# taz.de -- Kommentar NRW: Die Macht der Fürsorge
       
       > Das „typisch Männliche“ dankt im Moment ab, „das Weibliche“ verliert
       > etwas von seinem Malus. Im Reich des Postgender sind wir trotzdem noch
       > nicht angekommen.
       
       Wie kann man in Deutschland Wahlen gewinnen? Der Politikentwurf der
       Hannelore Kraft hat sich als Erfolgsmodell erwiesen. Landesmutter. Kümmern.
       Investieren in die Jugend. Präventiver Sozialstaat. Es sind Stichworte, die
       in den Köpfen automatisch als „Frauenthemen“ gelabelt werden, weil Frauen
       jahrhundertelang für andere gesorgt haben.
       
       Es wären noch vor Kurzem keine Stichworte gewesen, mit denen sich Wahlen
       gewinnen lassen. Sie stehen unter Gedönsverdacht. Jetzt kommen zwei Frauen
       daher und gewinnen mit „weiblicher Politik“ die Wahlen im größten deutschen
       Bundesland. Wie kommt’s?
       
       Das Simple zuerst: Dem Sieg der Frauen geht meist das Scheitern der Männer
       voraus. Ganz konkret kam Kraft nach einer verlorenen Landtagswahl in das
       Amt der Landeschefin. Und ihr fulminanter Erfolg hat auch mit dem
       Totalausfall Röttgen zu tun.
       
       Aber auch auf den symbolischen Ebenen dankt das „typisch Männliche“ im
       Moment ab. Zum einen sind die Kollateralschäden des Basta-Politikstils
       gerade an einem der letzten Basta-Politiker, Horst Seehofer, erkennbar, der
       den Konflikt ums Betreuungsgeld jeden Tag eine Stufe höher schraubt – ohne
       Rücksicht auf Verluste. Wohingegen Kraft schmerzhafte Kompromisse machte,
       aber dafür etwa den westfälischen Schulfrieden stiftete. Je mehr man auf
       Mehrparteienkoalitionen angewiesen ist, und das werden die Regierungen der
       Zukunft sein, desto sinnvoller ist dieser Stil – egal ob Frauen oder Männer
       ihn vertreten.
       
       Zum anderen verspricht die „weibliche“ Politik der Prävention ein smarteres
       Umgehen mit dem Sozialstaat als die plumpen Alternativen Abbau oder
       Aufblähung. Und nach diesem smarten Sozialstaat gibt es ein Verlangen in
       der Gesellschaft, die sich vom Hartz-IV-Schock noch nicht erholt hat und
       kurz darauf von der Finanzkrise gebeutelt wurde. Anders als unter Kanzler
       Gerhard Schröder blickt die Bevölkerung unter Hannelore Kraft nicht in den
       Abgrund eines drohenden einsamen wirtschaftlichen Absturzes. Stattdessen
       kann Kraft eine Art kollektives Ärmelhochkrempeln signalisieren: Du bist
       nicht allein.
       
       Mit anderen Worten: Das, was zuvor immer abwertend als „weiblich“ gelabelt
       wurde, findet heute mehr Wertschätzung. „Das Weibliche“ verliert etwas von
       seinem Malus. Im Reich des Postgender sind wir angekommen, wenn diese
       Politik auch erfolgreich von Männern vertreten wird.
       
       15 May 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Heide Oestreich
       
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