# taz.de -- Grass und die Verschwörung: Alle gleichgeschaltet außer Günter
       
       > Der alte Autor fällt ins Denken der Nazizeit zurück und wähnt sich als
       > Opfer von Verschwörungen. Praktisch für ihn, denn dann muss er sich
       > selbst nicht in Frage zu stellen.
       
 (IMG) Bild: Müsste seine Scheiben mal wieder putzen, um klar zu sehen: G.G.
       
       Es ist traurig und als Beobachter mittlerweile auch peinlich mitanzusehen,
       wie sehr sich der Schriftsteller Günter Grass gerade öffentlich selbst
       demontiert. Am Donnerstag äußerte er sich zu seinem Gedicht „Was gesagt
       werden muss“ in ARD, ZDF und NDR – die öffentlich-rechtlichen Sender müssen
       sich das Mikrofon von Hand zu Hand gereicht haben. Und dabei machte Grass
       alles nur noch schlimmer.
       
       Nicht nur, dass er nichts von seinen Tatsachen verdrehenden Anschuldigungen
       Israels bedauerte oder zurücknahm. Er vergriff sich auch in der Art und
       Weise seiner Vorwärtsverteidigung. Und zwar sprach er von dem Eindruck
       einer „Gleichschaltung der Meinung“ in dem NDR-Interview. Dass dieses Wort
       kein Ausrutscher war, zeigte sich dann am Abend in den „Tagesthemen“. Grass
       gegenüber Tom Buhrow, in seinem Arbeitsraum sitzend: „Was ich erlebe, ist
       eine fast wie gleichgeschaltete Presse.“
       
       Gleichschaltung – das ist wieder eine mindestens zu hoch gegriffene, in
       Wirklichkeit aber auch ziemlich perfide sprachliche Wendung, wie man sie
       auch in dem Gedicht findet, etwa wenn Grass dort dem israelischen Staat
       unterstellt, das „iranische Volk auslöschen“ zu wollen. Grass agiert mit
       Sprache inzwischen schlicht unangemessen. Und auch dem Hallraum des Wortes
       Gleichschaltung sollte man durchaus einmal nachhorchen.
       
       „Gleichgeschaltet“ haben die Nazis die deutschen Medien, sobald sie die
       Macht dazu hatten. Will Grass sich also als Opfer einer antidemokratischen
       Verschwörung verstehen? Immerhin legt er dieses Assoziationsfeld nahe. Und
       wenigstens unterstellt er, dass es hinter seinen Kritikern eine zentrale
       Instanz gibt, die die Akteure nach ihren Ideen lenken könnte. Auch das wäre
       ziemlich perfide.
       
       Auf jeden Fall ist es ein Denken in Kampagnen und Verschwörungen, das der
       Gegenwart und seinen komplizierten, keineswegs in Freund-Feind-Schemata
       aufgehenden Strukturen gegenüber nicht hilfreich ist. Die Nazis haben so
       gedacht. Und man kommt inzwischen nur noch schwer um die These herum, dass
       der Nobelpreisträger Günter Grass in solche gedanklichen Muster, denen er
       als Jugendlicher in Nazideutschland ausgesetzt war, im Alter zurückfällt.
       
       Dabei hat die deutsche Presse doch insgesamt schnell, im Großen und Ganzen
       sachlich und übrigens mit vielen Diffenziertheiten von der
       Henryk-M.-Broder-Keule bis zum feuilletonistischen Feinbesteck
       herausgearbeitet, was alles an diesem Gedicht hakt und klemmt. Deutlich
       wurde: Keineswegs ist es ein Tabu, Israel zu kritisieren, und wer das tut,
       wird auch nicht von vornherein als Antisemit an den Pranger gestellt.
       
       Einen möglichen israelischen Militärschlag gegen iranische Atomanlagen
       haben zuletzt Hillary Clinton, die israelischen Schriftsteller Amos Oz und
       David Grossman sowie auch – worauf Tom Buhrow im Grass-Interview hinwies –
       der deutsche Verteidigungsminister Thomas de Maizière deutlich kritisiert.
       Niemand hätte Günter Grass Antisemitismus unterstellt, hätte er sich in
       einem Essay auf diese Kritik an der israelischen Regierung zustimmend
       bezogen.
       
       Aber wie wenig Grass tatsächlich an Debatte interessiert ist, zeigte sich
       an diesem Donnerstag eben auch. Auf Interviewfragen ging er nicht ein, Tom
       Buhrow behandelte er wie einen Sidekick, um seine Stichworte
       unterzubringen. Das ist der Vorteil für einen selbst, wenn man in
       Verschwörungen denkt: Man braucht sich selbst nicht infrage zu stellen.
       Aber für einen Intellektuellen ist dieser Vorteil mehr als fragwürdig.
       
       6 Apr 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dirk Knipphals
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