# taz.de -- Kunstgewerbemuseum wird frisch: Frischer Wind im Labyrinth
       
       > Sabine Schulze ist dabei, das chaotische Hamburger Museum für Kunst und
       > Gewerbe komplett umzukrempeln. Zustatten kam ihr dabei eine lange
       > geplante Sanierung - und ihr so progressiver wie
       > selbstreflektiert-ökologischer Ansatz.
       
 (IMG) Bild: Teil der neu eröffneten Sammlung Moderne: expressionistische Maskenfiguren von Lavinia Schulz und Walter Holdt.
       
       HAMBURG taz | Dieses Museum war immer schon etwas schwierig. Um nicht zu
       sagen: nervig, man kam meist verwirrt wieder heraus, dabei war man in
       bester Absicht hingegangen. Aber es war einfach zu viel und unsortiert, und
       man fühlte sich alleingelassen.
       
       Die Rede ist vom Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe, das sich nach
       einer Groß-Sanierung gerade komplett neu erfindet. Denn wie viele andere
       Museen ist es – trotz annehmbarer Besucherzahlen – in Rechtfertigungsnöte
       gekommen.
       
       Das vielleicht auch deshalb, weil es zu einer schwer fassbaren Gattung
       zählt: Kunst und Gewerbe – das kann alles und nichts bedeuten, und daran
       krankt auch das Hamburger Haus. Denn das Museum residiert zwar optimal – in
       Sichtweite des Hauptbahnhofs – und hat ein repräsentatives Gebäude. Doch
       das war einst eine Schule mit vier Eingängen, gefühlten 30 Treppenaufgängen
       und genauso vielen Umgängen, die teils abrupt in Sackgassen endeten.
       
       Diese Architektur konterkariert jedes vernünftige Leitsystem, da man nie
       weiß, aus welcher Richtung der Besucher gerade kommt. Zudem war die
       Anordnung der Exponate bis vor Kurzem sehr chaotisch: da konnten gern mal
       China, Ägypten, Expressionismus und Jugendstil unvermittelt aufeinander
       folgen.
       
       Ein Grund für das Chaos liegt in der Sammlung selbst: Skulpturen aus
       Antike, Mittelalter und Expressionismus gibt es da, Bauhaus-Möbel und
       Plakate, Fotos, Porzellan, ganz Jugendstil-Zimmer, Tasteninstrumente – fast
       alles Schenkungen Hamburger Mäzene. Trotzdem hätte man während der
       vergangenen Dekaden dem Besucher wenigstens mal erklären können, warum das
       alles so ist. Aber die damaligen Direktoren taten es nicht; da musste erst
       Sabine Schulze vom Frankfurter Städel kommen, die 2008 antrat und jetzt die
       erste Abteilung der Dauerausstellung wieder eröffnet und neu gestaltet hat.
       
       Schulze hat auch endlich Tafeln aufgehängt, die die verworrene Architektur-
       und Sammlungsgeschichte des Hauses erklären. Da ist zu lesen, dass Hamburgs
       Kunstgewerbemuseum 1877 eröffnet wurde. Gedacht war es – wie die anderen
       europäischen Kunstgewerbe-Museen auch – als Modell-Sammlung, die das
       heimische Handwerk inspirieren und so die Wirtschaft ankurbeln sollte.
       Töpfe, Körbe, Gebrauchsgegenstände aus aller Welt wurden angekauft, und
       Hamburgs Handwerker sollten die japanischen Körbe aus dem 19. Jahrhundert
       ruhig mit nach Hause nehmen, um sie nachzubauen.
       
       Ein sehr praktisches Konzept; kein Wunder also, dass das Hamburger Museum
       „anfangs zu 80 Prozent Schule und nur zu 20 Prozent Museum war“, sagt
       Sabine Schulze. Nach und nach zogen die Kunstgewerbe-Schulen aus, und
       irgendwann war das Haus Museum geworden.
       
       Dass im Falle Hamburgs zudem mehrere Direktoren gern Antikes sowie
       Insignien großbürgerlicher Pracht kauften – Meißner Porzellan zum Beispiel
       – passte zwar nicht in den Gebrauchskunst-Gedanken, wohl aber zu dem eines
       enzyklopädischen Museums; der Zwitter war perfekt.
       
       Dieses Konglomerat hat Sabine Schulze also vorgefunden, und es wäre mangels
       Geld sicher noch eine Weile so geblieben – wenn nicht die lange vereinbarte
       Sanierung angestanden hätte. Das war Schulzes Chance. „Wenn man jedes Teil
       in die Hand nimmt, fragt man natürlich, ob das alles so sein muss“, sagt
       Schulze, die gern zugibt, dass das Haus bis dato eher groß- als
       „normalbürgerliche“ Kultur präsentierte und dass sie das anders balancieren
       möchte.
       
       Sehr gezielt hat sie deshalb in den letzten Jahren mit Hilfe von Stiftungen
       Exponate angekauft, „die unsere Sammlung ergänzen und zusammenbinden“. Das
       Credo dabei: „Weniger ist mehr“, und vielleicht ist dieser Mut zum
       Ausmisten, ja: zum museumspolitischen Minimalismus eine Generationenfrage.
       Sabine Schulze hat es nicht mehr nötig, herzuzeigen, welche Massen das Haus
       besitzt und sich mit Schenkungen zu brüsten, wie es ihre Vorgänger gern
       taten. Schulze schätzt die großzügigen Hamburger Bürger, das sagt sie klar.
       Aber sie will auch fokussieren. Einen roten Faden ziehen. Die Unikate ins
       rechte Licht setzen, um Alleinstellungsmerkmale zu bilden.
       
       Ihre Idee deshalb – und die der jungen Kuratoren, die in den vergangenen
       Monaten kamen: „Denkräume erschaffen“, wie es Claudia Banzer nennt. Sie ist
       eine dieser Kuratorinnen, und sie hat die Abteilung „Moderne“ neu
       gestaltet.
       
       Wenn man sich dort umschaut, bemerkt man tatsächlich neue Querverbindungen.
       Nicht nur, dass das 20. Jahrhundert jetzt endlich in zusammenhängenden
       Räumen präsentiert wird. Auch die Kontraste etwa der 1920er Jahre sind
       scharf geschnitten: Hier die Schlichtheit der „Frankfurter Küche“, der
       ersten modernen Einbauküche. Gleich daneben ein Raum fürs Art déco. Hier
       das auf Serienproduktion ausgerichtete, schlichte Mobiliar des Bauhauses –
       dort der Pomp der französischen Oberschicht, präsentiert in einem lasziv
       rot gestrichenen Raum, in den Tagesbett, Paravent und ein Tisch aus
       Rochenhaut getupft sind.
       
       Moment mal, Rochenhaut? „Ja“, sagt Schulze, „solche Exponate sind
       problematisch.“ Denn Schulze denkt nicht nur progressiv, sondern auch
       ökologisch. Das sieht man daran, dass sie derzeit eine Schau über
       Recycling-Design zeigt. Die Diskussion über den Umgang mit Material, sagt
       sie, „gehört zu unseren Kernaufgaben“.
       
       Und da müsse man eben schon überlegen, wie man gewisse Exponate
       rechtfertige, die aus Elfenbein, Walross-Haaren oder eben Rochenhaut
       bestünden. „Man kann diese Dinge ja nicht ausblenden. Und wenn man an jedes
       Stück zweierlei Beschriftung anbringt – die historische und die
       zeitgemäß-ökologische – überfordert man den Besucher.“ Aber einen
       zusätzlichen ökologischen Parcours, der auf solche Stücke verweist und
       zugleich über Nachhaltigkeit informiert: Den könnte sie sich vorstellen.
       „Ein Museum muss sich etwas trauen“, findet Sabine Schulze.
       
       Und das bedeutet für sie auch: Widersprüche zu formulieren. Nicht nur in
       Bezug auf die Jahrhundertwende, als Historismus, Massenproduktion und die
       Erfindung der Fotografie frontal aufeinandertrafen. Sondern auch in Bezug
       auf das eigene Tun. Schulze will nicht beim unpolitischen „so war es nun
       mal“ stehen bleiben. Sie will Kommunikation mit dem Publikum, auch wenn es
       schmerzt.
       
       Und wenn man dann durch die lichten, halbfertigen Räume der künftigen
       Antiken-Abteilung schlendert: Da fühlt es sich an, als beträte man die
       eigene, frisch angemietete Wohnung. Man sieht die kahlen Wände, man befühlt
       die provisorisch angepinnten Pläne, und man ahnt: Ja, diese Direktorin
       könnte es hinbekommen. Sie könnte dieses Haus verjüngen. Sie könnte
       Pionierin sein und einen neuen, selbstreflektierten Museumstypus schaffen.
       Und damit vielleicht die ganze, verstaubte Gattung „Kunstgewerbemuseum“
       rehabilitieren.
       
       3 Apr 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Petra Schellen
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Design
 (DIR) Ausstellung
       
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