# taz.de -- Debatte Ruanda: Ruanda in der Tradition des Grauens
       
       > Seit einem Jahr stehen in Stuttgart zwei ruandische Milizenführer der
       > Hutu vor Gericht. Zwischenbilanz eines historischen Prozesses.
       
 (IMG) Bild: Grausames Andenken, aber noch kein Umdenken: Die Schädel ermordeter Tutsi in einer Kirche nahe der ruandischen Hauptstadt Kigali.
       
       Im Saal 6 des Oberlandesgerichtes Stuttgart wird Weltgeschichte geschrieben
       – zwei Mal die Woche, seit genau einem Jahr. Der Prozess gegen die beiden
       ruandischen Milizenführer Ignace Murwanashyaka und Straton Musoni, der am
       4. Mai 2011 begonnen hat, ist von historischer Bedeutung.
       
       Nicht nur kommt darin die Rechtsgrundlage des Internationalen
       Strafgerichtshofs in Den Haag erstmals vor einem deutschen Gericht zur
       Anwendung. Das Verfahren leistet auch einen unschätzbaren Beitrag zum
       besseren Verständnis eines der blutigsten Konflikte der Gegenwart: des
       Völkermordes an über 800.000 Menschen in Ruanda 1994, dessen Nachwirkungen
       bis heute im benachbarten Kongo zu spüren sind.
       
       Die internationale Öffentlichkeit verbindet mit Massakern im Kongo oder
       anderswo in Afrika gern wirre Haufen irregulärer Kämpfer, am liebsten
       Kindersoldaten, geleitet von gierigen Warlords, die sich mit Gewalt Zugriff
       auf Bodenschätze verschaffen wollen. Doch das ist eine kolonialistische
       Karikatur, angelehnt an das Bild vom wilden Stammeshäuptling, der sich mit
       Glasperlen blenden lässt und für diese das eigene Volk verkauft.
       
       Gefördert wird das Zerrbild vom internationalen Desinteresse: Medien und
       Menschenrechtler müssen den afrikanischen Horror immer drastischer an die
       Wand malen, um überhaupt noch Aufmerksamkeit für das Thema zu erregen.
       
       ## Kolonialistische Karikatur
       
       Der Prozess in Stuttgart macht bisher kaum Schlagzeilen, dabei ermöglicht
       er ein anderes, ein genaueres Bild: Die Angeklagten Murwanashyaka und
       Musoni sind als Präsident und Erster Vizepräsident der Demokratische Kräfte
       zur Befreiung Ruandas (FDLR) angeklagt, verantwortlich für grausame
       Verbrechen der ruandischen Hutu-Miliz im Ostkongo gewesen zu sein, als sich
       die FDLR im Jahr 2009 erstmals einer gemeinsamen Offensive der Armeen
       Kongos und Ruandas erwehren musste.
       
       Welche Art von Führung die beiden von Deutschland aus ausüben, ist die
       zentrale Frage dieses Prozesses. Und sie führt zum politischen Kern des
       Konflikts: Warum hat eine kampferprobte Miliz im Kongo überhaupt zwei
       Exilpolitiker ohne eigene Kriegserfahrung als Chefs?
       
       Die FDLR ist nicht einfach nur eine bewaffnete Gruppe, sie sieht sich in
       der Nachfolge der 1994 untergegangenen ruandischen Republik, die von Hutu
       regiert wurde. Dieses Regime organisierte damals die planmäßige Auslöschung
       der Tutsi, bis es samt seinen Streitkräften in den Kongo verjagt wurde.
       
       Seit rund zehn Jahren operiert die FDLR als Exilstaat im Ostkongo mit der
       ruandischen Hutu-Flüchtlingsbevölkerung als Staatsvolk – und mit
       Murwanashyaka zumindest bis zu seiner Verhaftung 2009 als Präsident in
       Wartestellung. Dass er in Deutschland lebte, diente als Beweis für die
       internationale Anerkennung dieses Parallel-Ruanda auf kongolesischem Boden.
       
       ## Parallel-Ruanda im Exil
       
       Die Hutu als das wahre ruandische Volk, die Tutsi als auszumerzender
       Fremdkörper – mit diesem Gedankengut wurden 1994 die Hutu zu Massakern an
       den Tutsi mobilisiert. Und mit diesem Gedankengut beansprucht die FDLR noch
       heute, aus dem Exil heraus, Ruandas Hutu gegen die Tutsi-Staatsmacht zu
       vertreten. Sichtbar wird dies auch in Stuttgart durch die Aussagen
       ehemaliger FDLR-Milizionäre, die den kongolesischen Busch verlassen haben
       und heute demobilisiert in Ruanda leben.
       
       Sie sind in der FDLR und ihren Vorgängerarmeen aufgewachsen, sie wurden
       teils als Kinder aus Ruanda verschleppt. In den letzten Monaten sind rund
       ein Dutzend von ihnen in Stuttgart aufgetreten. Um ihre eigene Geschichte
       zu rechtfertigen, verteidigen sie die Ehre ihrer Organisation.
       
       Die Detailschilderungen der Exkämpfer fügen sich zu einem beeindruckenden
       Puzzle zusammen. Das Bild von Präsident Murwanashyaka hängt dort, wo
       anderswo in staatlichen Büros das Bild des Staatschefs prangt. Die Miliz
       hat eigene Regelwerke, Gerichte und Strafverfahren. Sie unterhält Schulen
       und Akademien.
       
       Sie organisiert den Alltag ihrer Mitglieder bis hin zu Urlaubs-, Reise- und
       Ehegenehmigungen. Sie archiviert Botschaften der Führung und führt Buch
       über Vergabe sowie Verwendung von Waffen und Munition. Sie richtet
       permanent Botschaften an die Exil-Hutu unter ihrer Kontrolle. Sie
       organisiert wirtschaftliche Aktivitäten, erhebt Steuern und Abgaben.
       
       Dass die beiden höchsten Führer dieses Quasistaates Zivilisten sind und
       nicht Warlords im Kongo, soll die FDLR nicht nur respektabel aussehen
       lassen. Es soll auch klarmachen, dass die Miliz eine politische Struktur
       ist, nicht bloß eine militärische. Die FDLR soll Ruandas Hutu im Exil
       zusammenhalten, bis sie stark genug ist, die Tutsi-Regierung in Kigali
       militärisch unter Druck zu setzen.
       
       Deswegen – das geht aus den vielen abgehörten Telefongesprächen der
       FDLR-Führung hervor, die in den Stuttgarter Prozess eingebracht wurden –
       beschimpfen Murwanashyaka und Musoni Deserteure, die nach Ruanda
       zurückkehren, als moralisch verkommene Verräter und pflegen ein fixes Bild
       von Ruanda als Tutsi-Diktatur, in der die Hutu wie Hunde leben müssten.
       
       ## Verbrecherische Denkmuster
       
       Vor diesem Hintergrund erscheint es als undenkbar, dass die Serie von
       grausamen Übergriffen der FDLR gegen kongolesische Zivilisten, wie sie die
       Anklage schildert, ohne Wissen oder gar Billigung der Führung erfolgen
       konnte. Ähnliche Kontroversen gab es früher über Ruandas Völkermord:
       Schlachteten Ruandas Hutu die Tutsi spontan ab? Oder gab es nicht doch
       einen Vorlauf staatlicher Massenpropaganda, Milizenbildung und Aufrüstung?
       
       Diese Debatte wird nun mit Blick auf die FDLR neu geführt. Das
       unterstreicht die Rolle des Stuttgarter Prozesses bei der
       Auseinandersetzung mit verbrecherischen Strukturen und Denkmustern im
       Afrika der Großen Seen. Letztendlich muss die Auseinandersetzung vor Ort
       geführt werden.
       
       Aber wenn mit der FDLR schon die eine Seite des Konflikts zwischen Hutu und
       Tutsi die Bundesrepublik instrumentalisiert hat, ist es nur richtig, dass
       Deutschland jetzt auch bei der Aufklärung an vorderster Front mitwirkt.
       Bleibt zu hoffen, dass die in Stuttgart gewonnenen Erkenntnisse irgendwann
       auch in Ruanda und Kongo zur kritischen Selbstreflexion dienen.
       
       3 May 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dominic Johnson
       
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