# taz.de -- Anders Breivik vor Gericht: Attentäter doch unzurechnungsfähig?
       
       > Das Gutachten, das Anders Breivik als zurechnungsfähig erklärt, wird
       > fachlich als nicht sachgerecht eingestuft. Experten fordern eine
       > Überarbeitung des Gutachtens.
       
 (IMG) Bild: Der Angeklagte Anders Breivik im Osloer Gerichtssaal.
       
       STOCKHOLM taz | Während am 7. Verhandlungstag gegen Anders Breivik in Oslo
       der Bombenanschlag im Regierungsviertel im Mittelpunkt der Erörterung
       stand, weckte die fachliche Bewertung eines der beiden Gutachten über die
       Frage der Schuldfähigkeit Breiviks besondere Aufmerksamkeit.
       
       Im Gerichtssaal äußertern sich Sprengstoffexperten zur Konstruktion und
       Wirkungskraft der „Kunstdünger“-Bombe, deren Sprengkraft auf
       vergleichsweise 400 bis 700 Kilo TNT geschätzt wurde. Wachpersonal
       erklärte, dass man den vom Terroristen geparkten Kleinlaster zunächst nicht
       als Gefahr erkannt habe, sondern vermutete, dass es sich um einen
       Falschparker handelte.
       
       Polizeieinsatzleiter Thor Langli schilderte die Verwüstungen nach der
       Explosion, aufgrund derer man von einem Terroranschlag ausgegangen sei und
       mit weiteren Bomben gerechnet habe. Nach der Meldung einer Schiesserei auf
       Utøya sei er überzeugt gewesen, dass es der gleiche Täter sein musste:
       „Zwei solche Taten und unterschiedliche Täter – das konnte ich mir nicht
       vorstellen.
       
       ## Kritik am Zweitgutachten
       
       Am Montag schon war bekannt geworden, dass das Zweitgutachten, das Breivik
       Zurechnungs- und damit Schuldfähigkeit bescheinigt, in der vorliegenden
       Form von der „Rechtsmedizinischen Kommission“ als nicht fach- und
       sachgerecht angesehen wird.
       
       Diese Kommission ist ein formal unabhängig arbeitendes, aber staatliches
       Organ, dessen Mitglieder vom Justizministerium ernannt werden. Mit
       Fachleuten besetzte unterschiedliche Gremien – beispielsweise für
       Pathologie, Genetik oder Psychiatrie – kontrollieren alle den Gerichten
       vorgelegte rechtsmedizinische Gutachten, um gesetztlich deren „hohe
       Qualität sicherzustellen“.
       
       Diese Kommission wirft den beiden Gutachtern Terje Tørrissen und Agnar
       Aspaas nun vor, sie hätten zu wenig Informationen über die Kindheit
       Breiviks eingeholt und auch nicht dargetan, inwieweit sie sich dagegen
       abgesichert hätten, dass der Terrorist sich ihnen gegenüber bei Tests und
       Interviews „strategisch“ verhalte: Schliesslich sei sein unbedingter Wunsch
       als zurechnungsfähig zu gelten. Tørrissen und Aspaas werden aufgefordert,
       ihr Gutachten insoweit zu ergänzen.
       
       ## Vorwurf: Schlampig gearbeitet
       
       Der den Gutachtern damit gemachte Vorwurf, schlampig gearbeitet zu haben,
       ist umso bemerkenswerter, als das fragliche Gutachten das umfassendste ist,
       das je für ein norwegisches Gericht erstellt wurde.
       
       Nun wird sein Wert deutlich relativiert, weil im Gegensatz dazu das
       Erstgutachten der Psychiater Torgeir Husby und Hanne Sørheim, die Breivik
       Unzurechnungsfähigkeit bescheingt hatten, von der gleichen Kommission ohne
       Anmerkungen abgesegnet worden war.
       
       Dass ein Gutachten nicht als fachgerecht anerkannt wird, ist äussert
       selten. 2011 gab es keinen einzigen solchen Fall, 2010 traf dieses Votum
       nur 2 von 553 rechtsmedizinischen Gutachten. Weil das Gericht unabhängig
       ist, könnte es sich bei einer Entscheidung zwar prinzipiell auch auf das
       Ergebnis eines von dieser Kommission nicht „abgesegneten“ Gutachtens
       stützen. Praktisch dürfte dies aber gerade im Breivik-Prozess so gut wie
       ausgeschlossen sein.
       
       ## Strategisches Verhalten
       
       Zumal der Kommissions-Einwand des möglicherweise „strategischen“ Verhaltens
       Breiviks höchst relevant ist, wie die Verhandlungen zeigen. Der Terrorist
       verweigert regelmässig die Beantwortung von Fragen, bei denen er die Gefahr
       wittert, als unzurechnungsfähig eingeschätzt zu werden.
       
       So auch am Montag, als Staatsanwalt Svein Holden aus Breiviks „Manifest“
       zitierte, in dem dieser geschrieben hatte, die Zuverlässigkeit von
       „Tempelritter-Lehrlingen“ könnte dadurch auf die Probe gestellt werden,
       indem man von ihnen verlange, Penis und Testikel chirurgisch entfernen zu
       lassen oder mehrere Kinder zu ermorden.
       
       Auf die Frage, warum er dazu nichts aussagen wolle, antwortete Breivik:
       „Das ist doch klar. Schlieslich will ich ja nicht im Irrenhaus enden.“
       
       24 Apr 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Reinhard Wolff
       
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