ansteckend.
       
       Deshalb ist Weihnachten mehr als ein Fest der - mehr oder weniger
       praktizierenden - Christen oder autochthonen Deutschen in Deutschland.
       Weihnachten ist auch ein kulturelles Fest, eine Stimmung, ein
       Gemütszustand. Und den können alle teilen. Vor zwei Tagen kaufte ich mir am
       Flughafen kurz vor dem Flug nach Hamburg eine Brezel beim Bäcker.
       Augenzwinkernd steckte mir die Bäckersdame eine Lakritzstange in die Tüte
       und wünschte mir frohe Weihnachten. Danke, die werde ich haben. Und die
       Lakritze gebe ich meinen kleinen Brüdern, die sich wieder einmal furchtbar
       langweilen werden.
       
       20 Dec 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kübra Gümüsay
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA