# taz.de -- Präsidentschaftswahlen in Ägypten: Muslimbrüder treten an
       
       > In einer Kehrtwende nominieren die islamisten einen eigenen Kandidaten.
       > Der Sieg von Chairat al-Schater steht damit noch nicht fest.
       
 (IMG) Bild: Chairat al-Schater (unten links) am 4. März auf einer Versammlung auf dem Tahrir-Platz in Kairo.
       
       KAIRO taz | Die ägyptischen Muslimbrüder haben endlich die Katze aus dem
       Sack gelassen. Mit dem einflussreichen islamistischen Tycoon Chairat
       al-Schater schicken sie nun doch einen Präsidentschaftskandidaten ins
       Rennen. Das beschloss der Schura-Rat der Organisation am Wochenende mit
       einer knappen Mehrheit von 56 zu 52 Stimmen.
       
       Die Muslimbrüder brechen damit ein Versprechen, dass sie vergangenes Jahr
       nach dem Sturz des Diktators Husni Mubarak abgegeben hatten. In der
       Erwartung, bei den Parlamentswahlen gut abzuschneiden, hatten sie
       verkündet, keinen eigenen Präsidentschaftskandidaten aufzustellen.
       
       Damit wollten sie den Liberalen, der Militärführung und dem Ausland
       signalisieren, dass sie nicht beabsichtigten, zu viel Macht zu bündeln. Das
       Versprechen entsprach auch ihrem immer wieder wiederholten Credo von einem
       „graduellen Wechsel“.
       
       Doch in den vergangenen Wochen war immer wieder spekuliert worden, ob die
       Muslimbrüder und ihre Freiheits- und Gerechtigkeitspartei, die bei den
       Parlamentswahlen tatsächlich fast die Hälfte der Sitze gewonnen hat,
       wirklich bei dieser Linie für die Wahlen im Mai bleiben. Immer wieder wure
       diskutiert, ob die Muslimbrüder eine Wahlempfehlung abgeben oder doch noch
       einen eigenen Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen aufstellen würden,
       deren erste Runde im mai stattfinden soll.
       
       ## Multimillionär und Macher
       
       Al-Schater, bislang stellvertretender Chef der Muslimbrüder, verbrachte
       insgesamt zehn Jahre im Gefängnis und saß bis Frühjahr vergangenen Jahres
       hinter Gittern. Unter Mubarak war er wegen angeblicher Geldwäsche
       verurteilt worden. Selbst während seiner Haft soll er die Ausgaben und
       Einnahmen der Muslimbrüder kontrolliert und deren Finanzen durch kluge
       Investitionen auf Vordermann gebracht haben. Dem 62jährigen wird
       nachgesagt, dass er, und nicht der eigentlich Chef der Muslimbrüder,
       Muhammad Badei, in Wirklichkeit die Geschicke der Organisation lenkt. „Der
       Ingenieur“, wie er gerne genannt wird, gilt bei den Muslimbrüdern als der
       Macher.
       
       Die Präsidentschaftskandidatur schürt nun die Befürchtung, dass die
       Muslimbrüder, die auch in der verfassungsgebenden Versammlung übermäßig
       stark präsent sind, ihre Macht ähnlich wie zu Zeiten des Mubarak-Regimes
       und der damals regierungenden Nationaldemokratischen Partei monopolisieren
       könnten. Doch das macht auch die Schwäche der Muslimbrüder aus. Ein
       Durchmarsch widerspräche der politischen Vernunft, dass der Wandel in
       Ägypten im Rahmen eines politischen Konsenses aller wichtigen Gruppierungen
       von Statten gehen sollte, um nachhaltig zu sein.
       
       Das Hauptproblem der Muslimbrüder wäre ziemlich schnell, dass sie alleine
       für die zahlreichen Probleme des Landes verantwortlich gemacht würden - von
       er danieder liegenden Wirtschaft, dem zusammengebrochenen Tourismus bis hin
       zu den Forderungen nach mehr sozialer Gerechtigkeit, wie sie im Rahmen der
       zahlreichen Streiks laut werden.
       
       ## Lager der islamisten gespalten
       
       Doch trotz des Sieges der Muslimbrüder bei den Parlamentswahlen ist bislang
       nicht sicher, dass ihr Kandidat al-Schater die Präsidentschaftswahlen
       gewinnen wird. Er muss nicht nur gegen den ehemaligen Chef der Arabischen
       Liga, Amru Musa, antreten. Denn das Lager derer, die Religion und Politik
       miteinander verbinden, ist bei den Wahlen aufgesplittert. Neben dem
       Muslimbruder al-Schater ist seit ein paar Wochen auch der radikale Salafist
       Hazem Abu Ismail mit seiner Kandidatur in aller Munde. Sein Bild hängt an
       der Rückscheibe jedes vierten Kairoer Taxis. Abu Ismail hatte für seine
       Kandidatur wesentlich mehr Unterschriften gesammelt als seine Konkurrenten.
       
       Aber auch ein anderer Kandidat, der ehemalige Muslimbruder Muhammad Abul
       Futuh, der wegen seiner Weltoffenheit und seinen guten Verbindungen zu den
       Liberalen und der Tahrir-Jugend vor allem bei jüngeren Muslimbrüdern
       beliebt ist, könnte al-Schater Stimmen kosten.
       
       Abul Futouh war vergangenes Jahr aus der Muslimbruderschaft ausgeschlossen
       worden, nachdem er verkündet hatte, außerhalb der Freiheits- und
       Gerechtigkeitspartei und als Präsidentschaftskandidat aktiv zu werden.
       Seinen Rufen nach einer Politik, die größere soziale Gerechtigkeit
       herstellt, stellen die Muslimbrüder nun ausgerechnete einen islamistischen
       Multimillionär gegenüber.
       
       So stellen die Muslimbrüder mit ihrer Entscheidung ihr neues
       Selbstbewusstsein zu Schau, gleichzeitig riskieren sie damit aber auch die
       Geschlossenheit ihrer Ränge. Nur eines ist sicher: Das Rennen, wer nach
       Mubarak das Land am Nil führen wird, ist in seine heiße Phase getreten.
       
       1 Apr 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Karim Gawhary
 (DIR) Karim El-Gawhary
       
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