# taz.de -- Skandal um chinesischen Spitzenpolitiker: Der tiefe Fall des Bo Xilai
       
       > Bo Xilai war die Galionsfigur von Chinas Neuer Linker. Sein Sturz hat das
       > Kräfteverhältnis innerhalb der kommunistischen Führung erheblich
       > verschoben.
       
 (IMG) Bild: Vordenker oder Mao-Nostalgiker: Bo Xilai bei einem Revolutionsliederkonzert 2011.
       
       PEKING taz | Eigentlich war für den diesjährigen Nationalen Volkskongress
       kein brisantes Thema vorgesehen. Im Gegenteil, in diesem Jahr galt es als
       besonders wichtig, Harmonie zu bewahren, steht doch im Herbst ein wenn auch
       bereits festgelegter Wechsel an der Spitze an. Am Ende kam es aber dennoch
       zum Showdown. Regierungschef Wen Jiabao verkündete die Absetzung des bis
       dahin so populären Spitzenpolitikers Bo Xilai vom Posten des
       Stadtparteichefs der 30-Millionen-Einwohner-Metropole Chongqing. Als Grund
       nannte er den Korruptionsskandal um dessen Frau Gu Kailai.
       
       In westlichen Demokratien mag solch ein Vorgang als normal gelten, in China
       aber hat es so etwas seit der Niederschlagung der Demokratiebewegung auf
       dem Tiananmenplatz vor 22 Jahren nicht mehr gegeben. Denn mit dem Sturz von
       Bo Xilai gelangt nicht nur erstmals seit langer Zeit ein heftiger
       Machtkampf innerhalb der chinesischen Führung an die Öffentlichkeit. Was
       diesen Fall politisch so brisant macht, ist, dass Bo populär war und für
       eine bestimmte Strömung stand: die Neue Linke.
       
       Chinas unterschiedliche politische Strömungen werden vor allem an Städten
       festgemacht, in denen bestimmte wirtschafts- und sozialpolitische
       Experimente ausprobiert werden. So steht etwa die südchinesische Stadt
       Guangzhou am Perlflussdelta für die rein auf Export ausgerichtete
       Industriepolitik, Chongqing ist die Modellstadt der Neuen Linken. Neu, weil
       sie sich nicht als Anhänger von Mao Tse-tung betrachtet und Marktwirtschaft
       an und für sich befürwortet. Links, weil sie in Abgrenzung von den
       Marktliberalen die rapide wachsende soziale Ungleichheit in China
       anprangert.
       
       ## Die größte Stadt der Welt
       
       Mit 30 Millionen Einwohnern administrativ gesehen die größte Stadt der
       Welt, war Chongqing noch bis vor Kurzem der Inbegriff von Chinas
       rückständigem Binnenland. In den vergangenen Jahren hat sich aber der
       einstige Moloch am Oberlauf des Jangtse-Flusses zu einer pulsierenden
       Metropole entwickelt, und nun weist er die landesweit höchsten
       Wachstumsraten auf. Was Chongqing von den reichen Küstenregionen vor allem
       unterscheidet: der starke Einfluss der Staatsunternehmen.
       
       Die Idee, die hinter diesem sogenannten Chongqing-Experiment steckt: Der
       Staat soll über den Gewinn der Unternehmen Einnahmen generieren, und zwar
       nicht über Steuern, sondern auch als Eigentümer. Mit diesem Geld will die
       Stadt nicht nur den Ausbau der Infrastruktur finanzieren, sondern auch ein
       Sozialsystem – und zugleich dafür sorgen, dass die Steuern für kleine und
       mittelständische Unternehmen niedrig bleiben.
       
       Marktliberalen ist diese Form der Staatswirtschaft ein Dorn im Auge. Und es
       sind bei Weitem nicht nur ausländische Unternehmen, die vor einer Rückkehr
       Chinas zur Planwirtschaft warnen. Vor allem die liberalen Medien aus
       Guangzhou, dem Gegenmodell zu dem Chongqing-Experiment, wettern seit Jahren
       heftig gegen den Einfluss der Staatsbetriebe. Negativ rechneten sie Bo auch
       an, dass er im Zuge der Feierlichkeiten für 90 Jahre Kommunistischer Partei
       im vergangenen Jahr in den Chor roter Lieder und Kampagnen einstimmte, und
       warfen ihm vor, er sehne sich zurück nach der Kulturrevolution. Dabei
       hatten Parteifunktionäre im ganzen Land kräftig mitgesungen.
       
       ## Politischer Todesstoß
       
       Die Affäre um Bos Ehefrau Gu Kailai dürfte für die marktliberalen Kräfte
       der willkommene Anlass gewesen sein, sowohl Bo als auch dem
       Chongqing-Experiment den politischen Todesstoß zu versetzen. Und in der Tat
       hat es diese Affäre in sich. So war am 6. Februar der Polizeichef von
       Chongqing überraschend ins US-Konsulat in der Nachbarstadt Chengdu
       geflüchtet, weil er ganz offensichtlich um sein Leben bangen musste.
       Inzwischen sind die Hintergründe, wenn nicht offiziell bestätigt, so doch
       bekannt.
       
       Wie zumindest Informanten berichten, die wiederum sich auf die Ermittlungen
       berufen, war der Tod eines britischen Geschäftsmanns im November 2011 in
       Chongqing keineswegs durch „übermäßigen Alkoholkonsum“ verursacht, wie es
       bislang offiziell hieß. Der 41-Jährige wurde vergiftet. Und ein Tatmotiv
       wurde auch gleich vermutet: Bos Ehefrau Gu Kailai hatte viele Jahre eine
       Beziehung mit dem Briten gepflegt.
       
       Es soll zum Zerwürfnis gekommen sein, als sie ihn um den Gefallen bat, eine
       erhebliche Summe Geld ins Ausland zu schaffen. Der Brite habe gedroht,
       dieses zwielichtige Geschäft öffentlich zu machen. Aus Angst vor dem Ende
       der Karriere ihres Mannes habe Gu Kailai den Briten ermorden lassen. Bo
       Xilai galt zu dem Zeitpunkt bereits als gesetzt, beim Führungswechsel im
       Herbst in den neunköpfigen Ständigen Ausschuss des Politbüros aufzusteigen,
       Chinas eigentliches Machtzentrum.
       
       Nun ist Bo nicht nur vom Parteivorsitz der Stadt Chongqing gestürzt,
       vergangene Woche hat die Staatsführung ihn auch all seiner anderen Ämter
       enthoben. Anhänger der Neuen Linken sehen in Bos Absetzung denn auch eine
       gezielte Demontage ihrer Ansichten. Und tatsächlich: Hatte Chinas Premier
       Wen Jiabao noch bis vor Kurzem für soziale Gerechtigkeit und nachhaltiges
       Wachstum geworben, so kritisiert er nun das Chongqing-Modell und fordert
       die dortige Parteispitze dazu auf, „ihre Lehren aus dem Ereignis zu
       ziehen“.
       
       26 Apr 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Felix Lee
       
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