# taz.de -- Ex-DDR-Bürgerrechtler streiten über Gauck: "Uns fiel die Kinnlade runter"
       
       > War Joachim Gauck aktiver Teil der Opposition? Hans-Jochen Tschiche sagt,
       > der Rostocker sei für das Amt "die falsche Person". Ulrike Poppe erinnert
       > an Gaucks Verdienste.
       
 (IMG) Bild: Hans-Jochen Tschiche, Pfarrer und Grünen-Politiker, meint, Gauck habe "nie zur DDR-Opposition gehört".
       
       BERLIN taz | "Im Januar 1990 habe ich ihn kennen gelernt", erinnert sich
       Annette Leo. Joachim Gauck, der Pfarrer aus Rostock, war zum Bundeskongress
       des Neuen Forums nach Ostberlin gekommen. Eine zähe Veranstaltung war das,
       auf der sich die unzähligen lokalen Gruppen zusammenraufen mussten, um für
       die Volkskammerwahl am 18. März ein gemeinsames Programm zu diskutieren.
       
       Annette Leo berichtete als Journalistin von dem historischen Ereignis, aber
       auch als Berliner Gründungsmitglied. "Damals", sagt die Publizistin Leo,
       "hat Gauck uns eingebrockt, dass plötzlich im Programm die deutsche Einheit
       stand. Denen im Präsidium fiel die Kinnlade runter, als sein Vorschlag die
       Mehrheit kriegte."
       
       So war das mit Joachim Gauck, dem begabten Rhetoriker. Inzwischen, 22 Jahre
       später, ist er von einem breiten Parteienbündnis als nächster
       Bundespräsident nominiert. Doch nicht alle, die mit ihm politisch zu tun
       hatten, sind davon begeistert. Annette Leo findet den Kandidaten zwar "ein
       bisschen eitel. Aber er hat ja hauptsächlich zu reden. Und reden kann er."
       
       Andere Weggefährten sehen Gaucks Kandidatur weniger gelassen. Hans-Jochen
       Tschiche, 82 Jahre alter Pfarrer und Grünen-Politiker aus Sachsen-Anhalt,
       schreibt im Freitag, Gauck habe "niemals zur DDR-Opposition gehört". Der
       künftige Bundespräsident "verließ erst Ende 1989 die schützenden Mauern der
       Kirche" und reise heute "ohne Skrupel" auf dem Ticket des Bürgerrechtlers.
       Gauck als Teil der konservativen westlichen Gesellschaft sei "die falsche
       Person".
       
       ## "Protagonist der Revolution"
       
       Ulrike Poppe wiederum begrüßt Joachim Gaucks Kandidatur. Die einstige
       DDR-Bürgerrechtlerin sagt der taz: "Er hat nie von sich behauptet, vor 1989
       zur Opposition gehört zu haben." Ab dem Wendeherbst habe Gauck eine
       wichtige Rolle im Neuen Forum gespielt, daher hält die 59-Jährige ihn
       "durchaus für einen Protagonisten der Revolution".
       
       Ulrike Poppe, die mit Bärbel Bohley das Neue Forum gegründet hat, ist heute
       in Brandenburg Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der Folgen der
       kommunistischen Diktatur. Sie erinnert daran, dass Joachim Gauck sich für
       die Erhaltung der Stasiunterlagen eingesetzt hat und auch deshalb im
       Einigungsvertrag das Stasi-Unterlagen-Gesetz verankert werden konnte. Für
       die Wahl des Bundespräsidenten am 18. März ist Poppe als Wahlfrau
       nominiert. "Ich werde ihn dort auch wählen", sagt sie.
       
       Ebenfalls wählen wird ihn der Grüne Harald Terpe. Der 57-jährige
       Bundestagsabgeordnete aus Mecklenburg-Vorpommern kennt Gauck aus der
       Rostocker Wendezeit. Damals habe Pfarrer Gauck in der Marienkirche zu den
       Demonstranten gepredigt. Und obwohl er "Teil der Bürgerrechtsbewegung" war,
       die sich erst kurz vor der Wende sichtbar gewehrt hat, ist Gauck für Terpe
       "Teil der Revolution".
       
       Ihn hat damals Gaucks Bestimmtheit beeindruckt. "In den Verhandlungen mit
       den damaligen Machthabern, zum Beispiel der Polizei, ist er unnachgiebig
       geblieben", sagt Terpe. "Wenn ich gedacht habe, das kann man doch so nicht
       sagen, dann ist Gauck nicht zurückgewichen."
       
       Eben dieses Unnachgiebige stört Friedrich Schorlemmer. Es gehöre nicht zu
       Gaucks Stärken, mit Widerspruch umzugehen, sagt der Theologe und
       Bürgerrechtler der Märkischen Allgemeinen. "Gauck ist von Gauck überzeugt",
       so Schorlemmer. Dass der einstige Stasi-Unterlagen-Beauftragte "begeistern
       wie provozieren" werde, sei klar. Auf die Frage, ob er Gauck zutraue, ein
       guter Bundespräsident zu sein, antwortet der 66-Jährige: "Ich halte es für
       eher unwahrscheinlich, schließe es aber nicht aus."
       
       23 Feb 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anja Maier
       
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