# taz.de -- Kommentar Grass: Richtiges Motiv, falscher Ton
       
       > Viel Ego, wenig Nüchternheit: Grass hat es sich und seinen Kritikern zu
       > leicht gemacht. Im schlimmsten Fall nutzt er damit den Falken, die den
       > israelischen Angriff wollen.
       
       Leitartikel in Lyrikform sind immer Mogelei. Wo klare Beweisführung nötig
       ist, wird assoziiert und gefühlt. Günter Grass’ Prosagedicht ist ein
       Paradebeispiel dieser unglückseligen Gattung. Es insinuiert einen atomaren
       Erstschlag Israels auf Iran, den selbst die schlimmsten Untergangsszenarien
       nicht hergeben. Die NS-Verbrechen werden vage mit dem Schweigen über
       Israels Atomwaffen überblendet. Es ist ein dunkel raunender Text, voll
       rhetorischer Effekte, und das Dokument einer Selbstüberhöhung.
       
       Allerdings klingt die Kritik an Grass mindestens genauso hyperventiliert.
       Er sei ein Antisemit, heißt es dröhnend, sein Anliegen damit indiskutabel.
       Nein, Grass ist kein Antisemit, und sein Motiv, vor dem drohenden
       Militärschlag Israels gegen Iran zu warnen, ist legitim. Man muss dieses
       Anliegen gegen den egomanen Autor verteidigen – und erst recht gegen
       Kritiker, die mit dem Verdikt „Antisemitismus“ Israel gegen jede scharfe
       Kritik imprägnieren.
       
       Denn der Angriff Israels, der die iranische Atombombe verhindern soll, wird
       für eine unheilvolle Eskalation sorgen. Niemand weiß, ob Iran mit Krieg
       antworten wird. Auch wenn Teheran angesichts der militärischen Übermacht
       Israels auf einen Gegenschlag verzichtet, wird der Schaden unabsehbar sein.
       
       Die Konfrontation zwischen dem Westen und dem Islam wird schärfer, die
       Chance auf Frieden in Nahost noch geringer. Die Raketen werden die
       schwachen Kräfte, die den Ausgleich wollen, noch weiter schwächen und die
       Extremisten weiter stärken.
       
       Bei Grass ist von dieser Problemlage nur am Rande die Rede. Dafür werden
       atomare Apokalypse und, als Dramatisierungskick, die NS-Zeit assoziativ
       aufgerufen. Grass hat es sich und seinen Kritikern zu leicht gemacht. Viel
       Ego, wenig Nüchternheit. Im schlimmsten Fall nutzt er damit ausgerechnet
       den Falken, die den israelischen Angriff wollen.
       
       6 Apr 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Stefan Reinecke
       
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