# taz.de -- Gespräch mit Wikipedia-Mitglied: Wahnsinn oder Weltverbesserung?
       
       > Justin Knapp aus Indianapolis ist erst 30 Jahre alt und schon Millionär.
       > Nicht Dollar-Millionär, aber Wikipedia-Edit-Millionär. Wie schafft man
       > 350 Einträge täglich?
       
 (IMG) Bild: Umfangreiche Freizeitbeschäftigung: Wikipedia-Mitglied Justin Knapp hat mehr als eine Million Einträge bearbeitet.
       
       Taz.de: Wie begann Ihre „Karriere“ bei Wikipedia? 
       
       Justin Knapp: Ich fing 2003 an, mich für Wikipedia zu interessieren. Mit
       dem Editing legte ich 2004 los. Mein erster Login war Anfang 2005.
       
       Was war der Grund für Ihre Aktivitäten bei Wikipedia? Was gefällt Ihnen an
       dem Internet-Lexikon? 
       
       Anfänglich wollte ich dabei sein, damit mehr Inhalt über die Westsahara
       verfügbar ist. Um ehrlich zu sein, gelang mir das jedoch nicht besonders
       gut, aber ich blieb dabei, weil mir viele Kernwerte von Wikipedia gefallen:
       Gemeinschaft, Sharing, Freiheit, Offenheit und Bildung.
       
       Eine Million Edits – das heißt, Sie müssen im Schnitt 350 Edits pro Tag ins
       Netz gehievt (bei acht Jahren Mitarbeit) und eine Ewigkeit am Computer
       verbracht haben. Wieviele Stunden in der Woche investieren Sie Ihre
       Wiki-Leidenschaft? 
       
       Das hängt ein bisschen von meinem Privatleben ab – Wikipedia ist kein Job
       für mich, ich mache das in meiner Freizeit. Im Schnitt mehrere Stunden
       täglich. Manchmal setze ich ein oder zwei Tage aus und manchmal sitze ich
       16 bis 18 Stunden am Tag vor dem Bildschirm und redigiere.
       
       Sicher haben Sie eine besondere Arbeitsmethode entwickelt? Ich vermute, Sie
       sind rasend schnell im Editing? 
       
       Ich redigiere mit Hilfe von diversen semiautomatischen Tools und Scripts.
       Mit diesen Werkzeugen habe ich Abertausende von Edits durchgeführt. Ich
       nehme auch kleine typografische Änderungen vor, was nicht sehr
       arbeitsintensiv ist. Manchmal generiere ich auch neuen Content und das ist
       der schwierigste und zeitraubendste Job bei Wikipedia.
       
       Über welches Thema schreiben Sie denn am liebsten für Wikipedia? 
       
       Ich habe mehr als 200 Artikel angefangen und einige umfangreiche Edits an
       mehreren Dutzend Artikeln vorgenommen. Mehr als 100 Stunden gingen für die
       George-Orwell-Bibliografie drauf und dein Eintrag über das Album Everything
       That Happens Will Happen Today von Brian Eno und David Byrne. Einfach
       gesagt, Texte schreiben ist nicht gerade meine Stärke, meine Talent liegt
       eher in anderen Bereichen. Wenn ich nicht schreibe, dann liegen meine
       Interessengebiete vor allem im Bereich der Westsahara.
       
       Jimmy Wales hat beklagt, dass die Zahl der Editors, die zu der
       Online-Enzyklopädie beitragen, in letzter Zeit stetig gesunken ist – was,
       glauben Sie, ist der Grund dafür? Werden Sie Ihre Arbeit weiter fortsetzen? 
       
       Das ist eine empirische Frage, aber es stimmt, was Jimmy da sagt. Es liegt
       zum Teil daran, dass Wikipedia inzwischen fast eine vollständige
       Enzyklopädie ist. Obwohl es immer etwas zu tun geben wird, ist das
       Online-Lexikon jetzt viel umfangreicher als früher. In dem Maße, wie die
       Lücken allmählich aufgefüllt werden, gibt es für Editors weniger zu tun.
       Nehem wir zum Beispiel den Artikel über Abraham Lincoln. Vergleichen Sie
       den aktuellen Eintrag damit, wie er vor zehn Jahren aussah und der
       Unterschied ist beträchtlich. Sicher wird er in zehn Jahren wieder anders
       (ich hoffe noch besser) aussehen, aber die Änderungen werden nicht mehr so
       drastisch sein. Der zweite Grund ist die Wikipedia-Kultur, die etwas
       feindselig gegenüber Neulingen sein kann. Wikipedia operiert ohne strike
       Regeln oder Hierarchien, das aber heißt auch, dass User, die schon lange
       dabei sind, sich die lockeren Richtlinien zunutze machen können, um bei
       Auseinandersetzungen ihren Kopf durchzusetzen.
       
       Weil wir schon gerade beim Thema Auseinandersetzungen sind: Was war Ihr
       schlimmster Edit War? 
       
       Bei allen meinen Edit Wars ging es meist um die Westsahara und Dinge, die
       mit der marokkanischen Besatzung zu tun hatten.
       
       Kennen Sie andere Mitarbeiter von Wikipedia persönlich? Wie ist das, wenn
       man mit Leuten arbeitet, die man nur über das Internet kennt? 
       
       Ich habe einige Wikipedianer auf dem Campus Ambassador Training
       kennengelernt. Außerdem habe ich mit Professor Adrianne Wadewitz zusammen
       gearbeitet, die Erstklassiges im Bereich Literatur geleistet hat.
       Tatsächlich arbeite ich gar nicht so oft mit anderen zusammen, weil viele
       meine Tätigkeiten ziemlich simpel sind. Ich fungierte als Co-Autor bei
       einigen Artikeln. Das war im allgemeinen eine positive Erfahrung, aber, um
       ehrlich zu sein, bin ich ein bisschen unzuverlässig.
       
       Hätten Sie sich jemals diese steile ‘Karriere’ bei Wikipedia träumen
       lassen? 
       
       Für mich war das nie eine ‘Karriere’ und das wird sie auch nie sein – dafür
       macht es einfach zu viel Spaß.
       
       Was sagen Familie und Freunde zu Ihrer Begeisterung für Wikipedia? 
       
       Alle sind sehr nett zu mir und meine Eltern stellen mich regelmäßig
       wildfremden Leuten vor, denen Sie erklären, wie aktiv ich auf Wikipedia
       bin. Meine Mutter hat keine Ahnung, was Wikipedia eigentlich ist, aber sie
       ist trotzdem stolz auf mich.
       
       16 May 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Frank H. Diebel
       
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