# taz.de -- Mediziner zur Feminisierung des Arztberufs: „Unterschätzen Sie nicht die Frauen“
       
       > Die Feminisierung in der Medizin könnte zu einer Abwertung des Arztberufs
       > führen. Das fürchtet Axel Ekkernkamp, Ärztlicher Direktor des
       > Unfallkrankenhauses Berlin.
       
 (IMG) Bild: Hoher Bedarf: In der Chirurgie gibt es bislang nur wenige Frauen.
       
       taz: Herr Ekkernkamp, von 100 Studierenden, die sich heute für Medizin
       einschreiben, sind 70 Frauen. Warum? 
       
       Axel Ekkernkamp: Die Feminisierung erreicht jetzt auch die Ärzteschaft. Das
       liegt nicht daran, dass sich weniger Männer bewerben, sondern Frauen sind
       beim Abitur immer noch die Besseren.
       
       Das sind sie schon lange. Was aber macht plötzlich den Arzt-Beruf so
       attraktiv für Frauen? 
       
       Frauen fragen: Welcher Beruf hat Zukunft? Die Antwort lautet: Der
       Arztberuf, immer und weltweit. Viele Frauen wünschen sich Mobilität und
       Flexibilität. Als Ärztin können sie - anders als beispielsweise als
       Juristin - ohne Schwierigkeiten auch im Ausland tätig sein.
       
       Frauen wollen ihren Beruf auch mit ihrer Familie vereinbaren können.
       Präsenzpflicht, Nachtschichten, Bereitschaftsdienste, Überstunden - das
       alles widerspricht doch dem Wunsch von Familienfreundlichkeit und Teilzeit. 
       
       Unterschätzen Sie nicht die Frauen! Es gibt die unterschiedlichsten
       Einsatzmöglichkeiten für Ärztinnen, die überhaupt nicht mit Wochenendarbeit
       und Nachtschichten verbunden sind, den Medizinischen Dienst der
       Krankenkassen etwa, das Militär, den Sanitätsdienst. Oder sie können als
       Referentin des Ärztlichen Direktors arbeiten oder als Medizincontrollerin.
       
       Sparten, die mit dem klassischen Berufsbild - der Behandlung und Heilung
       von Patienten - nichts zu tun haben. Führt die Feminisierung zu Personalnot
       in den Kliniken und Praxen? 
       
       Nicht, wenn Sie als Arbeitgeber die Frauen und ihre Wünsche ernst nehmen.
       In der Anästhesie oder der Intensivmedizin etwa können Sie prima Teilzeit
       arbeiten. Was spricht denn dagegen, dass Sie die Narkose legen und sich
       dann nach fünf oder sechs Stunden, wenn die Operation immer noch nicht
       abgeschlossen ist, von einer Kollegin ablösen lassen?
       
       Aber die Chirurgin selbst kann sich nicht so einfach ablösen lassen, wenn
       während der OP Komplikationen auftreten. Und die Zahl der zeitintensiven,
       schwierigen OPs steigt stetig, Stichwort alternde Gesellschaft. Es gibt
       Krankenhäuser, die verzweifeln an der Personalfrage. 
       
       Es ist richtig, dass es in den klassischen, männlich dominierten Bereichen
       - Chirurgie, Orthopädie - körperlich stark belastende Einsätze gibt, die
       viele Frauen lieber nicht machen möchten. Richtig ist auch, dass wir im
       Bereich des Hausarztes ein erhebliches Nachwuchsproblem haben, ebenso wie
       im Bereich des niedergelassenen Facharztes.
       
       Andererseits wäre es falsch zu behaupten, es gäbe einen generellen
       Ärztemangel. Wir produzieren mittlerweile wieder deutlich über Bedarf. Pro
       Jahr gibt es etwa 11.000 Absolventen; für den kurativen Bereich aber
       brauchen wir nur 9.500 Ärztinnen und Ärzte. Wenn also Krankenhauschefärzte
       behaupten, sie kriegen keine Leute, dann liegt das eher an den
       nicht-attraktiven Arbeitsbedingungen.
       
       Was muss sich ändern? 
       
       Die Hierarchien in den Häusern müssen abgebaut und die jungen Leute
       akzeptiert werden. Frauen brauchen das Signal, dass sie auch mit
       Kinderwunsch willkommen sind, Männer müssen selbstverständlich Elternzeit
       nehmen können. Attraktive Tarifverträge sind ebenfalls hilfreich.
       
       Und dann kann es natürlich auch nicht sein, dass einige Chefärzte immer
       noch dazu tendieren, Frauen bevorzugt im Basisbereich einzusetzen und die
       Spitzenpositionen unter Männern aufzuteilen. Im Fach Chirurgie sind weniger
       als 10 Prozent der Chefarztpositionen mit Frauen besetzt. Das kann so nicht
       bleiben.
       
       Warum greift diese sehr schöne Theorie in der Praxis nicht? 
       
       In strukturschwachen Regionen ist es tatsächlich schwierig, medizinischen
       Nachwuchs zu finden. Die freien Stellen werden dann häufig mit
       nicht-deutschen Ärzten besetzt. Sie sind hoch qualifiziert, aber häufig der
       deutschen Sprache nicht mächtig. Das halte ich für inakzeptabel, nicht nur
       für die Patienten, die mit extremer Verunsicherung reagieren, sondern auch
       für die Ärzte: Was meinen Sie, wie der Arzt leidet, wenn seine Kompetenz
       nicht abgeholt werden kann aufgrund sprachlicher Barrieren.
       
       Die meisten weiblich dominierten Berufe sind schlechter vergütet als Jobs
       in klassischen Männerdomänen. Droht der Beruf der Ärztin künftig abgewertet
       zu werden? 
       
       Vom Grundsatz her wäre das denkbar. Nicht so sehr im Basisbereich im
       Krankenhaus, da ist es gelungen, hervorragende Unisex-Tarife abzuschließen,
       und daran ist kaum zu rütteln. Aber dann gibt es die außertariflich
       vergüteten Positionen, leitende Oberärzte, Chefärzte. Ich halte es für
       nicht ausgeschlossen, dass eine Ärztin bei der Aushandlung eines solchen
       Vertrags schlechter abschneiden könnte als ein Mann.
       
       90 Prozent der angehenden Ärzte streben ein Anstellungsverhältnis an, und
       zwar auch dann, wenn sie sich vorstellen können, sich niederzulassen. Was
       bedeutet das für Patienten und ihre Versorgung? 
       
       Der Arzt mit Einzelpraxis, der mit seinem Köfferchen rund um die Uhr im
       Einsatz ist, den wird es künftig nicht mehr geben. Stattdessen wird es eine
       Mischung aus Krankenhausmedizin und medizinischen Versorgungszentren geben.
       Dem Bürger muss deswegen nicht bange werden. Er wird bloß von anderen
       Versorgungsformen diagnostiziert und behandelt werden.
       
       22 May 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Heike Haarhoff
       
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