# taz.de -- Prozess gegen Anders Breivik: Die Bühne des Massenmörders
       
       > Er wird nichts bereuen. Montag beginnt der Prozess gegen den Attentäter
       > Anders Behring Breivik. Zehn Wochen wird der neu gebaute Gerichtssaaal in
       > Oslo seine Bühne.
       
 (IMG) Bild: Der Gerichtssaal in Oslo.
       
       OSLO taz | Ab Dienstag spricht Anders Behring Breivik. Selbst sein Anwalt
       hat die Norweger in den letzten Tagen mental auf die Eröffnungserklärung
       des Terroristen vorbereitet: Breivik werde rein gar nichts bereuen. Nur,
       dass es ihm nicht gelungen sei, noch mehr Menschen zu töten. Diese
       Prophezeiung wurde von vielen Menschen mit stiller Sorge und Furcht
       aufgenommen. Dem norwegischen Volk steht eine schwierige Woche bevor.
       
       Im Sommer letzten Jahres reagierte Norwegen auf den Massenmord mit einem
       riesigen Blumenmeer gegen den Hass vor der Osloer Domkirche. Von heute an
       geht es nicht um Rosen und Hoffnung. Alles dreht sich um die schwierige
       Straffrage und diesen so besonderen Gerichtsprozess.
       
       Und alles von diesem „schwarzen Freitag“ wird wieder hervorgeholt werden.
       Die Berichte aus dem Gerichtssaal könnten so erschütternd werden, dass alle
       norwegischen Schulen in der letzten Woche Tipps und Ratschläge des
       Bildungsministeriums zugesandt bekommen haben, wie mit dem Medienschock,
       den Breivik bei jüngeren Kindern auslösen könnte, umzugehen ist.
       
       ## Verwelkte Blumen
       
       Das Regierungsviertel in Oslo gleicht nach der Bombendetonation immer noch
       einer Art Kriegsruine, wenn auch in aufgeräumter Form. Vor der nicht weit
       entfernten Domkirche hat der Winter die letzten Blumen der Erinnerung
       fortgeholt. Nur einige kleine Symbole sind auf dem schmutzigen Rasenstück
       zurückgeblieben.
       
       Ganz in der Nähe der Kirche hat der Kioskbesitzer regelmäßig Pakete mit
       Zeitungen ausgepackt, die den verhassten Terroristen auf der Titelseite
       zeigen. „Gibt es denn noch mehr darüber zu schreiben? Die Leute reden am
       meisten über die Strafe, die er bekommen soll“, sagt der Inhaber, selbst
       ein Einwanderer im neuen multikulturellen Norwegen, vor dem Breivik sich so
       sehr fürchtet.
       
       Der Kioskbesitzer braucht nur zehn Minuten zu Fuß nach Hause in dieser
       kleinen Hauptstadt. Dabei kommt er an einer Festung vorbei, dem
       Gerichtsgebäude, dem „Tinghuset“, in dem Breivik verurteilt werden soll.
       Dort, wo er aber auch noch mehr Salz in die offenen Wunden streuen wird.
       
       Solch ein internationales Medienaufgebot wie jetzt beim Gerichtsprozess
       kennen die Osloer eigentlich nur von großen Wintersportveranstaltungen und
       vom Eurovision Song Contest. Für zehn Wochen – 41 Tage – werden zwischen
       1.400 und 1.500 Mitarbeiter aus 224 Redaktionen über diesen Prozess
       berichten. Darüber hinaus sind 160 Opferanwälte zugegen, die die 780
       Geschädigten vertreten. Ein neuer großer Gerichtssaal, der fast 200
       Zuhörern Platz bietet, wurde gebaut.
       
       Zusätzlich werden Ton und Bild in Gerichtssäle in 17 anderen norwegischen
       Städten übertragen. Dort haben Presse und Publikum keinen Zutritt. Die
       Opfer und Hinterbliebenen sollen dabei sein dürfen – aber in Frieden.
       
       ## Aufreibende Wochen
       
       Allen diesen Opfern steht eine aufreibende Woche bevor. Unter ihnen sind
       Laila Gustavsen und ihre Tochter Marte, die von Breiviks Schüssen auf Utøya
       schwer verletzt wurde. In der letzten Woche haben sie die Zeit genutzt, um
       sich gemeinsam vorzubereiten. „Wir wissen nicht, wie wir reagieren werden.
       Aber im Gerichtssaal Breivik zuhören zu müssen, wird wehtun. Besonders,
       wenn er sagen sollte, dass er gern noch mehr getötet hätte“, sagt Laila
       Gustavsen.
       
       Sie selbst wurde für die Arbeiterpartei, die norwegischen Sozialdemokraten,
       ins Parlament gewählt. Ihre Tochter Marte war schon vom Krankenbett aus
       aktiv, mit Beiträgen auf Twitter. Sie schrieb sowohl über Schmerz als auch
       über Hoffnung. Die Woche vor dem Gerichtsprozess hat die Familie zu Hause
       in der Stadt Kongsberg verbracht, eine Stunde von der Hauptstadt und dem
       Breivik-Prozess entfernt. „Wir haben Vernehmungsprotokolle gelesen und uns
       in den Verlauf und die Regeln für Gerichtsprozesse eingearbeitet. Wir
       wollen so viel wie möglich darüber wissen, was uns erwartet, um diese
       Gefühlsbelastung aushalten zu können“, sagt die Mutter.
       
       Für viele Opfer war es eine große Erleichterung, als in der letzten Woche
       ein neues psychiatrischen Gutachten feststellte, dass Breivik doch nicht
       unzurechnungsfähig ist. Aber auch viele ganz normale Norweger haben sich
       immer wieder gefragt, wie ein Terrorist bis ins Detail geplant einen so
       ausgeklügelten Angriff ausführen und gleichzeitig „unzurechnungsfähig“ sein
       sollte, wie es das erste Gutachten erklärt hatte. In vielen Gesprächen wird
       der Wunsch nach Strafe deutlich – und nach einer effektiven Isolation des
       Terroristen auf Lebenszeit.
       
       Aber die Entscheidung über die Frage, ob Breivik ins Gefängnis kommt oder
       „behandelt“ wird, fällt nicht vor Ablauf der letzten Prozesswoche. Kommt er
       ins Gefängnis, wird er praktisch für den Rest seines Lebens eingesperrt.
       Wird er zur psychiatrischen Behandlung verurteilt, muss das Urteil durch
       das Gericht jedes dritte Jahr erneuert werden. Berichte über Breiviks
       Grausamkeiten, Gemütsverfassung und Kindheit werden in voller Länge und
       Breite im Gerichtssaal zur Sprache kommen. Alles wird auseinandergenommen
       werden. Aber der Thriller für das norwegische Publikum wird die ganze Zeit
       über die Frage der Strafform bleiben.
       
       Das Storting, das norwegische Parlament, hat seine Sicherheitsvorkehrungen
       seit dem 22. Juli übrigens nicht nennenswert verschärft. Die „offene“
       Gesellschaft ist noch da, abgesehen von dem Saal im Osloer Amtsgericht.
       
       ## 22. Juli-Müdigkeit
       
       In der Schwulenkneipe „London“ direkt beim Gerichtsgebäude sitzt Robert.
       Die Frühlingssonne verschwindet mehr und mehr, je mehr TV-Sender anrücken
       und ihre Studios ringsherum aufbauen. Robert hat aufgehört, über Breivik in
       den Zeitungen zu lesen. Viele Menschen reagieren wie er. Sie schützen sich
       vor den Eindrücken. Norwegen ist von einer „22. Juli-Müdigkeit“ geprägt. 68
       Prozent der Norweger sind der Ansicht, dass die Berichterstattung der
       Medien zu massiv ist.
       
       Als Breivik nach der Festnahme das erste Mal vor Gericht erschien, wollte
       er am liebsten eine Rede halten. So etwas wird sich diese Woche nicht
       verhindern lassen. Wenn er befragt wird, wird die Serie seiner Antworten zu
       einer Rede über die Notwendigkeit seiner Untaten werden. Es werden Ausfälle
       zur islamistischen Gefahr, Geschichten über den Kreuzzug und natürlich über
       die Terrorplanung erwartet.
       
       In der letzten Woche war für Laila Gustavsen das Maß voll. Als Politikerin
       wie als Mutter der Utøya-Verletzten Marte rechnete sie mit der Presse ab:
       „Ich stelle fest, dass ich es vor dem Prozess gehörig satthabe, mit
       Radionachrichten über Behring Breivik aufzuwachen, in den Zeitungen das
       Gleiche, Seite rauf, Seite runter, und das tagein, tagaus. Alte Nachrichten
       und Sichtweisen werden recycelt“, schreibt sie.
       
       Der Blog erschien am gleichen Tag, an dem die Tageszeitung Dagbladet eine
       Zusammenfassung des neuesten psychiatrischen Gutachtens über Breivik
       brachte, unter der Überschrift: „Das haben sie in Breiviks Gehirn
       gefunden“. Die Zeitungsausgabe enthielt ganze 22 Seiten mit
       Breivik-Reportagen sowie ein eigenes 40-seitiges Magazin mit vorbereitendem
       Material zum Prozess und Rückblicken auf die Terrorangriffe.
       
       Die Presse hat nach dem 22. Juli eine wichtige Aufgabe gehabt. Aber jetzt
       könnte passieren, dass etwas geschieht, was der Täter sich gewünscht hat:
       eine Art Verehrung Breiviks. „Das kann uns passieren, und das verdient er
       einfach nicht“, sagt Laila Gustavsen.
       
       15 Apr 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Per Anders Hoel
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Nach der Untersuchung zu Utøya: „Sie haben uns im Stich gelassen“
       
       Das Doppelattentat von Norwegen hätte verhindert werden können, ergab ein
       Untersuchungsbericht. Das stellt die Politik und Bevölkerung erneut auf die
       Probe.
       
 (DIR) Anders Breivik vor Gericht: Attentäter doch unzurechnungsfähig?
       
       Das Gutachten, das Anders Breivik als zurechnungsfähig erklärt, wird
       fachlich als nicht sachgerecht eingestuft. Experten fordern eine
       Überarbeitung des Gutachtens.
       
 (DIR) Kommentar Prozess Breivik: Das Recht der Täter
       
       Breiviks Tiraden anzuhören, werden Angehörige der Opfer und alle anderen
       aushalten müssen. Die Berichterstattung über den Prozess eindämmen zu
       wollen, ist ein Trugschluss.
       
 (DIR) Kommentar Breivik-Prozess: Die Lust am Grusel
       
       Ein Irrer hat einen Amoklauf unternommen. Der Prozess wird dazu keine neuen
       Erkenntnisse liefern. Denn die politisch relevanten Fragen werden nicht
       gestellt.
       
 (DIR) Presseverantwortung im Breivik-Prozess: „Sind wir tanzende Marionetten?“
       
       Die Norweger debattieren über die Grenzen der Informationspflicht. Wann man
       Gefahr läuft, das PR-Geschäft des Attentäters zu erledigen – daran scheiden
       sich die Geister.
       
 (DIR) Attentäter sagt vor Gericht aus: Breivik brüstet sich mit seinen Taten
       
       Der norwegische Massenmörder behauptet, in Notwehr gehandelt zu haben. Er
       würde es wieder tun, erklärte Breivik vor Gericht. Ein Schöffe musste wegen
       Befangenheit ausgewechselt werden.
       
 (DIR) Prozess gegen Attentäter in Oslo eröffnet: Breivik beruft sich auf Notwehr
       
       In Norwegen hat das Gerichtsverfahren gegen den Attentäter von Oslo und
       Utöya begonnen. Ein rechtsradikales Netzwerk, auf das er sicht selbst
       beruft, gibt es laut Staatsanwaltschaft nicht.
       
 (DIR) Breivik-Prozess: Die Rudelmentalität der Medien
       
       Zum Breivik-Prozess bereitet sich Oslo auf einen Massenansturm
       internationaler Medien vor. Betroffene warnen: Macht nicht das PR-Geschäft
       für den Terroristen!
       
 (DIR) Kommentar Breivik-Prozess: Rechtsstaat weiter unter Druck
       
       Das Gericht steht jetzt vor der Problem: Kommt der norwegische Attentäter
       lebenslänglich in die Psychiatrie oder bekommt er die Höchststrafe, das
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 (DIR) Neues Psychiatrie-Gutachten über Breivik: Attentäter ist zurechnungsfähig
       
       Ein neues psychiatrisches Gutachten über den geständigen norwegischen
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 (DIR) Prozess Oslo-Attentat: Dschihadist als Breiviks Zeuge
       
       Der Attentäter von Oslo will einen Islamistenführer als Zeugen dafür, dass
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 (DIR) Polizeieinsatz beim Massaker von Utøya: Es hakte an mindestens 54 Punkten
       
       Die Polizei entschuldigt sich für Fehler bei der Festnahme des Attentäters
       Breivik. Augenzeugen glauben, dass die Behörden noch immer nicht die ganze
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