# taz.de -- Die Kandidaten für die Grünen-Spitze: Vier Grüne im Formationsflug
       
       > Die grüne Basis soll das Spitzenteam für den Bundestagswahlkampf
       > bestimmen. Die taz stellt das Quartett der Kandidaten vor – vom
       > Abgewerteten bis zum Leitganter.
       
 (IMG) Bild: Das grüne Führungsquartett: Wer wird's? Und macht es einen Unterschied?
       
       Sie glauben, beim grünen Personalstreit geht's ausschließlich um
       Eitelkeiten? So ein Quatsch. Beim Machtkampf der vier ChefInnen prallen
       knallhart kontroverse inhaltliche Positionen aufeinander. Das belegt der
       exklusive taz-Vergleich – also zumindest fast. Wenn man mit der Lupe
       hinguckt.
       
       ## 
       
       Parteichef Cem Özdemir, 46, hält sich im Führungszoff vornehm zurück. Der
       „anatolische Schwabe“ (Özdemir über Özdemir) weiß: Die Zeit ist auf seiner
       Seite. Özdemir ist der Jüngste im grünen Quartett, er kann auch später noch
       was werden. Realo Özdemir liebt zwar Bruce-Lee-Filme, geriert sich aber im
       Moment soft als integrierender Chef. Er betont, wie toll Trittin ist und
       dass ein Spitzenkandidat ein Bundestagsmandat braucht - was er nicht hat.
       Fazit: Özdemir will sich nicht verbrennen.
       
       Dennoch vertritt er im Grünen-Richtungsstreit natürlich unverwechselbare
       Positionen, die ihn scharf von den anderen dreien abgrenzen. Ein paar
       Beispiele:
       
       Eurorettungsschirm: Özdemir bezeichnete den Rettungsschirm als „deutlich
       bessere Lösung als alles, was wir bislang hatten“. Als die Regierung die
       Solarförderung eindampfen wollte, sagte Özdemir ein brutales Szenario
       voraus: „Der Markt für Solaranlagen würde in Deutschland zusammenbrechen.“
       Beim Mindestlohn argumentierte er nüchtern: „Wir brauchen den gleichen Lohn
       für gleichwertige Arbeit für Männer und Frauen, Stammbelegschaften und
       Leiharbeitskräfte.“
       
       ## 
       
       Die Chancen von Fraktionschefin Renate Künast, 56, sind seit der Klatsche
       bei der Berlin-Wahl gesunken. Aus der sicher geglaubten
       Regierungsbeteiligung in der Hauptstadt (Wahlplakat: „Renate kämpft!“)
       wurde nix, seitdem mögen selbst grüne Realos ihre Chef-Reala nicht mehr
       ganz vorne sehen. Doch klar ist: Wer sich als Verbraucherschutzministerin
       mit bulligen Bauern angelegt hat, gibt nicht so leicht auf. Zwar geben
       viele Grüne Künast keine Chance mehr fürs Topduo, das Vorpreschen von Roth
       könnte ihr bei den Realos aber neue Fans bescheren.
       
       Fazit: Nicht so abgemeldet, wie mancher denkt. Sie verträte jedenfalls
       unverwechselbare Positionen.
       
       Eurorettungsschirm: Bleibt noch wolkiger als Özdemir. „Zukunftsfragen kann
       man nur global lösen.“ Meint: ist eine wichtige Sache. Ist bei
       Solarförderung deutlich fokussierter als er: Die Regierungspläne liefen auf
       eine zweite Deindustrialisierung der neuen Bundesländer hinaus – damit
       punktet sie in Geografie. Diesen Vorsprung verspielt sie allerdings mit dem
       vagen Lob des Mindestlohns. Der sei nötig, „um Lohndumping zu verhindern“.
       Das klang bei Özdemir differenzierter.
       
       ## 
       
       Als die Grünen mit Joschka Fischer und mehreren Spitzenleuten in den
       Wahlkampf zogen, prägte Künast das schöne Bild vom „Formationsflug“.
       Demnach wäre Fraktionschef Jürgen Trittin, 57, wohl der Leitganter. Nur
       wenige zweifeln in der Partei daran, dass Trittin im Wahlkampf an
       vorderster Front kämpfen soll. Der Mann ist ein alter Kämpe: Als
       Umweltminister in der rot-grünen Koalition brachte er der Republik noch das
       Dosenpfand, inzwischen hat sich der Stratege auf Finanzthemen kapriziert –
       immer das Finanzministerium fest im Blick. Er äußert sich nicht zu einer
       Kandidatur, weil alles auf ihn zuläuft.
       
       Fazit: Es gibt keinen, der ihn herausfordern würde. Seine Positionen:
       
       Beim Eurorettungsschirm ist Trittin sicher der Kompetenteste. „Das ist
       schnelle Hilfe und verschafft die für die Reformen notwendige Zeit“ - das
       lässt ahnen, dass da noch mehr kommen könnte. Bei der Solarförderung
       argumentiert er mit Freiflächenanlagen - beweist also Detailwissen. Und
       beim Mindestlohn grenzt er sich mit juristischem Wissen von seinen
       Mitbewerbern ab: „Wir brauchen eine verbindliche, gesetzliche
       Lohnuntergrenze.“ Damit liegt er vorn.
       
       ## 
       
       Na, wenigstens eine, die zu ihren Ambitionen steht: Parteichefin Claudia
       Roth, 56, macht keinen Hehl daraus, dass sie im Spitzenduo gerne dabei
       wäre. Die Ex-Ton-Steine-Scherben-Managerin ist seit, äh, Moment, acht
       Jahren Vorsitzende und kennt ihren Laden so gut wie keine andere. Mögen
       Realos noch so gerne über ihre bunten Outfits und ihre kalkulierte
       Betroffenheit auf Parteitagen lästern, Roth hat es im Führungszoff allen
       gezeigt: Mit ihrem Veto gegen die Ein-Mann-allein-Variante hat sie mal eben
       fast alle Parteifrauen hinter sich gebracht und Trittins Solo verhindert –
       vor allem aber ihre eigenen Chancen gewahrt.
       
       Fazit: Hinter diesem Halstuch steckt ein kluger Kopf. Ihre Positionen:
       
       Den Eurorettungsschirm bezeichnet Claudia Roth knallhart als „die richtige
       Entscheidung“. So weit haben sich weder Özdemir noch Künast hervorgewagt.
       Bei der Solarförderung bootet sie die Konkurrenz kosmopolitisch mit
       Englisch aus - die Regierungspläne seien ein „radikaler Cut“. Und den
       Mindestlohn begründet sie eingängig: „Wer Vollzeit arbeitet, muss von
       dieser Arbeit auch leben können.“ Roth ist im taz-Inhalte-Check bisher die
       zweite Siegerin.
       
       19 Mar 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrich Schulte
       
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