# taz.de -- Regisseur von "The Reluctant Revolutionary": "Ich wollte Emotionen wecken"
       
       > Der Dokumentarfilmer Sean McAllister über den Jemen, die Revolution,
       > seinen Film "The Reluctant Revolutionary" und dessen Protagonisten - ein
       > Touristenführer.
       
 (IMG) Bild: Szene aus "The Reluctant Revolutionary".
       
       taz: Herr McAllister, im Mittelpunkt Ihres Filmes "The Reluctant
       Revolutionary" steht Kais, ein ganz normaler Jemenit, der mit seiner
       Familie in der Hauptstadt Sanaa lebt, als Touristenführer arbeitet und um
       sein wirtschaftliches Überleben kämpft. Warum haben Sie ihn als
       Protagonisten gewählt und nicht einen der Aktivisten, die von Anfang an bei
       den Protesten gegen Präsident Ali Abdullah Saleh dabei waren? 
       
       Sean McAllister: Für alle meine Filme suche ich einen ganz normalen Typen
       von der Straße. Ich hatte sechs Monate zuvor von Kais gehört, als ich in
       Syrien war. Wenn ich einen Film mache, suche ich einen komplexen Charakter
       an einem interessanten Ort, der seine Wirkung auf das Publikum in England
       ausübt. Wenn man die Zuschauer der weißen Mittelklasse an einen Ort wie den
       Jemen mitnehmen will, braucht man einen entsprechenden Protagonisten.
       Außerdem bin ich an Revolutionären nicht so interessiert.
       
       Sie konnten nicht wissen, dass Kais, der die Revolution zunächst ablehnte,
       sich ihr später anschließen würde. Haben Sie einfach abgewartet, was
       passiert? 
       
       Zuerst dachte ich, ich hätte Mist gebaut. Als die Revolution ausbrach,
       schien es die schlechteste Zeit zu sein, einen Film mit jemandem zu machen,
       der daran nicht interessiert war. Aber ich war interessiert. Bei
       Dokumentarfilmen gibt es immer diese Ungewissheit.
       
       Sie haben in das Geschehen eingegriffen und Kais überredet, mit Ihnen auf
       den besetzten "Platz der Veränderung" zu kommen. 
       
       Darum geht es bei der Auswahl der Hauptperson. In allen meinen Filmen
       versuche ich, die Situation zu beeinflussen.
       
       Sie spielen also mit Absicht eine aktive Rolle und beschränken sich nicht
       auf die des Beobachters? 
       
       Genau.
       
       Das Publikum sieht alles durch Ihre Augen und wird so in das Geschehen
       hineingezogen - die Szenen auf dem Platz, die Schüsse, die behelfsmäßige
       Klinik. War diese Emotionalisierung beabsichtigt? 
       
       Das ist mein Stil. Es geht immer um Intimität. Es war meine Absicht,
       Emotionen zu wecken. Der Film ist mit einer Handkamera gedreht und nicht
       sauber geschnitten. Die Zuschauer identifizieren sich mit dem, was sie
       sehen. Das wirkt dann auf die Betrachter so, als hätten sie selbst
       teilnehmen können.
       
       Bei der Berichterstattung über die arabischen Revolutionen wurde
       gelegentlich kritisiert, dass die Journalisten zu nahe am Geschehen gewesen
       seien und ihre professionelle Distanz verloren hätten. Was halten Sie
       davon? 
       
       Ich sehe das nicht so. Wenn ich einen Film mache, gewinne ich gleichzeitig
       einen Freund. So entsteht eine emotionale Ebene, wenn sich die Zuschauern
       das ansehen.
       
       Sie und Kais haben eine Menge Dinge zusammen erlebt. An einer Stelle des
       Films ist Kais nervös und besorgt, er kaut die ganze Zeit Kat und raucht
       eine Zigarette nach der anderen, weil er Lebensmittel für seine Familie
       auftreiben muss und Probleme mit seiner Frau hat. Da fragen Sie sich:
       "Warum sorge ich mich so um Kais?" Wie würden Sie diese Frage jetzt
       beantworten? 
       
       Kais ist mit mir nach Berlin gekommen. Es war meine Absicht, ihm mehr
       Möglichkeiten zu geben. Ich hätte den Film nicht ohne ihn machen können,
       und ohne den Film wäre er ein arbeitsloser Touristenführer geblieben. Jetzt
       ist er ein Filmstar.
       
       Wenn Sie auf Ihre die Zeit im Jemen, wo Sie sich von Januar bis April
       aufgehalten haben, zurückblicken, was hat Sie am stärksten berührt? 
       
       Auf der politischen Ebene war ich nicht darauf vorbereitet, dieses Massaker
       zu sehen [am 25. März 2011 wurden auf dem Platz der Veränderung in Sanaa 52
       Menschen getötet; d. Red.], so viele Leute zu sehen, die vor meinen Augen
       gestorben sind. Auf der persönlichen Ebene ist es die Freundschaft mit
       Kais, die während des Filmmachens entstanden ist.
       
       Sie haben gefährliche Situationen erlebt. An einem Tag wurde ein Fotograf
       getötet, vier ausländische Journalisten wurden deportiert. Da fragten Sie
       sich, ob Sie bleiben oder gehen sollen. Was war ausschlaggebend für Ihre
       Entscheidung, zu bleiben? 
       
       Es gab sicher das berufliche Engagement. Ich war dabei, einen Film zu
       drehen, und wenn man der einzige ausländische Journalist in der Stadt ist,
       will man doch etwas Besonderes machen. Im Wesentlichen war es wegen des
       Films.
       
       Haben Sie eine kugelsichere Weste getragen, als Sie auf dem "Platz der
       Veränderung" waren? 
       
       Um Gottes willen, nein, nein. Wenn etwas mich umgebracht hätte, dann das …
       
       … weil Sie von Geheimdienstlern und Schlägertrupps als ausländischer
       Journalist zu erkennen gewesen wären. 
       
       Was man wirklich brauchte, war eine Kalaschnikow. Ich habe für Kais eine
       für 100 Dollar gekauft, weil es in seinem Stadtviertel so gefährlich wurde.
       Das kommt auch im Film vor.
       
       Auch wenn Sie keinen Aktivisten als Protagonisten gewählt haben: Hat Ihr
       Film nicht trotzdem eine Botschaft? 
       
       Ich streite nicht ab, dass ich ein politischer Mensch bin. Der Film hat
       eine politische Botschaft, aber eine subtilere wegen des Zögerns von Kais
       und der Geschichte seiner Veränderung. Dadurch wird der Film interessanter.
       
       Sind Sie jetzt, nach dem Rücktritt Salehs, mit der Situation im Jemen
       zufrieden? 
       
       Absolut, das ist großartig. Das Problem ist, dass Saleh Immunität
       garantiert wurde. Das war der Preis, den sie bezahlt haben.
       
       15 Feb 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Beate Seel
       
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