# taz.de -- Rückkauf der Energienetze: Vattenfall verkauft sich zu teuer
       
       > Ein Volksbegehren fordert die Rekommunalisierung des Berliner
       > Stromnetzes. Das kostet bis zu drei Milliarden Euro, sagt der Senat -
       > weil er dem Betreiber blind glaubt.
       
 (IMG) Bild: Pokert hoch beim Stromnetz: Energiebetreiber Vattenfall.
       
       Am gestrigen Dienstag hat das Bündnis Berliner Energietisch mit der
       Unterschriftensammlung für ein neues Volksbegehren begonnen. Das Ziel:
       eigene Stadtwerke und die Rekommunalisierung des Stromnetzes (taz
       berichtete). Jetzt gibt es Streit um eine zentrale Frage: Wie viel würde es
       das Land kosten, das Netz von Vattenfall zurückzukaufen?
       
       Auf den Unterschriftenlisten des Energietischs stehen zwei Zahlen. Einmal
       der Kaufpreis, den die Initiative veranschlagt: 400 Millionen Euro. Die
       Senatsverwaltung für Wirtschaft gibt als Kostenschätzung hingegen 2 bis 3
       Milliarden Euro an. Ein enormer Unterschied.
       
       Pikant dabei: Die Wirtschaftsverwaltung hat gar keine eigene Schätzung
       gemacht. „Der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Forschung
       liegen derzeit keine eigenen Datengrundlagen über den Wert des Berliner
       Stromnetzes vor“, erklärte ihr Sprecher am Dienstag gegenüber der taz. Man
       habe einfach Vattenfall nach dem Preis gefragt.
       
       Die Senatsverwaltung distanzierte sich zugleich ausdrücklich von einem
       Gutachten, das kurz vor der Wahl zum Abgeordnetenhaus im vergangenen Herbst
       angefertigt wurde – noch im Auftrag des rot-roten Senats. Dieses Gutachten
       kommt – je nach Berechnung – auf einen Wert zwischen 261 und 370 Millionen
       Euro. Dabei schrieben die Gutachter selbst, dass ihnen nicht alle
       erforderlichen Daten zur Verfügung stünden und sie deshalb oft auf
       Schätzungen hätten zurückgreifen müssen. Aus diesem Grund halten sowohl die
       jetzige Senatsverwaltung als auch Vattenfall das Gutachten als für wenig
       aussagekräftig.
       
       Dennoch ist es bislang die einzige unabhängige Kostenschätzung, die es
       gibt. In der veröffentlichten Bekanntmachung über das Auslaufen der
       Stromnetzkonzession kündigte der Senat in Bezug auf das Stromnetz an,
       „strategische Handlungsoptionen (…) bis hin zu einem vollumfänglichen
       Erwerb durch das Land Berlin“ zu prüfen. Bislang sind aber keine eigenen
       Gutachten in Auftrag gegeben worden. Wann das geschehen werde, konnte der
       Sprecher der Wirtschaftsverwaltung nicht sagen.
       
       Rund drei Milliarden Euro gibt Vattenfall als Wert des Berliner Stromnetzes
       an. Dabei handelt es sich um den „Sachzeitwert“ – den Betrag, der nötig
       wäre, das Netz in seinem jetzigen Zustand neu zu errichten. Auf Nachfrage
       sagte Vattenfall-Sprecher Hannes Hönemann, dieser Betrag sei lediglich als
       Basis zu verstehen, aus der sich der Kaufpreis ergebe. Genauere Angaben
       wollte er nicht machen.
       
       Der Sachzeitwert ist aber nicht der einzige, auf den es bei der
       Preisermittlung ankommt. Denn der Bundesgerichtshof (BGH) hat in der
       sogenannten Kaufering-Entscheidung 1999 geurteilt, der Sachzeitwert sei nur
       wirksam, wenn er den sogenannten Ertragswert nicht erheblich übersteige. In
       der Praxis heißt das: „Es darf nicht mehr gezahlt werden, als das Netz
       erwirtschaften kann“, erklärt Wolfgang Zander von der Firma BET in Aachen,
       die Kommunen bei der Rekommunalisierung berät.
       
       Der Ertragswert, von dem im BGH-Urteil die Rede ist, leitet sich vom
       „kalkulatorischen Restwert“ ab: Dieser Wert ist die Basis dafür, welche
       Netzentgelte der Betreiber von den Stromerzeugern verlangen kann. Den
       kalkulatorischen Restwert meldet Vattenfall – wie die anderen Netzbetreiber
       – an die Bundesnetzagentur. Veröffentlicht wird er nicht.
       
       Stefan Taschner vom Energietisch ärgert sich, dass jetzt ein so hoher
       Kaufpreis im Raum steht. „Vattenfall spielt mit der Angst der Bürger“, sagt
       er. Und: „Dass die Wirtschaftsverwaltung die Zahlen unkritisch übernimmt,
       ist ein Skandal.“ Daniel Buchholz, energiepolitischer Sprecher der
       SPD-Fraktion, fordert Vattenfall auf, alle wichtigen Daten offenzulegen.
       Nur so könne man das Thema Netzrückkauf ernsthaft diskutieren. Notfalls, so
       Buchholz, müsse man die Herausgabe vor Gericht einklagen.
       
       6 Mar 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sebastian Erb
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Berliner Stromnetz in Bürgerhand: „Größenwahn? Den braucht man auch“
       
       Eine Genossenschaft will das Berliner Stromnetz kaufen. Sie braucht ein
       paar Millionen Euro und viel Organisation. Bisher heißt der Netzbetreiber
       Vattenfall.
       
 (DIR) Energie I: Bürger wollen an die Leitung
       
       Das Berliner Stromnetz könnte bald Bürgern gehören: Eine neue
       Genossenschaft will Vattenfall das Netz abkaufen - der Gewinn soll der
       Stadt zugute kommen.
       
 (DIR) Beliebte Berliner Energienetze: Nebenbuhler für Gasag und Vattenfall
       
       Vorm Auslaufen der Konzessionsverträge: Gleich mehrere Unternehmen haben
       ihr Interesse angemeldet, die Netze für Gas und Strom in Berlin zu
       betreiben.
       
 (DIR) Kommentar Energievolksbegehren: Die Zahlen auf den Tisch legen
       
       Auch für das Vattenfall-Stromnetz muss Transparenz gelten: Der Senat sollte
       eine unabhängige Kostenschätzung für einen Kauf bestellen statt blind dem
       Betreiber zu glauben.
       
 (DIR) Kommentar zum Volksbegehren: Nachhilfe in Sachen Klimaschutz
       
       Auf erneuerbare Energien umstellen und dezentral erzeugen, fordern die
       Initiatoren. Das ist lokal möglich.
       
 (DIR) Neues Volksbegehren: Vattenfall den Strom abdrehen
       
       Das Bündnis Berliner Energietisch will erreichen, dass das Land das
       Stromnetz übernimmt und eigene Stadtwerke gründet. Ab Dienstag sollen
       Unterschriften gesammelt werden