# taz.de -- Netzaktivisten in Suizidgefahr: Noch schnell die Passwörter übergeben
       
       > Aktivismus kann zum Burnout führen: Der Piratenpolitiker Stephan Urbach
       > wollte letzes Jahr Selbstmord begehen. Und er ist kein Einzelfall.
       
 (IMG) Bild: Es ist immer okay, um Hilfe zu bitten.
       
       BERLIN taz | Sich auf eine Bühne zu stellen und über die eigenen
       Suizidpläne zu reden – das erfordert schon ziemlich viel Mut. Aber Stephan
       Urbach hat sich dafür entschieden, darüber zu reden.
       
       Darüber, wie er, der Internetaktivist der Hacker-Gruppe Telecomix, sich
       immer in der heißen Phase des arabischen Frühlings immer tiefer in sein
       Aktivistendasein verstrickt hatte, bis zu 30 Stunden am Stück wach blieb,
       um die Aktivisten in Syrien und anderswo zu unterstützen.
       
       Wie er seinen Job verlor und seinen Lebensrhytmus, wie ihm alles zu viel
       wurde, er das Gefühl hatte, sich selbst verloren zu haben – und wie er
       beschloss, sich das Leben zu nehmen. Auf dem Sommercamp des Chaos Computer
       Clubs. Und hat sich nur kurzfristig dagegen entschieden.
       
       All das erzählt Urbach auf der Re:Publica-Bühne ruhig und gefasst, während
       auf dem Bildschirm im Hintergrund ein Lagerfeuer prasselt. „Ich muss etwas
       gestehen. Etwas ziemlich Persönliches. Ich wollte sterben“, schrieb Urbach
       wenige Tage nach dem von ihm geplanten Freitod. Darüber, wie er schon alles
       geplant hatte – die Übergabe von Passwörtern, wie er es machen wollte.
       Darüber, wie schlecht er damit zurechtkam mit der Unwissenheit, wenn
       Aktivisten aus Syrien oder anderswo, mit denen er in engem digitalen
       Kontakt stand, sich einfach plötzlich nicht mehr meldeten.
       
       Der letzte Sommer, das scheint jetzt irgendwie irrsinnig lange her –
       inzwischen hat Urbach bei Telecomix aufgehört und statt dessen einen Job
       bei der Berliner Piratenpartei angenommen, taucht mit seinem meist bunt
       gefärbten Iro regelmäßig im Fernsehen oder Zeitschriften auf – fast schon
       eine Art Posterboy der Piraten und der Internetaktivisten.
       
       Aber eben auch einer, dem es nach seinen Erfahrungen vom vergangenen Sommer
       ein Anliegen ist, offen zu thematisieren, dass Hacken, Aktivismus und
       Depression für viele zusammenhängen. Der jetzt von der Bühne predigt, sie
       seien eben Leute, keine Problemlösungsmaschinen. Der erzählt, wie es ihn
       gerettet hat, dass er im Sommer auf dem Chaos Communication Camp
       festgestellt habe, dass er mit seinem Problem nicht allein ist, dass es
       einigen Mitstreitern ähnlich geht, dass Freunde dort ihm signalisierten, es
       sei OK, um Hilfe zu bitten.
       
       ## Alles andere als ein Einzelfall
       
       Und tatsächlich ist Urbach alles andere als ein Einzelfall. Spricht man
       viel und häufig mit Aktivisten und anderen Hyperaktiven aus dem Netz, dann
       kommen die Themen Depression und Überforderung schnell auf. Gerade Leute,
       die sich mit voller Wucht dem digitalen Kampf für oder gegen etwas
       verschreiben, gerne als Einzelkämpfer oder als kleine Gruppe mit einem
       unendlich großen Berg an Aufgaben und mächtigen Gegnern, scheinen dafür
       anfällig zu sein – ein Thema, das auf Seiten wie bluehackers.org
       thematisiert wird, so wie Urbach es inzwischen immer häufiger auf
       Konferenzen thematisiert – und Gegenstrategien aufzeigt – für den
       Einzelnen, aber auch für Netzaktivistengruppen.
       
       Auch die Forscherin und Journalistin Anwen Roberts kennt so eine
       Geschichte. Für einen kurzen Moment scheint ihr die Stimme zu brechen, wenn
       sie von „oneup“ erzählt, einem österreichischen Geek, der unter anderem die
       dortige Piratenpartei mitgründete, und sich 2009 umbrachte. Häufig, sagt
       Roberts, sind gerade die Leute gefährdet, von denen man es am wenigsten
       erwartet. Leute wie „oneup“.
       
       Die sehr viel softeren Variante digitaler Überforderung thematisierte
       früher am Donnerstag Bruno Kollhorst, Leiter der Abteilung Social Media in
       der Techniker Krankenkasse. Seinen Vortrag mit dem etwas holprigen Titel
       „Social Müdia? Vom Umgang mit dem Information Overflow“ ist so gut besucht,
       dass viele Zuhörer akustisch kaum noch verstehen dürften, was Kollhorst
       über die Tücken ständiger Erreichbarkeit erzählt, über eine Tagung, auf der
       er unter anderem mit dem Google-Pressesprecher Steffen Keuchel darüber
       reflektiert hat, wie man als digital Überaktiver auch einmal abschaltet.
       
       Abschalten – eine Fähigkeit, die tatsächlich zu beherrschen immer wichtiger
       wird, in Zeiten, in denen die Arbeit digitaler Aktivisten immer wichtiger
       und umfangreicher wird, in der Unabgeschlossenheit ganz selbstverständlich
       zum Workflow gehört und in der die Informationsströme im Netz niemals
       abreissen wichtiger scheint denn je.
       
       4 May 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Meike Laaff
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Meta
       
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